Rezension über:

Marlene Ott-Wodni: Josef Frank 1885-1967. Raumgestaltung und Möbeldesign (= Museen des Mobiliendepots; Bd. 33), Wien: Böhlau 2015, 393 S., 66 Farb-, 578 s/w-Abb., ISBN 978-3-205-79647-3, EUR 39,00
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Rezension von:
Anke Blümm
Lehrstuhl Kunstgeschichte, Brandenburgische Technische Universität, Cottbus-Senftenberg
Redaktionelle Betreuung:
Jessica Petraccaro-Goertsches
Empfohlene Zitierweise:
Anke Blümm: Rezension von: Marlene Ott-Wodni: Josef Frank 1885-1967. Raumgestaltung und Möbeldesign, Wien: Böhlau 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 3 [15.03.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/03/26822.html


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Marlene Ott-Wodni: Josef Frank 1885-1967

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"Du sollst nicht typisieren, denn das ist eine Angelegenheit der Industrie und nicht des Architekten!" - Dieses Gebot entstammt der Feder des österreichisch-schwedischen Architekten Josef Frank. [1] Das Zitat deutet auf seine interessante und vielschichtige Stellung hin, die er innerhalb der modernen Bewegung der 1920er- bis 1930er-Jahre einnimmt: Einerseits engagiert er sich aktiv im Österreichischen Werkbund und im CIAM und wird von Mies van der Rohe aufgefordert, sich mit einem Entwurf an der Stuttgarter Werkbundsiedlung am Weißenhof 1927 zu beteiligen. Andererseits ist er bekannt als einer derjenigen, der sich schon zu seiner Zeit kritisch mit den Vorstellungen, Zielen und Entwürfen der Vertreter einer radikal-funktionalistischen Moderne auseinandersetzt und nicht immer sachlich mit ihnen abrechnet. [2]

Bisher stand überwiegend Franks architektonisches Werk im Zentrum wissenschaftlicher Untersuchung. Umso begrüßenswerter ist der Versuch Marlene Ott-Wodnis, Franks Schaffen als Raumgestalter und Möbelentwerfer einer Würdigung zu unterziehen. Ihre diesbezügliche Dissertation hat sie 2009 online publiziert. [3] Das nun vorliegende, knapp 400-seitige Werk entspricht der überarbeiteten Fassung ihrer eingereichten Arbeit und ist in der Schriftenreihe der Museen des Mobiliendepots in Wien erschienen. Illustriert mit über 700 Schwarz-Weiß-Abbildungen und 66 Farbtafeln, gliedert sich das Buch in zwei Teile: Auf 120 Seiten stellt die Autorin Josef Franks Leben und Werk dar, es folgen auf weiteren 240 Seiten Katalog und Werkverzeichnis seiner Raumgestaltungen und Möbel samt Anhang.

In Teil 1 umreißt Ott-Wodni zunächst kurz die Biografie Josef Franks, bevor sie chronologisch seine frühen Berufsjahre ab 1910 und seine stilistischen Vorbilder und Einflüsse skizziert. Einen Schwerpunkt legt sie im Weiteren auf Franks Entwürfe für "Haus und Garten" (1925-1938); eine Firma, die der Architekt zusammen mit seinen Kollegen Oskar Wlach und Walter Sobotka in Wien gegründet hat. In einem nächsten Abschnitt behandelt die Autorin Franks Verhältnis zur Internationalen Moderne anhand von Werkbund und CIAM. Le Corbusier stellt sie auf 2 ½ Seiten knapp vor, wie sie auch das Bauhaus ebenso straff nacherzählt. Im letzten Kapitel ihres Textteils geht Ott-Wodni auf Franks Möbel- und Raumentwürfe (1933-1958) für die schwedische Einrichtungsfirma Svenskt Tenn in Stockholm ein. Dorthin war er als Architekt jüdischer Herkunft 1933 mit seiner Frau emigriert.

Vom Textteil herausgegriffen soll hier beispielhaft das Kapitel über Franks Stellung in der Internationalen Moderne. Mit ihren holzschnittartigen Erläuterungen verbleibt die Autorin auf deskriptiver Ebene und verpasst die Gelegenheit, in den spannenden Diskurs zwischen Tradition und Moderne, Typisierung und Individualentwurf einzuführen, auch entwickelt sie dazu keinen eigenen Ansatz. Stattdessen kommt sie zu dem Schluss, dass sich Frank einer "humanen" und "antidoktrinären" Moderne verpflichtet gefühlt habe (110). Unausgesprochen steht der bereits zeitgenössisch geäußerte, polemische Vorwurf im Raum, dass die Konzepte von Le Corbusier oder Marcel Breuer "inhuman" und "doktrinär" seien. Die Rezensentin mag diesem Urteil gerne folgen, wenn die Autorin Raumkonzepte von Le Corbusier und Frank mehr als illustrativ gegenüberstellen würde. Bei Ott-Wodni klingt es jedoch folgendermaßen: "Die Gefühlskomponente, auf die Josef Frank bei Möbeln sowie beim Einrichten generell großen Wert legt, vermisst man bei Le Corbusier vollständig. Seine Möbel und Interieurs sind durch und durch vom Funktionalismus geprägt." (112) Mit diesen vereinfachten Kategorisierungen fällt die Autorin hinter Analysen zurück, die bereits differenzierter Josef Franks Wohnkonzepte und seine Rolle in einer vielstimmigen Moderne herausgestellt haben. [4]

Das Werkverzeichnis selbst beginnt Ott-Wodni mit 105 bekannten Raumgestaltungen in chronologischer Ordnung, danach schließen sich die über 578 Möbelentwürfe an, die sowohl chronologisch als auch typologisch nach Ablage-, Behältnis-, Sitz- und Liegemöbeln und Tischen gegliedert sind.

Leider tauchen auch hier bei genauerem Blick Schwächen auf. In erster Linie handelt es sich um eine listenartige Aufzählung, was bedeutet, dass Ott-Wodni nur bei den wichtigsten Raumgestaltungen und herausragenden Möbelstücken mehr als kurze Bild- und Literaturhinweise gibt. Zudem vermerkt die Autorin bei den Möbeln lediglich das Datum des Entwurfs. Dass die Möbel eine teilweise langjährige Produktionsgeschichte in der heute noch existierenden Firma Svenskt Tenn haben, nennt sie nur vereinzelt.

Außerdem fehlen die Zusammenhänge zwischen Raum- und Möbelverzeichnis: Das heißt, dass sich bei den Raumgestaltungen meistens keine dazugehörigen Möbelverzeichnisnummern finden lassen und umgekehrt (z.B. R-WV 43, S. 205). Wieso muss der Leser dies selbst leisten? Die Autorin verschenkt ihr eigenes Wissen. Da ist es hilfreich, dass ihre Online-Publikation von 2009 eine schnelle Suche nach bestimmten Stichworten wie z.B. bestimmten Ausstellungen oder Hauseinrichtungen erlaubt, ohne dass das Werkverzeichnis immer wieder von vorne durchgeblättert werden muss. Da Ott-Wodni in der digitalen Version ihrer Arbeit noch mit anderen Verzeichnisnummern arbeitete, ist allerdings auch diese Variante der Orientierung nicht ohne Tücken.

Darüber hinaus hat die Autorin es unterlassen, eine Konkordanz zu einem 2009 über die Firma "Haus und Garten" publizierten Werkverzeichnis herzustellen. [5] Dies macht die Forschung zu den Möbeln Josef Franks nicht unbedingt einfacher. [6]

Die anspruchsvolle Arbeit eines Werkverzeichnisses soll damit nicht unterschätzt werden. Es stellt sich jedoch insgesamt der Eindruck ein, dass der lange Untersuchungszeitraum von über sechs Jahrzehnten zulasten der Detailgenauigkeit und Tiefe gegangen ist. Zwar hat Marlene Ott-Wodni ein hochwertig publiziertes und reichbebildertes Buch vorgelegt, das einen guten Überblick über die beeindruckende Fülle der Raumgestaltungen und der Möbelentwürfe Josef Franks liefert, doch die wissenschaftliche Analyse fällt etwas mager aus.


Anmerkungen:

[1] Josef Frank: Drei Behauptungen und ihre Folgen, in: Die Form 2 (1927), H. 4, 289-291.

[2] Vgl. Josef Frank: Architektur als Symbol. Elemente deutschen Neuen Bauens, Wien 1931.

[3] http://othes.univie.ac.at/8539/1/2009-12-16_0002375.pdf (abgerufen am 13.2.2016).

[4] Vgl. z.B. Nina Stritzler-Levine: Three Visions of the Modern Home: Josef Frank, Le Corbusier and Alvar Aalto, in: Josef Frank, architect and designer: an alternative vision of the modern home, hg. v. Nina Stritzler-Levine, New Haven, Conn. (u.a.) 1996, 16-29; Maria Welzig: Josef Frank (1885-1967) - das architektonische Werk, Wien 1998, darin insbesondere "Frank und die internationale Architekturavantgarde", 136-153; Stefan Neubig: Das Wohnen als Ziel des architektonischen Entwerfens, Dissertation, TU Dresden, publiziert unter: http://www.qucosa.de/fileadmin/data/qucosa/documents/366/1236952682302-3252.pdf (abgerufen am 13.2.2016).

[5] Martina Wallner: Haus & Garten - Frank & Wlach. Ein Beitrag zur österreichischen Wohnkultur, Graz 2009.

[6] Vgl. das erst kürzlich erstellte neue Verzeichnis mithilfe beider Publikationen: Claudia Cavallar: Die Sessel von Josef Frank, in: Josef Frank - against design. Das anti-formalistische Werk des Architekten [anlässlich der Ausstellung "Josef Frank: Against Design" MAK, Wien 16.12.2015 - 12.6.2016], hgg. v. Christoph Thun-Hohenstein / Hermann Czech / Sebastian Hackenschmidt / Christiane Thun-Salm, Basel 2016, 193ff. Wer Josef Franks Œuvre im Original sehen möchte, nutze die Gelegenheit, die noch bis Juni laufende Ausstellung in Wien anzuschauen.

Anke Blümm