Rezension über:

Ondřej Ševeček / Martin Jemelka (eds.): Company Towns of the Bat'a Concern. History - Cases - Architecture, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2013, 311 S., ISBN 978-3-515-10376-3, EUR 56,00
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Rezension von:
Uwe Müller
Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) an der Universität Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Uwe Müller: Rezension von: Ondřej Ševeček / Martin Jemelka (eds.): Company Towns of the Bat'a Concern. History - Cases - Architecture, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2013, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 5 [15.05.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/05/28764.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Ondřej Ševeček / Martin Jemelka (eds.): Company Towns of the Bat'a Concern

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Die 1894 in Mähren gegründete, Schuhe produzierende Firma Baťa und die von ihr auf drei Kontinenten gegründeten Fabrikstädte stellen ein außergewöhnlich vielfältiges, in mancherlei Hinsicht geradezu faszinierendes Untersuchungsfeld für die Wirtschafts- und Sozial-, Unternehmens- und Architekturgeschichte sowie die historische Urbanistik dar. Nach einer Phase der - neutral formuliert - Vernachlässigung der Baťa-Geschichte in der Zeit des Staatssozialismus fanden in den letzten Jahren umfangreichere Forschungen zu dem Thema statt. Deren Ergebnisse werden in dem Band, der auf einer Tagung von 2011 beruht, innerhalb von vier Kapiteln vorgestellt.

Im ersten Teil führt Mitherausgeber Ondřej Ševeček in die Thematik ein, indem er kurz die wesentlichen Ereignisse der Unternehmensgeschichte nennt, vor allem aber die wichtigsten zeitgenössischen und historiografischen Arbeiten über die Architektur und die Stadtentwicklung von Baťas Company Towns vorstellt. Tatsächlich gibt es mittlerweile mehrere Studien, die die transnationalen Entstehungsbedingungen - insbesondere die amerikanischen Einflüsse - der Architektur von Zlín beleuchten oder auch andere Baťastädte - etwa in der Slowakei und der Schweiz - genauer analysieren. Sie gehen mehr oder weniger explizit davon aus, dass der Bau von Wohnungen und die Anlage entsprechender kommunaler Infrastrukturen als Ergebnis des sozialen Engagements des Firmengründers Tomáš Baťa anzusehen sind. Eine unternehmenshistorische Gesamtdarstellung des Baťa-Konzerns existiert jedoch leider nicht. Wenn also Ševeček - zu Recht - feststellt, dass man ohne Kenntnisse der wirtschaftlichen Interessen und Präferenzen des Unternehmens weder dessen betriebliche Sozialpolitik noch dessen öffentliches Engagement bewerten kann (25f.), so beschreibt er nicht nur ein Problem des bisherigen Forschungsstandes, sondern auch ein zentrales Defizit des von ihm herausgegebenen Buches. Damit soll hier nicht ein - wie auch immer geartetes - Primat der Ökonomie eingefordert werden, sondern es geht im Gegenteil um den Einfluss von betrieblicher Sozialpolitik, ja von Unternehmenskultur insgesamt auf das wirtschaftliche Ergebnis.

Es ist schließlich bemerkenswert, dass die globale Expansion des Baťa-Konzerns und damit auch die Gründung neuer Baťa-Städte um 1930 einsetzten und 1938/39 ihren Höhepunkt erlebten. Der anfangs nicht negative Einfluss dieser wirtschaftlich und später auch politisch sehr krisenhaften 1930er Jahre auf die Entwicklung des Unternehmens wird sowohl in Ševečeks Einleitung als auch in den anderen Aufsätzen nur dilatorisch behandelt. Folglich stehen die verschiedenen Erklärungen für das starke städtebauliche Engagement eher unverbunden nebeneinander. Sie reichen von der schlichten Unfähigkeit der Kommune Zlín, auf das Wachstum des Konzerns durch Bereitstellung von Wohnungen und Infrastruktur zu reagieren, über die Skepsis gegenüber (zentral-)staatlicher Sozialpolitik bis zur Umsetzung agrarsozialistischer oder anderer utopischer Ideen Tomaš Baťas. Der jeweilige Stellenwert dieser Faktoren ist sicher schwer zu ermitteln. Eindeutiger sind dagegen im Falle der tschechoslowakischen Schuhindustrie das Zusammenwirken eines schwachen Binnenmarktes und geringer Exportmöglichkeiten sowie die schon in Zlín, aber auch bei fast allen anderen Standortentscheidungen zu beobachtende Tendenz zur Präferierung eher peripherer Regionen mit ausreichendem Arbeitskräfteangebot und entsprechend geringen Lohnstückkosten. Jenseits dieser ökonomischen Grundtatsachen erwiesen sich Baťas Kombinationen aus Werk und Stadt jedoch als außerordentlich flexibel, so dass Ševeček am Ende seines Beitrages die Frage nach der über Systemgrenzen hinweg bestehenden Kontinuität des Baťa-Modells aufwirft und damit ein wichtiges, noch weitgehend unberührtes Forschungsfeld aufzeigt.

Der zweite Teil des Buches enthält drei Aufsätze, die aus verschiedenen Ausstellungsprojekten erwachsen sind und zentrale Aspekte der Baťa-Geschichte behandeln. Martin Marek und Vit Strobach weisen nach, dass die in Zlín betriebene Sozialpolitik nur in Verbindung mit den vielfältigen Mechanismen der sozialen Disziplinierung im Sinne von Pierre Bourdieu verstanden werden kann. Zachary Doleshal zeigt, dass Baťas Präsentation im tschechischen Pavillon auf der New Yorker Weltausstellung von 1939 sowohl den Höhepunkt seines Einflusses auf die Tschechoslowakei als auch das faktische Ende Baťas als tschechisches Unternehmen symbolisierte. Antonie Doležalová weist zu Recht darauf hin, dass nicht nur die während der USA-Reisen gesammelten Eindrücke sowie die Rezeption des Taylorismus Einfluss auf Tomaš Baťas sozialpolitische Ideen und seine betriebliche Sozialpolitik hatten, sondern Baťa durch seine Präferenz für durch Privatpersonen und Vereine getragene Sozialfürsorge auch Staatsinterventionen vermeiden wollte. Inwieweit er damit allerdings einem spezifisch "tschechischen" Wirtschaftsdenken, etwa dem "Laboretismus" von Václav Verunáč, folgte, wäre zu diskutieren. Der dritte Teil enthält Studien zu einzelnen Company Towns des Baťa-Konzerns in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und der Slowakei sowie in den USA und Kanada. Auch der letzte Beitrag des Bandes von Markéta Březovská über das indische Batanagar gehört in diesen Kontext. Umfang, theoretische Ausgangspunkte, Schwerpunktsetzungen und empirische Fundierung der einzelnen Aufsätze differieren erheblich. Dennoch bieten sie zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine - freilich noch zu schreibende - komparative Darstellung der Baťa-Städte, die dann wahrscheinlich auch gegenseitige Verflechtungen aufzeigen würde. Im vierten und letzten Teil ändert sich die Perspektive der Beiträge, indem nun die bauliche Stadtentwicklung und die funktionalistische Architektur genauer untersucht werden, wobei es zwei Aufsätze zum "Original" Zlín - davon einer speziell zur Einführung der Plattenbauweise - sowie einen Beitrag zum slowakischen Baťovany/Partizánske gibt.

Das Buch ist also höchst informativ, auch weil es neben etlichen Abbildungen ein Personen- und Ortsregister sowie eine Gesamtbibliografie enthält. Eine abschließende, historisch-kritische Wertung des Zusammenspiels von Unternehmensentwicklung, betrieblicher Sozialpolitik und Stadtgestaltung in Baťas Company Towns liefert der Band jedoch (noch) nicht. Dies liegt zum einen an dem bereits konstatierten Defizit in der Unternehmensgeschichte. Außerdem werden Baťas Company Towns hier nur selten und nie systematisch mit älteren Werkssiedlungen des 19. Jahrhunderts oder anderen "modernen" Fabrikstädten des 20. Jahrhunderts, die es ja nicht nur in den USA, sondern auch in Mittel- und Westeuropa gab, verglichen. Schließlich muss auch erwähnt werden, dass in einigen Beiträgen eine tendenziell unkritische Grundhaltung gegenüber Baťa eingenommen wird. Der Status des Unternehmens als eines der wenigen global und in vielerlei Hinsicht auch erfolgreich agierenden tschechischen Unternehmen der Zwischenkriegszeit hat möglicherweise dazu beigetragen, dass auch die betriebliche Sozialpolitik sowie das städtebauliche und architektonische Wirken zumeist eher wohlwollend beschrieben als kritisch analysiert werden. Die zeitgenössische Debatte über das Baťa-System, die zeitweise zu einer regelrechten "anti-Baťa movement of a transnational character" (Ševeček, 17) führte, wird nur am Rande erwähnt und selten als Quelle genutzt. Die für das zentrale Thema durchaus wichtigen Feststellungen, dass im Zlíner Alltagsleben eher das Gegenteil des Baťa-Prinzips "Work collectively, live individually" vorherrschte und die funktionalistische Architektur nicht nur durch die rationalisierte Fabrik inspiriert war, sondern mit der Förderung des Wettbewerbs innerhalb der dort wohnenden Belegschaft und der Steigerung des Prestiges des Unternehmens auch unmittelbare betriebswirtschaftliche Funktionen hatte, finden sich in dieser Klarheit nur bei Theresa Adamski (224, 247) sowie andeutungsweise bei Marek und Strobach. Baťa sollte also bald Gegenstand einer kritischen Unternehmensgeschichte werden, und Baťas Städte bieten nach ihrer Wiederentdeckung durchaus noch Stoff für vielfältige und fruchtbare Kontroversen.

Uwe Müller