Rezension über:

Peter Herde: Bonifaz VIII. (1294-1303). Erster Halbband: Benedikt Caetani (= Päpste und Papsttum; Bd. 43,1), Stuttgart: Anton Hiersemann 2015, X + 295 S., ISBN 978-3-7772-1508-2, EUR 158,00
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Rezension von:
Andreas Fischer
Institut für Mittelalterforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Fischer: Rezension von: Peter Herde: Bonifaz VIII. (1294-1303). Erster Halbband: Benedikt Caetani, Stuttgart: Anton Hiersemann 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 4 [15.04.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/04/27639.html


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Peter Herde: Bonifaz VIII. (1294-1303)

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Der Pontifikat und die Persönlichkeit Papst Bonifaz' VIII. polarisierte nicht nur die Zeitgenossen. Seine Amtszeit zog stets auch das Interesse der Forschung auf sich, das in zahlreichen Einzelstudien insbesondere um die Auseinandersetzung zwischen regnum und sacerdotium, dem französischen König Philipp IV. und dem Caetani-Papst, kreiste. Nach der im Jahr 2003 publizierten Biographie Bonifaz' VIII. aus der Feder von Agostino Paravicini Bagliani hat nun mit Peter Herde erneut einer der besten Kenner der Papstgeschichte eine Gesamtschau des Lebens Benedikt Caetanis in Angriff genommen. Als Teilergebnis jahrzehntelanger Forschungen zum Thema, die bereits in eine Vielzahl eigener Beiträge zur Geschichte des Papstes mündeten, liegt jetzt der erste einer auf insgesamt zwei Bände angelegten Biographie Bonifaz' VIII. vor, der den Werdegang Benedikt Caetanis in der Zeit vor seiner Erhebung zum Pontifex in den Blick nimmt.

Im umfangreichen ersten Kapitel, das der "Jugend und kirchlichen Karriere" des späteren Papstes gewidmet ist (1-154), zeichnet der Autor in chronologischem Ablauf zunächst den frühen Lebensweg und Bildungsgang seines Protagonisten nach, der den jungen Caetani von Anagni über Todi, wo er erstmals in zeitgenössischen Quellen begegnet, und die Universität in Bologna schließlich an die päpstliche Kurie führte (1-24). Dort lässt er sich zuerst im Jahr 1264 in der Umgebung des Kardinals Ottobuono Fieschi und als Kapellan des Papstes Urban IV. nachweisen. Die Darstellung begleitet dann den Geistlichen an der Seite des Kardinals Simon de Brion, später auch Ottobuono Fieschis, auf deren Missionen in Patras, Frankreich und England (24-48). Seiner Tätigkeit als Notar der päpstlichen Kanzlei, die seit 1276 nachweisbar ist, spürt Herde in einem weiteren Unterabschnitt nach (48-76). In diesem Rahmen wird auch die Aktivität Benedikts in Verbindung mit den Bemühungen Papst Nikolaus' III. um die Aussöhnung zwischen Rudolf von Habsburg und Karl von Anjou behandelt, die der Caetani neben Kardinal Matteo Rosso Orsini maßgeblich mitgestaltete; der Mitautorschaft Benedikts bei einem consilium, das die heikle Frage des Einzugs des Besitzes verstorbener Häretiker durch die Inquisition erörterte und wohl im Pontifikat des Orsini-Papstes entstand, wendet sich die Darstellung ebenfalls zu.

Mit der Erlangung des Kardinalats begann eine neue Phase in der Karriere Benedikts, die im Folgenden thematisiert wird (76-97). Im April 1281 wurde der Caetani von Papst Martin IV. zum Kardinaldiakon von S. Nicola in Carcere Tulliano ernannt (80). Unter ihm und seinem Nachfolger Honorius IV. dominierten freilich vorerst Routineaufgaben im kurialen Tagesgeschäft wie die Prüfungen von Wahlen von Bischöfen und Äbten das Tätigkeitsfeld des neu Kreierten, zu dem er selbst auch die Förderung von Nepoten zählte (92f., 120).

Als schließlich der Auftrag an ihn erging, den militärischen Konflikt zwischen Perugia und Foligno zu schlichten, bildete dies den Auftakt zu ausgreifenden Legationen, die Benedikt im Pontifikat Nikolaus' IV. zugewiesen wurden (97-154). Eine erste Mission führte den Kardinal aufgrund der Konflikte im Gefolge der Sizilianischen Vesper und der Besetzung der Insel durch die Aragonesen an der Seite von Kardinal Gerhard von Parma zu Karl II. von Anjou nach Gaeta, ehe man gemeinsam im Frühjahr 1290 wohl zu Vermittlungsversuchen in die Provence und nach Paris aufbrach. Dort engagierte sich der Caetani auch in der Auseinandersetzung um die Predigt und die Abnahme der Beichte, die sich zwischen den Mendikanten einerseits und dem französischen Episkopat sowie den Magistern der örtlichen Universität andererseits entwickelt hatte. In dieser Diskussion treten zum ersten Mal die herrischen, sarkastischen Charakterzüge des Kardinals offen zutage, die sein Bild in der Nachwelt so nachhaltig prägen sollten. Das Bewusstsein seiner eigenen Position als Legat, zugleich aber auch die ihn, den beinahe Sechzigjährigen, offenbar tief durchdringende Auffassung von der unanfechtbaren päpstlichen Autorität, die er als Legat an der Peripherie repräsentierte, hatten ihn wohl zu einer Tirade verleitet, mit denen er die Gegner der Bettelorden regelrecht bloßstellte und sich so Feinde für die Zukunft schuf. Zugleich entwickelte sich in jener Zeit, so die These Herdes, die unabhängig-distanzierte Haltung Benedikts gegenüber Frankreich und seinem noch jungen Monarchen, dem er in Paris ebenfalls begegnete, die später seinen Pontifikat bestimmen sollte (137). Neben seiner Tätigkeit im Dienst der Kurie ging auch die Karriere im Kardinalskollegium weiter voran, wenn auch nicht so, wie es sich der Caetani erhofft haben mag. Zwar hatte Nikolaus IV. ihm offenbar die Promotion auf ein Kardinalbistum in Aussicht gestellt, doch wurde er im September 1291 nicht an die Spitze einer suburbikarischen Diözese, sondern nur zum Kardinalpriester von S. Martino ai Monti berufen (146-150; 194).

Im anschließenden zweiten Kapitel, das sich mit Benedikts "Weg zum päpstlichen Thron" befasst (155-209), werden zunächst die Ereignisse in der langen Vakanz nach dem Tod Nikolaus' IV. am 4. April 1292 behandelt. Im Kardinalskollegium, das sich, von den Rivalitäten und Intrigen zwischen den Colonna und den Orsini zerrissen, über zwei Jahre lang auf keinen Kandidaten einigen konnte, spielte der Caetani eine nur nachgeordnete Rolle. Von einem Steinleiden geplagt, entfernte er sich von der in Rom tagenden Gruppe und nutzte die Zeit seines Aufenthalts auf seinem Besitz in Sismano nicht nur für theologische Diskussionen, sondern auch für den (zunächst freilich erfolglosen) Versuch, seiner Familie Gebiete im nördlichen Latium zu sichern, die zur Grafschaft Aldobrandeschi gehörten. Bei der Papstwahl in Perugia selbst war schließlich Benedikt zwar unter den ersten, die Cölestin V. im Rahmen der "Inspirationswahl", deren Hintergründe Herde detailliert nachzeichnet, ihre Stimme gaben. An den Ränkespielen, die zur Auswahl des Einsiedlers Peter vom Morrone führten, hatte er gleichwohl keinen Anteil. Dennoch gelang es ihm, wie der Verfasser im Folgenden differenziert darzulegen vermag, ein enges Verhältnis zum Papst aufzubauen. Im Zusammenhang mit dem Rücktritt Cölestins nach kaum mehr als fünf Monaten im Amt charakterisiert Herde Benedikt zwar einerseits als "die treibende Kraft" (207) bei der Umsetzung der Entscheidung, vom Papstthron herabzusteigen: er setzte den Papst korrekt über die Rechtslage in Kenntnis und half ihm bei der Formulierung einer entsprechenden Verlautbarung. Zugleich relativiert er aber die Benedikt von der Nachwelt unterstellten Intrigen, mit denen dieser die Abdankung regelrecht herbeigeführt habe, um selbst die cathedra Petri in Besitz nehmen zu können.

Mit der Wahl des Caetani zu Papst Bonifaz VIII., seiner Weihe und Krönung befasst sich das letzte der drei Kapitel (211-248). Es basiert teilweise unmittelbar (s. etwa 211 Anm. 1 zum Kapitel 3) auf älteren Arbeiten Herdes und enthält Überlegungen zum Kreis der Teilnehmer an der Wahl, zu dessen Zusammensetzung und zu den Interessenkonstellationen, die letztlich die Erhebung Benedikt-Bonifaz' ermöglichten. Im Zuge der Darstellung des Wahlablaufs behandelt der Autor auch den Bericht des Thüringer Pfarrers Siegfried von Ballhausen, wonach Bonifaz erst im letzten von insgesamt drei Wahlgängen zum Pontifex erhoben worden sei, nachdem Matteo Rosso Orsini das ihm angebotene Amt in einem ersten Durchgang abgelehnt und ein zweiter Versuch keine Zweidrittelmehrheit erbracht hatte. Dabei legen die Ausführungen Herdes nahe, dass der Chronist in seiner Darstellung aus einer Bonifaz feindlichen, den Colonna nahestehenden Quelle schöpfte - Benedikt vermochte im Gegensatz zu der darin verbreiteten Variante offenbar sehr zügig die Stimmen der Kardinäle in einem ersten Durchgang auf sich zu vereinigen, obschon es Konkurrenten um das Papstamt gab. Das Buch endet mit der Beschreibung der ersten Amtshandlungen des neuen Papstes, darunter die Verlagerung der Kurie aus Neapel nach Rom, ferner mit der Darstellung von Weihe und Krönung in der Stadt am Tiber und mit Überlegungen zur Wahl seines Papstnamens. Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis (249-278) rundet den Band ab, der durch ein Register der Orts- und Personenamen erschlossen wird (279-295).

In seiner materialreichen Darstellung bettet der Autor die Biographie Benedikt Caetanis tief in die politischen Ereignisse der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein. Umsichtig zeichnet er dabei ein Bild des späteren Papstes, das sich vor allem auf zeitgenössische Quellen stützt: deutlich grenzt er dieses von den in der Monographie immer wieder thematisierten Verzerrungen ab, durch die die Erinnerung an den Papst, die im Zuge des gegen ihn angestrengten Prozesses zu Beginn des 14. Jahrhunderts und in der allgemeinen Rückschau späterer Historiographen wie Giovanni Villani thematisiert wurde, erheblich entstellt wurde. Wiederholt beleuchtet Herde den Charakter Benedikts, namentlich dessen schon als Kardinal erkennbare Arroganz, ohne dabei allerdings die Psychologisierung über die Belastbarkeit der Quellen hinauszutreiben. Dass ein solch umfangreiches Werk kleinere Versehen enthält, fällt vor dem Hintergrund der beeindruckenden Arbeitsleistung kaum ins Gewicht. Mit Spannung erwartet man den zweiten Band, der sich dem Pontifikat des Caetani widmen wird.

Andreas Fischer