Alexander Amberger: Bahro - Harich - Havemann. Marxistische Systemkritik und politische Utopie in der DDR, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2014, 329 S., ISBN 978-3-506-77982-3, EUR 39,90
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Mark Schiefer / Martin Stief (Bearb.): Die DDR im Blick der Stasi 1989. Die geheimen Berichte an die SED-Führung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019
Wenn es um Opposition und Repression innerhalb der SED geht, standen bislang biografische Studien über Rudolf Bahro, Wolfgang Harich und Robert Havemann stets im Mittelpunkt. Auch die vorliegende Studie widmet sich den drei prominenten Kritikern des von der Sowjetunion übernommenen Gesellschaftssystems der DDR. Alexander Amberger verbindet die Suche nach Konflikten zwischen politischen Utopien und realsozialistischer Praxis allerdings mit der Umweltfrage und rückt die ökologischen Konzepte der drei marxistischen Dissidenten in das Zentrum seiner Dissertation. Er sieht im Verhältnis von Sozialismus und Ökologie eine ideelle Verbindung zwischen den politischen Vorstellungen Harichs, Bahros und Havemanns. Damit schenkt er den bisher eher randständig behandelten ökologischen Aspekten in deren gesellschaftskritischen Schriften besondere Aufmerksamkeit.
Amberger untersucht den biografisch-historischen Entstehungskontext, den ökologischen Kern sowie die politische Wirkungsmacht von drei politisch-utopischen Texten: Harichs Interviewband "Kommunismus ohne Wachstum? Babeuf und der 'Club of Rome'" von 1975, Bahros Schrift "Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus" von 1977 und Havemanns Roman "Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg" von 1980. Alle drei Texte entstanden als Reaktion auf internationale Debatten um Ökologie und Industriegesellschaft in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre. Unter Bezugnahme auf den klassischen Utopiebegriff untersucht Amberger die ökologischen Alternativen zum Gesellschaftssystem der DDR in diesen Texten, die sich mit der auf Wirtschaftswachstum ausgerichteten Industriegesellschaft kritisch auseinandersetzen. Darüber hinaus werden bislang kaum rezipierte Texte und Dokumente der drei Oppositionellen aus Archivbeständen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) sowie der Robert-Havemann-Gesellschaft in die Untersuchung einbezogen.
Amberger stützt sich in methodischer Hinsicht hauptsächlich auf Richard Saage, der politische Utopien als fiktionale Entwürfe von Gesellschaften definiert, die die bestehenden sozio-ökonomischen Verhältnisse und Institutionen umfassend kritisieren und aus ihrer Kritik heraus eine "rational nachvollziehbare Alternative" entwerfen. [1] Amberger reiht die in seinem Buch vorgestellten Gesellschaftsalternativen in die "postmateriellen Utopien" des 20. Jahrhunderts ein, in denen die Bedürfnisse der Menschen mit der Natur versöhnt werden sollten. Seine ideengeschichtliche Rekonstruktion des utopischen Denkens verbindet er mit heutigen gesellschaftlichen Problemstellungen, die um die Ökologiefrage kreisen und seit den 1970er-Jahren zu einem öffentlichen Thema geworden sind. Amberger zeigt, dass das von Harich, Bahro und Havemann entwickelte positive utopische Gesellschaftsbild hauptsächlich als Antwort nicht nur auf eine realsozialistische umweltzerstörende Wirtschaftsweise, sondern auch als Alternative zur konsumorientierten westlichen Marktwirtschaft entstanden ist.
In der Rezeption von Harichs Texten, die vor allem in den 1990er-Jahren einen Höhepunkt erlebte, wurde die ökologische Dimension stark vernachlässigt. Zumeist stand Harichs immanente Kritik am stalinistischen Gesellschaftsmodell aus den 1950er-Jahren im Vordergrund. Insofern besteht ein Vorzug des Buches darin, die ökologische Utopie Harichs einer kritischen Analyse unterzogen zu haben. Harichs ökologisch geprägtes Sozialismusideal beschreibt Amberger als archistische Utopie, die als Antwort auf das 1972 in den USA erschienene Buch "Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit" verfasst wurde. Mit dem Begriff archistisch wird das Gegenteil von anarchistisch beschrieben, wenn also das Herrschafts- und Zwangsprinzip des Staates uneingeschränkt befürwortet wird. Die Vorstellung Harichs, durch staatliche Zwangsregulierung der Produktion und des privaten Konsums die Umwelt zu schonen und einen ökologischen Umgang der Menschen mit ihren natürlichen Ressourcen zu erzwingen, kennzeichnet Amberger als "utopische Ökodiktatur" (84). Harichs Buch "Kommunismus ohne Wachstum?", das aufgrund seines Etatismus und seiner rigorosen Konsumkritik sowohl in der DDR-Opposition als auch in der antiautoritären Linken Westdeutschlands heftigen Widerspruch auslöste, wird kenntnisreich in der Geschichte der politischen Utopien des 20. Jahrhunderts verortet.
Während die "Ökodiktatur" Harichs weitgehend in Vergessenheit geriet, blieb die Schrift "Die Alternative" von Rudolf Bahro und seine marxistische Kritik am umweltzerstörerischen Potential der modernen Industriegesellschaft sowie sein alternativer Ausblick auf ökologisches Handeln und Leben in den gesellschaftskritischen Debatten bis in die 1980er-Jahre hinein präsent. Für die DDR-Umweltgruppen, so wird konstatiert, lieferte Bahros Buch zahlreiche inhaltliche Anknüpfungspunkte. Amberger beschreibt, welche Enttäuschung Bahro während der gesellschaftlichen Umbrüche 1989/90 erlebte, da sich die DDR nicht als ökologische Alternative zur westlichen Konsumgesellschaft entwickelte, sondern jene politischen und wirtschaftlichen Strukturen übernahm, die weiterhin am wirtschaftlichen Wachstum ausgerichtet waren. Auch sei es für ihn enttäuschend gewesen, dass seine zentrale Idee von der Untrennbarkeit von Kommunismus und Ökologie den früheren SED-Kadern, die nunmehr in der PDS den Ton angaben, nicht als programmatische Leitlinie der SED-Nachfolgepartei vermittelt werden konnte.
Schließlich skizziert Amberger die kommunistische Utopie Havemanns als radikale Kritik an der Ressourcenverschwendung der westlichen und östlichen Industriegesellschaften. In den Augen Havemanns steuerte die Menschheit auf eine ökonomische und ökologische Existenzkrise zu. Als Ausweg entwarf er eine komplexe Vorstellung von "Utopia" als alternatives Gesellschaftsmodell, das Amberger den anarchistischen Utopien zuordnet, da es in "Utopia" keinen Staat und keine Herrschaftsverhältnisse mehr geben werde. Insofern bildet Havemanns Utopie einen deutlichen Gegenpol zu den archistischen Vorstellungen Harichs, die auf ein diktatorisches Regierungssystem hinauslaufen.
Amberger verweist in seinem Vergleich der politischen Utopien Harichs, Bahros und Havemanns auf Gemeinsamkeiten und Differenzen in ihren fiktiven Gesellschaftsalternativen. In allen drei Texten arbeitet er Bezüge zur postmateriellen Utopie heraus, wobei er in Havemanns "Morgen" die stärksten postmateriellen Elemente sieht. Im Unterschied etwa zu Harichs "Ökodiktatur" zielt Havemanns Gesellschaftsentwurf auf eine Solidargemeinschaft, in der postmaterielle Bedürfnisse befriedigt werden, also die Selbstbestimmung und Selbstentwicklung in der Arbeit, in der Politik, in der Freizeit und in den zwischenmenschlichen Beziehungen. An die Stelle von materiellem Überfluss und ökonomischem Wachstum treten Ökologie und ein neues Verhältnis zur Natur. Harich, so geht aus Ambergers Vergleich hervor, steht mit seinem Ruf nach staatlichen Institutionen und Interventionen als Antwort auf die verheerenden Folgen der Umweltzerstörung ziemlich allein da.
Amberger hat den jeweiligen historischen Entstehungshintergrund der utopischen Alternativen von drei prominenten Dissidenten überzeugend herausgearbeitet und damit gezeigt, unter welchen politischen Bedingungen oppositionelles Denken in der DDR entstehen konnte und wie die politischen Utopien in Ost und West rezipiert wurden. Sein Verdienst ist es, die ökologische Dimension in den Schriften Harichs, Havemanns und Bahros auf überzeugende Weise analysiert und in die Utopieforschung eingeordnet zu haben. Er hat damit auf die Aktualität der damaligen Wachstumskritik aufmerksam gemacht. So wird angesichts aktueller Umweltprobleme das Nachdenken über ökologische Alternativen zum bisherigen Modell des marktorientierten Wirtschaftswachstums angeregt.
Anmerkung:
[1] Richard Saage: Utopische Profile, Bd. 4: Widersprüche und Synthesen des 20. Jahrhunderts, Münster 2004, 6.
Andreas Malycha