Ekaterina Makhotina / Ekaterina Keding / Włodzimierz Borodziej u.a. (Hgg.): Krieg im Museum. Präsentationen des Zweiten Weltkriegs in Museen und Gedenkstätten des östlichen Europa (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum; Bd. 131), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, VI + 376 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-525-37309-5, EUR 69,99
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Um den Inhalt zutreffend wiederzugeben, hätte der Obertitel eigentlich "Krieg und Holocaust im Museum" lauten müssen, da der Holocaust ein konstitutiver Teil der deutschen Kriegführung und der Erfahrungen der Bevölkerung Osteuropas gewesen ist. So spiegeln sich die Begriffe im vorliegenden Sammelband auch wider. Er umfasst neben zwei Einleitungen und einem Schlusswort in 14 Beiträgen die Periode von 1944/45 bis in die 2000er-Jahre. Die Geschichte der Museen und Gedenkstätten behandelt sowohl die Zeit der Erlebnisgeneration als auch die ihrer Nachkommen. Dies drückt sich im Wandel der musealen Präsentation aus. Ihr Spektrum reicht von der eher konventionellen Information und der Ausstellung der Dinge bis zu den gegenwärtigen Museen und Gedenkstätten mit ihren Inszenierungen, Parcours und interaktiven Erlebnisräumen. Emotionen und "Nacherleben" ersetzen dabei häufig die Dinge, die einst stellvertretend für Sachverhalte gezeigt wurden und ein Vorwissen der Erlebnisgeneration voraussetzten.
Die Auswahl der hier vorgestellten Museen und Gedenkstätten wird nicht näher erläutert. Der Bogen reicht aber von (post)sowjetischen Museen in der karelischen, weißrussischen und ukrainischen Provinz über Vernichtungsstätten in Polen bis zu Museen und Gedächtnisorten in Litauen, Ungarn, Rumänien, Tschechien (der Tschechoslowakei) und in Polen. Unter vergleichenden Aspekten gibt es auch einen Beitrag über das Konzentrationslager Dachau. Etienne François liefert am Ende ein Resümee der Arbeiten, die sich fast schon wie eine Besprechung liest. Ich werde also etwas andere Akzente setzen, kann allerdings nicht auf alle Beiträge eingehen.
Die meisten Beiträge unterscheiden sehr deutlich den Umbruch der Jahre 1989/91, als das sowjetische oder "volksdemokratische" Narrativ über den Zweiten Weltkrieg, über Besatzung und Widerstand nicht mehr unbedingt verbindlich war und zudem die Erlebnisgeneration allmählich abtrat. Mehrere Verfasser betonen aber, dass die Gestaltung der Museen und Gedenkorte auch vor 1989/91 nicht einfach "von oben" dekretiert wurde. In vielen Fällen lässt sich nachweisen, dass in den sowjetischen und ebenso wie in den "volksdemokratischen" Museen und Gedenkstätten Interessengruppen aktiv waren und das Narrativ selbst dort Modifizierungen kannte, wo man versuchte, sich an Stalins oder Chruschtschows Vorgaben zu halten. Beispiele hierfür sind die oft zunächst von Aktivisten - Veteranen und Opfergruppen einschließlich von Juden - ausgehenden Initiativen für kleinere Ausstellungen, Gedenkräume oder Mahnmale. Bis 1948/49 besaß etwa das Museum in Charkow einen erheblichen Spielraum, um die Gräuel der Besatzung und der Deportationen ungeschminkt zu zeigen, bevor entsprechend dem Heldennarrativ zuvor überprüfte, möglichst russische Partisanen gezeigt werden mussten (Iryna Sklokyna). In den 1960er-Jahren schlug sich das heroische Narrativ vom "Widerstand des gesamten Volkes" und der unbefleckten Rolle der Roten Armee in der monumentalen Architektur von Brest-Litowsks (und anderswo) nieder. Dabei passte man in der Ausstellung die Geschichte der Verteidigung der Festung dem heroischen Narrativ an (Christian Ganzer). Seine Übernahme wird anschaulich an der Verwandlung der trauernden zur zornigen Mutter im litauischen Pirčiupis gezeigt, einem der vielen von der deutschen Besatzung zerstörten Dörfer. Diese nun zornige Mutter diente dann als Modell für Mahnmale in anderen zerstörten Dörfern (Ekaterina Makhotina).
Viele nicht nur der sowjetisch geprägten Gedächtnisorte behielten die alte Erzähl- und Präsentationsweise bei, wie am Beispiel von Vitebsk gezeigt wird (Ekaterina Keding). Andere Stätten wie etwa Pirčiupis und zeitweilig Lidice (Petr Koura) gerieten fast in Vergessenheit. Wieder andere lösten sich vom sowjetischen Narrativ, wie das Museum in Pitkjaranta / Karelien. Dieses bezog sogar den finnischen Feind in das Gedenken ein (Ekaterina Melnikova).
In den Volksdemokratien ist die systematische Vernichtung der Juden nie so stark marginalisiert worden wie in der Sowjetunion. So koexistierten in Theresienstadt jeweils mit unterschiedlicher Gewichtung die Erinnerung vor allem an den kommunistischen Widerstand, aber auch an das Getto, an das Sterben und die Deportationen seiner Bewohner. Schon zu sozialistischen Zeiten fand zudem die Wanderausstellung von Zeichnungen aus dem Getto als Zeichen von Resistenz und Lebenswillen internationale Beachtung. Der jüdische Friedhof durfte ebenso gepflegt werden. Die jüdische Gemeinschaft in der CSSR wie auch Unterstützung durch die Wiener jüdische Gemeinde wurden zwar nicht besonders gefördert, aber hingenommen. Theresienstadt steht zudem für eine seit den 1960er-Jahren einsetzende Verwissenschaftlichung der Arbeit in den Museen, gleichzeitig mit einer vermehrten Präsentation individueller Erfahrungen jenseits des sowjetisch-volksdemokratischen Heldenkultes (Ulrike Lunow).
Jüdische Gruppen (die Jüdische Historische Kommission, dann das Jüdische Historische Institut) waren es auch in Polen, welche dafür sorgten, dass das Gelände der Vernichtungsstätten Kulmhof / Chełmno, Sobibór und Treblinka zu Gedächtnisorten ausgebaut wurde. 1947 gab es einen Gestaltungsentwurf für Treblinka, der die Juden als hauptsächliche Opfer der nationalsozialistischen Vernichtung darstellte. Dieser Entwurf wurde aber nicht realisiert. Die späteren Gestaltungen marginalisierten die Juden als größte Opfergruppe. In Kulmhof wurde sogar eine in Stein gemeißelte "letzte Botschaft" eines jüdischen Opfers verfälscht, in der Absicht die Opfer zu "polonisieren" (306-307). Im Fall von Sobibór ist die Rede vom polnischen "Diebstahl der Shoah" in der Ära Gierek (326). Am Kriterium der Besucherzahlen gemessen werden Treblinka und Kulmhof trotz inzwischen beeindruckender Gestaltung des Geländes und der Eröffnung von Museen als vergessene Orte der Judenvernichtung bezeichnet. Die Gestaltung Sobibórs wurde seit den 1990er-Jahren verändert, sodass hier das "volksdemokratische" wie das gegenwärtige Gedenken besichtigt werden kann (Piótr Majewski, Sabrina Lausen).
Der ehemals jüdische Stadtteil Kazimierz in Krakau, seit 1978 in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes aufgenommen, ist Gegenstand von zwei Beiträgen. Zunächst wird am Beispiel der Adlerapotheke, im Getto gelegen, aber von einem "arischen" Polen geführt, das Verhältnis der Polen als Zuschauer der Shoah thematisiert. Polnische, zumeist der Opposition angehörende Intellektuelle nahmen sich seit den späten 1970er-Jahren des ambivalenten Verhältnisses zu den Juden in der Vergangenheit an. Gleichzeitig wurde Kazimierz (neben Auschwitz) zunehmend zum Ort vor allem eines jüdischen Holocaust-Tourismus, der Polen bestenfalls als "tableau vivant" (250) wahrnimmt. Hannah Maischein begründet das angebliche Scheitern bzw. Nicht-Zustandekommen eines polnisch-jüdischen Dialogs [1] mit der zunehmend kommerziellen Ausrichtung der Gedächtnisorte, ihrer "Disneylandisierung" (252). Schon mit Claude Lanzmans Filmserie "Shoah" (1985) hatte sich nicht nur das amtliche Polen angegriffen gefühlt, verstärkt wurde diese Kränkung noch durch die Publikationen von Jan Gross. [2] Dem Vorwurf des anhaltenden Antisemitismus begegnete man in Krakau mit der Nutzung der ehemaligen Emaillefabrik Schindlers, um dort im Jahr 2010 das ehemalige Besatzungsmuseum und ein neu gestaltetes Holocaustmuseum zu etablieren. Dieses entspricht allen Anforderungen eines modernen Museums mit kontemplativen und kommemorativen Elementen. Es macht den Alltag unter deutscher Besatzung anschaulich und erlebbar. Es betont, die Vorwürfe gegen den polnischen Antisemitismus aufnehmend, dass Polen immerhin die größte Anzahl unter den "Gerechten der Völker" stelle. Kurz, die Emaillefabrik Schindlers genügt den touristisch-kommerziellen Anforderungen einer "Erlebnisfabrik" (24). Die tatsächlichen Stätten des Leidens und Sterbens der Juden seien durch Kulissen und Parcours ersetzt worden (Monika Heinemann).
In anderer Weise bestimmt Opferkonkurrenz den Umgang mit dem Holocaust in Ungarn nach 1989. Je nach Regierung wurde der Holocaust als von außen aufgezwungen dargestellt oder man betonte die aktive Beteiligung Ungarns. Im "Haus des Terrors", 2002 auf Initiative der Rechten eröffnet, wird Ungarn als Opfer der NS-Besatzung und der Kommunisten präsentiert. Im Vorfeld der Eröffnung des Holocaustmuseums, 2004 gleichzeitig mit dem Beitritt zur Europäischen Union, wurde zwischen der Rechten und Linken über den Anteil Ungarns am Holocaust gestritten. Bisher konnte sich die Linke sowohl im Budapester Holocaust-Museum als auch im Ungarn-Pavillon in Auschwitz durchsetzen und den Anteil Ungarns unter Horthy und den Pfeilkreuzlern hervorheben. Diese Sicht wird neuerdings wieder in Frage gestellt (Regina Fritz).
Den vielen Beiträgen ist zu entnehmen, dass das "östliche Europa" sich im Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg, der Besatzung und dem Holocaust als eine in sich heterogene Gedächtnislandschaft darstellt, so unterschiedlich, wie die realen Erfahrungen im Weltkrieg waren. Das sowjetische und volksdemokratische Narrativ von Widerstand und Heldentum hat sich fast ungebrochen nur in Weißrussland und Russland erhalten. In Moskau ist es nach den Einbrüchen in der Zeit der Perestroika pompös renoviert worden. In allen anderen Ländern haben sich sehr schnell eigene, oft sehr nationalistische Narrative durchgesetzt, die - wie anderswo auch - Schwierigkeiten haben, den Holocaust aus eigenem Antrieb - und nicht nur dem Druck der Europäischen Union folgend - in das nationale kulturelle Gedächtnis zu integrieren. Der Gedächtnistourismus, die "heritage industry" (22) in Gestalt der "Erlebnisfabrik" scheinen die Medien zu sein, die das kulturelle Gedächtnis neuen Generationen am erfolgreichsten vermitteln. Da folgt, wie hier ausgiebig und überzeugend dargelegt wird, das "östliche Europa" dem allgemeinen Trend.
Anmerkungen:
[1] Robert Blobaum (ed.): Antisemitism and its Opponents in Modern Poland, Ithaca / London 2005; Piotr Fiorecki: Reconstructing Memory: The Holocaust in Polish Public Debate, Frankfurt/M. u.a. 2013.
[2] Jan Tomasz Gross: Nachbarn. Der Mord an den Juden in Jedwabne, München 2001 (poln. 2000); ders.: Fear. Antisemitism in Poland after Auschwitz. An Essay in Historical Interpretation, Princeton 2006 (poln. 2008).
Dietrich Beyrau