Alexander Pyrges: Das Kolonialprojekt EbenEzer. Formen und Mechanismen protestantischer Expansion in der atlantischen Welt des 18. Jahrhunderts (= Transatlantische Historische Studien; Bd. 53), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015, 507 S., ISBN 978-3-515-10879-9, EUR 72,00
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Viele protestantische Kirchenoberhäupter im Europa des 18. Jahrhunderts hielten die religiöse Lage in den nordamerikanischen Kolonien für problematisch. Anlass zur Sorge bereitete die große Zahl verschiedener protestantischer Konfessionen, die vor allem in denjenigen Kolonien, in denen Glaubensfreiheit herrschte, gleichberechtigt nebeneinander standen. Berichte über eine allzu selbstbewusste Laienschaft sowie über nicht-ordinierte Wanderprediger, die von den Gemeinden als Gemeindepfarrer aufgenommen wurden, trugen zusätzlich zur Beunruhigung des anglikanischen und des lutherischen Klerus bei. Initiativen zur Gründung von Bistümern oder Landeskirchen erwiesen sich als schwierig. Bessere Erfolgsaussichten hatten "joint ventures", in denen Vertreter der evangelikalen Bewegung aus verschiedenen Konfessionen zusammenarbeiteten, um paneuropäische Großprojekte wie das im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehende Kolonisationsprojekt Ebenezer zu verwirklichen, das sich die Ansiedlung lutherischer Glaubensflüchtlinge aus Salzburg in der neugegründeten Kolonie Georgia zum Ziel setzte.
Über die protestantischen Netzwerke in der atlantischen Welt ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden. Einiges davon wird in Alexander Pyrges' Trierer Dissertation aufgegriffen, anderes bleibt hingegen unberücksichtigt. Die Bedeutung der Arbeit liegt vor allem darin, dass die Rolle der alteuropäischen territorial verfassten Landeskirchen in den transatlantischen Netzwerken untersucht wird. Im Gegensatz zu vergleichbaren Arbeiten misst der Verfasser diesen Landeskirchen einen zentralen Stellenwert bei der Entfaltung des Protestantismus in Nordamerika zu. Er unterscheidet zwischen "Landeskirchen" und "Freikirchen", die sich seiner Ansicht nach in ihrem "Expansionsverhalten" wesentlich unterschieden (43). Freikirchen, so Pyrges, agierten überterritorial und waren translokal vernetzt, während die Landeskirchen versucht hätten, territoriale Herrschaftsräume für sich zu etablieren. Weltliche und geistliche Kolonialräume seien aus territorialkirchlicher Sicht deckungsgleich gewesen (47).
Anhand des Kolonialprojektes Ebenezer wird gezeigt, wie diejenigen landeskirchlichen Akteure, die den kirchlichen Hierarchien distanziert gegenüberstanden, begannen, sich grenzübergreifend zu vernetzen - zuerst innerhalb Europas und dann über den Atlantik hinweg. Es werden zunächst die wichtigsten Akteure vorgestellt, die dies- und jenseits des Atlantik das Projekt Ebenezer voranbrachten. Neben der "Society for Promoting Christian Knowledge" (SPCK) waren es die Pietisten um das Waisenhaus in Halle, Samuel Urlsperger und das Augsburger Seniorat, sowie die Geistlichen der lutherischen Hofkapelle in Kensington und, auf der anderen Seite des Atlantik, der Gemeinde Ebenezer in Georgia. Die folgenden Hauptkapitel behandeln dann die Art und Weise wie die notwendigen finanziellen Transaktionen über weite geografische Distanzen hinweg abgewickelt wurden, wie und über welche Medien die transatlantische Kommunikation organisiert wurde und welche Bedeutung Krankheit und Leiden in der religiösen Korrespondenz spielte. Des Weiteren wird analysiert wie biblische Gleichnisse und Parabeln, insbesondere das Bild von der Wüste, in den Kontext des Siedlungsprojektes im subtropischen Georgia übertragen wurden.
Die Arbeit ist in vieler Hinsicht beeindruckend. Sie basiert auf einer gewaltigen Fülle von Quellenmaterial, bewegt sich durchweg auf einem hohen Reflexionsniveau und besticht nicht zuletzt durch ihre sprachliche Qualität. Die These von der "Transterritorialkirchlichkeit", also von den expandierenden Landeskirchen, die sich über die territorialen Grenzen hinweg "zerdehnten" und dabei wandelten, kann allerdings nicht vollkommen überzeugen. Da sie in den meisten nordamerikanischen Kolonien ihren Status als Landeskirchen verloren hatten, standen Anglikaner und Lutheraner zunächst auf gleicher Augenhöhe mit den anderen protestantischen Konfessionen und konkurrierten mit ihnen um Einfluss. Eine wie auch immer geartete Expansion gestaltete sich schwierig. Den anglikanischen Bischöfen in Lambeth Palace war klar, dass kolonialer Raum nur selten deckungsgleich mit kirchlichem Raum war. Sie gründeten deshalb die "Society for the Propagation of the Gospel" (SPG), über die sie die transatlantische Entsendung von sogenannten "missionaries" organisierten, die die europäischen Siedler, die nordamerikanischen Indianer und die afro-amerikanischen Sklaven zum anglikanischen Glauben bringen sollten. Ihre "missionaries" bewegten sich bei englischen Siedlern wie auch bei Personenverbänden, die dezidiert nicht zum britischen Untertanenverband hinzugerechnet wurden und in einem territorial schwer zuzuordnenden "Hinterland" lebten.
Unterschätzt wird ferner die Bedeutung des Missionsgedankens. Der Verfasser schließt hier an einen älteren Forschungskonsens an, demzufolge sich die landeskirchlichen Geistlichen in Nordamerika nicht für die "Heidenmission" interessiert und nur vereinzelt versucht hätten, Nichtchristen zu bekehren (13). Dies trifft, wie inzwischen verschiedentlich nachgewiesen wurde, nicht zu. [1] Sowohl Anglikaner als auch Presbyterianer maßen der Bekehrung von Indianern und afro-amerikanischen Sklaven große Bedeutung bei. Sie gründeten Gesellschaften, die diese beiden Zielgruppen in den Blick nahmen. Auf anglikanischer Seite war dies die SPG, bei den Presbyterianern die "Society in Scotland for Propagating Christian Knowledge". Die Nonkonformisten gründeten in der Mitte des 17. Jahrhunderts die "New England Company". Wenn diese Gesellschaften die "Heidenmission" als wichtige Aufgabe definierten, dann handelte es sich dabei nicht um "bloße Gründungsrhetorik" (427). Vielmehr wurden auf einer transatlantisch institutionalisierten Basis während es ganzen 18. Jahrhunderts regelmäßig Geistliche zur Bekehrung von Indianern und Afro-Amerikanern entsandt. Vor allem die Indianermission verzeichnete ein hohes Spendenaufkommen, und einige ihrer Hauptvertreter waren einflussreiche Akteure in den vom Verfasser untersuchten Netzwerken. Gerade in der Auseinandersetzung mit Indianern und Afro-Amerikanern veränderte sich der Protestantismus, und die alteuropäischen Territorialkirchenordnungen traten weit in den Hintergrund des Bewusstseins der Geistlichen.
Es wäre zu überlegen, ob sich über Ansätze aus der postkolonialen Diasporaforschung, wie sie beispielsweise von Susanne Lachenicht in die Diskussion eingeführt wurden, die Bedeutung der territorial verfassten Landeskirchen für die atlantische Vernetzung des Protestantismus besser fassen ließe als es die sehr von Max Weber geprägten Begrifflichkeiten und Kategorien ermöglichen, mit denen Pyrges arbeitet. So ließen sich Hybridisierungen vor Ort besser berücksichtigen, und man könnte Elementen der Institutionalisierung sowie der Genese von Identitäten in den transkontinentalen Netzwerken weiter Rechnung tragen. Vor allem aber ließen sich Fragen der Territorialität und die Kategorien des räumlich entgrenzten, sozialen Raumes und des kolonialen Raumes anders ausloten als es die Einteilung in "Landeskirchen" und "Freikirchen" zulässt.
Diese Einwände sollen jedoch keineswegs die Bedeutung der Arbeit in Frage stellen. Sie leistet einen wichtigen und weiterführenden Beitrag zur Geschichte der atlantischen Welt im 18. Jahrhundert und wird sicherlich interessante Debatten über den transatlantischen Protestantismus anstoßen.
Anmerkung:
[1] Siehe beispielsweise Travis Glasson: Mastering Christianity. Missionary Anglicanism and Slavery in the Atlantic World, Oxford 2012; Ulrike Kirchberger: Konversion zur Moderne? Die britische Indianermission in der atlantischen Welt des 18. Jahrhunderts, Wiesbaden 2008; Laura Stevens: The Poor Indians. British Missionaries, Native Americans, and Colonial Sensibility, Philadelphia 2004.
Ulrike Kirchberger