Rezension über:

Walter Heinemeyer: Aus Liebe, zur Sicherheit und Ehre des Klosters. Urkundenfälschungen und frühe Geschichte hessischer und thüringischer Klöster (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen; Bd. 77), Marburg: Historische Kommission für Hessen 2012, 495 S., ISBN 978-3-942225-15-1, EUR 48,00
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Rezension von:
Otfried Krafft
Institut für Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Otfried Krafft: Rezension von: Walter Heinemeyer: Aus Liebe, zur Sicherheit und Ehre des Klosters. Urkundenfälschungen und frühe Geschichte hessischer und thüringischer Klöster, Marburg: Historische Kommission für Hessen 2012, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 3 [15.03.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/03/22672.html


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Walter Heinemeyer: Aus Liebe, zur Sicherheit und Ehre des Klosters

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Der 100. Geburtstag des 2001 verstorbenen Historikers und Archivars Walter Heinemeyer bildete den Anlass für die Herausgabe des vorliegenden Bandes. Er versammelt sieben Beiträge aus den Jahren 1958 bis 1972, die allesamt Klöster im nördlichen Hessen bzw. in Thüringen behandeln, insbesondere mit Blick auf die frühen Quellen, bei denen die problematische Urkundenüberlieferung zentral ist. Thematisch, zeitlich und örtlich sind sie eng verflochten. Der Großteil dieser Aufsätze wurde im Archiv für Diplomatik publiziert, entstanden sind sie aber, wie Hans-Peter Lachmann in der Einleitung schildert, aus der hilfswissenschaftlichen Lehre.

In Hasungen wurde am Grabe des hl. Heimerad 1074 ein Kloster gegründet. Aus der Anfangszeit existieren vier Urkunden, die meisten in mehreren Versionen, doch nur eine scheint formal echt zu sein. Ungeachtet dessen enthalten die anderen Stücke, deren Entstehung eingehend erklärt wird, historisch korrekte Informationen zur Klostergründung, deren kirchlich-politische Umstände in einem weiteren Beitrag erläutert werden. Im Nonnenkloster Lippoldsberg ist die angeblich 1062 ausgestellte Gründungsurkunde in zwei Fassungen erhalten, einem angeblichen Original, an dem gleich fünf Hände beteiligt waren, und einer Version in der Klosterchronik. Ungeachtet der Unterschiede ist Propst Gunther, der Mitte des 12. Jahrhunderts wirkte, als geistiger Urheber von beiden anzusehen. In Lippoldsberg folgte ein Jahrhundert darauf eine zweite Welle von Fälschungen durch Propst Dietrich und seine Schreiber, die auch die Produkte Gunthers weiterbearbeiteten. Doch damit nicht genug: Noch um 1289 verunechtete man hier eine Papsturkunde und machte so aus einem Prozessmandat eine Besitzbestätigung. Etwas älter war das Kloster Helmarshausen, das ca. 997 gegründet wurde: Hauptzweck der 1162 bis 1195 zahlreich entstandenen Fälschungen war hier die Unabhängigkeit von den Bischöfen von Paderborn. Auch im Zisterzienserkloster Haina stand eine gefälschte Mainzer Erzbischofsurkunde am Beginn, die in zwei Schritten, um 1160 und um 1200, vervollständigt wurde. Das thüringische Reinhardsbrunn war mit den genannten Klöstern eng verbunden: Hier produzierte man um 1165 über ein Dutzend Fälschungen, Heinemeyer sah dahinter Spannungen mit der Gründerfamilie der Ludowinger, die die Klostervögte stellte und den Besitz zu bedrohen schien. Hier waren nacheinander zwei Schöpfer von Urkunden tätig, deren "Kunst" den erwähnten Fälscher Gunther in Lippoldsberg inspirierte.

Das sorgfältige Beobachten der paläographischen Details und der übrigen äußeren Merkmale und die Analyse der Texte gehen mit einer größtmöglichen Einbettung in den Kontext einher. Die äußere Geschichte der Klöster und die Ebene der Personen wird immer beachtet und zur Erklärung herangezogen, denn monastische Netzwerke - man nannte sie zur Entstehungszeit der Beiträge nur noch nicht so -, die die benötigten Texte austauschten, standen hinter den Phänomenen, die so akribisch aufgedeckt werden. Weiterhin wird die Verwandtschaft von Gründungsberichten in Urkunden und Chroniken deutlich herausgearbeitet, was zeigt, dass die oft befolgte Separatbetrachtung der unterschiedlichen Gattungen methodisch unangebracht ist: Heinemeyer hat es ganz zu Recht anders gehalten, ebenso überschritt er (was bis heute selten so gehalten wird) beim paläographischen Vergleich der Urkunden die Grenze zur Betrachtung von Prunkhandschriften. Schließlich entstammten die Urheber ein und demselben Skriptorium.

Auch der Ertrag für die vergleichende Diplomatik ist erheblich. Es stammt zwar ein Großteil der fraglichen Stücke aus dem 12. Jahrhundert, aber es gibt erhebliche Abweichungen in der Form. Es fanden sich parallele und sukzessive Scheinausfertigungen, festzustellen ist die Annahme und Weitergabe verwertbarer Texte, es gab Interpolationen in ohnehin gefälschten Vorlagen und redaktionelle Überarbeitungen davon, zu sehen ist die Beteiligung von bis zu fünf Händen an einer Urkunde, die Verwendung falscher Siegelstempel usw. Arbeitet man sich durch die akribische und methodisch sichere Darlegung all dessen, was Heinemeyer im Fokus der Klostergeschichte schilderte, so entsteht auch ein Panorama, welch kreative Bandbreite durch die beschriebenen Fälschungen allein schon eines begrenzten geographischen Bereichs abgedeckt ist.

Im Übrigen ist zu notieren, dass Heinemeyers Sicht auf das Fälschen und dessen Urheber abgeklärt erscheint: Es geschah, um Rechte und Besitz zu sichern und zu bewahren und das wiederum - das Titelzitat des Bandes trifft das genau - pro amore, pro cautela necnon et honore loci. Dabei war der immer wieder im Hintergrund festzustellende Kampf der Klöster gegen weltliche Vögte oder gegen geistliche Eigenklosterherren der Grund zu fälschen, durchaus auch zur Umsetzung kirchenreformerischer Ideen im Sinne eines Freiheitskampfes, zwecks Rechtsfortbildung oder eben doch aus Begehrlichkeit auf Hab und Gut anderer. Heinemeyers Studien sind, und das unterstreicht ihren dauernden Wert, methodisch so angelegt, dass sie alternative Interpretationen ebenfalls zulassen.

Abgeschlossen wird der Band durch eine Liste neuerer Literatur, die mittlerweile ergänzt werden kann. Hinzuweisen ist auf die neue Edition der Ludowingerurkunden, wo sich zwei von Heinemeyer besprochene Stücke für Lippoldsberg finden [1], der verbesserte Abdruck der Vita des Heimerad [2] oder die Editio princeps der Vita des Konrad von Hörnsheim [3]. Nachzutragen ist auch der versehentlich fehlende, aber schon zum Erscheinungszeitpunkt verfügbare Beleg einer in Treysa ausgestellten Urkunde Heinrichs des Löwen (S. 327) [4].

Ein deutlicher Mehrwert des Wiederabdruckes besteht darin, dass die Aufsätze nun auch durch ein Personen- und Ortsregister erschlossen sind. Diese miteinander verbundenen Beiträge, deren Ertrag für die Landes-, Kloster-, Personen-, Verfassungs- und Rechtsgeschichte ebenso beachtlich ist wie für die Diplomatik im engeren Sinne, sind mit Recht wiederabgedruckt worden: Sie bleiben weiterhin ungemein anregend.


Anmerkungen:

[1] Tom Graber / Mathias Kälble (Hgg.): Die Urkunden der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen, Bd. 4, 1235-1247 (Codex diplomaticus Saxoniae I, A, 4), Peine 201[5], 113-116 Nr. 78 f.

[2] Michael Fleck (Hg.): Das Leben des heiligen Heimerad. Metrische Paraphrase von Ekkeberts Leben des heiligen Heimerad (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 67/5), Marburg 2014.

[3] Klaus Naß (Hg.): Die Vita beati Conradi de Herlsheim. Ein neuer Text aus dem Kloster Haina, in: Deutsches Archiv 64 (2008), 15-61

[4] Karl Jordan (Hg.): Die Urkunden Heinrichs des Löwen (MGH Laienfürsten- und Dynastenurkunden), Weimar 1949, 35 Nr. 25 (zu 1146/54).

Otfried Krafft