Rezension über:

Doris Guth / Elisabeth Priedl (Hgg.): Bilder der Liebe. Liebe, Begehren und Geschlechterverhältnisse in der Kunst der Frühen Neuzeit (= Image; Bd. 29), Bielefeld: transcript 2012, 336 S., ISBN 978-3-8376-1869-3, EUR 34,80
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Rezension von:
Maria E. Engelskirchen
Institut für Kunstgeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Kristina Deutsch
Empfohlene Zitierweise:
Maria E. Engelskirchen: Rezension von: Doris Guth / Elisabeth Priedl (Hgg.): Bilder der Liebe. Liebe, Begehren und Geschlechterverhältnisse in der Kunst der Frühen Neuzeit, Bielefeld: transcript 2012, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 6 [15.06.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/06/28656.html


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Doris Guth / Elisabeth Priedl (Hgg.): Bilder der Liebe

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Als prominente Referenzsysteme des frühneuzeitlichen Liebesdiskurses firmieren wesentlich Neuplatonismus, Petrarkismus und antik-hedonistische Lyrik. Das überwiegend philosophisch unterfütterte und im gelehrten Rahmen stattfindende Sprechen über Liebe stellte einen legitimierenden Rahmen für die Beschäftigung mit erotischer Literatur und Kunst dar und erfuhr, wie Klaus W. Hempfer für die Lyrik des 16. und 17. Jahrhunderts dargelegt hat, eine Pluralisierung verschiedener Diskurstypen. [1] Eine weitere Ausdifferenzierung und Neuperspektivierung der Vielfalt des erotischen Diskurses in Text- und Bildzeugnissen strebte die 2010 an der Akademie der bildenden Künste in Wien ausgerichtete Tagung Questioni d'amore. Liebes- und Geschlechterverhältnisse in der bildenden Kunst der Frühen Neuzeit an. Der vorliegende Band versammelt die Vorträge dieser Tagung und wurde um die Beiträge weiterer Autorinnen und Autoren ergänzt.

In ihrer Einleitung begründen die Herausgeberinnen die Notwendigkeit, die kunst- und literaturwissenschaftliche Forschung zu Liebesdiskursen in der Frühen Neuzeit um den Begriff des "Geschlechts" zu ergänzen, da dieser eine Berücksichtigung der "vielfältige[n] gesellschaftliche[n], juristische[n] und medizinische[n] Aspekte" (8) erlaube, die zugunsten einer Fokussierung auf die philosophischen Diskurse zumeist in den Hintergrund gerückt worden seien. Sie konstatieren eine hieraus resultierende einseitige und häufig heteronormative Betrachtung, die nun aufgebrochen werden soll, ohne dabei jedoch in anachronistische Lesarten zu verfallen.

Geografisch und zeitlich bewegen sich die Beiträge im italienischen und nordalpinen Raum des 16. bis 18. Jahrhunderts und analysieren anhand von Fallbeispielen die literarischen und "visuellen Codierungen" (18) legitimer wie illegitimer Begehrensstrukturen. Markant tritt hierbei hervor, dass die Kunst sowohl einen repräsentativ-sanktionierenden Rahmen bilden konnte als auch einen Freiraum bot, in dem Liebesmodelle abseits normativer Verhaltensregeln darstellbar waren.

Die Grenzen zwischen diesen beiden Polen waren hingegen fließend und doppeldeutige Interpretationsmöglichkeiten durchaus intendiert. Das arbeitet Ulrich Pfisterer in seinem Beitrag heraus und legt dar, dass moralisierende Darstellungen und Narrative ambivalente Lesarten zuließen, die in der Betonung sexueller Maßregelung gleichzeitig eine Lust an Bild und Text implizierten. Ebenso zeigt die Untersuchung von Birgit Witte, wie die im höfischen Kontext des Cinquecento übliche Tradition des Brautporträts erotische Symbolik und petrarkistische Tugendattribute miteinander verflocht und im wahrsten Sinne des Wortes in geknüpften und sich lösenden Knotenmotiven ins Bild setzte. Im Gegensatz hierzu heben sich die Eheporträts als Bildtypen ab, in denen sich sowohl machtpolitische Ansprüche manifestierten als auch eine exemplarische Form des ehelichen Miteinanders inszeniert wurde.

Das self-fashioning eines erstarkenden Bürgertums analysiert Daniela Hammer-Tugendhat anhand eines Familienporträts von Rembrandt. Die sich in Folge der Reformation konsolidierende Konzeption der Ehe als einer von zärtlich-affektivem Pflichtbewusstsein geleiteten Gemeinschaft führte zur Herausbildung einer "spezifisch bürgerlichen Emotionskultur" (137) in den protestantischen Niederlanden des 17. Jahrhunderts.

Die unterschiedlichen Darstellungsmodi waren ebenso von Bedeutung wie der Ort, an dem Erotik und illegitimes Begehren stattfinden und gezeigt werden konnten. In Ausweitung der von Michel Foucault geprägten Terminologie weist Claudia Denk die maison de plaisance der Marquise de Pompadour als Heterotopie aus, in deren allegorisch dichtem Bildprogramm unterschiedlicher Liebes- und Freundschaftsmodelle zugleich die intellektuelle Versiertheit der Auftraggeberin exemplifiziert als auch ihre Beziehung zu Ludwig XV. ikonografisch legitimiert wurden. Diese Simultaneität vermeintlich inkompatibler Liebeskonzeptionen wird vor allem in der Berücksichtigung weiblicher Autorschaft deutlich, wie Silke Segler-Meßner darlegt. Louise Labé, Tullia d'Aragona und Gaspara Stampa indizierten das männlich dominierte philosophisch-literarische Referenzsystem des Petrarkismus, um mittels diesem eine "Revision geschlechtsspezifischer Topoi" (222) zu vollziehen. Die Dialogform eignete sich somit besonders, um im Sinne der aemulatio kenntnisreich in Konkurrenz zu den männlichen Modellen zu treten und diskursiv eine weibliche Perspektive zu etablieren.

Die in der Frühen Neuzeit vorherrschende Sensibilisierung für "das Erlernen geschlechtsspezifischen Gefühlslebens" und infolgedessen die Möglichkeit, die Grenzen des "sozialen Regelwerk[s]" (10) auszuloten, manifestiert sich in der literarischen wie künstlerischen Affinität zu androgynen und homoerotischen Darstellungen, denen der Sammelband besondere Aufmerksamkeit zukommen lässt. Die Beiträge von Lisa K. Regan und Andreas Plackinger erkunden anhand der Tommaso de' Cavalieri zugeeigneten Zeichnungen Michelangelos beziehungsweise eines Knabenporträts Parmigianinos die homosozialen Strukturen im Cinquecento. Wird hier die sinnlich-androgyne Qualität des jugendlichen Mannes besonders hervorgehoben, so bilden die Analysen eine Klammer mit dem Beitrag von Verena Krieger, die die Repräsentation viriler Ideale in Adamsbildern nachzeichnet. Stellt sich die Forschungslage zu gleichgeschlechtlicher Liebe unter Männern als verhältnismäßig dicht dar, so konstatiert Doris Guth in Bezug auf die historische Aufarbeitung weiblichen homoerotischen Begehrens ein Desiderat, welches sie in ihrem Beitrag zu umreißen sucht.

Durch den Fokus auf diese noch wenig beleuchteten Aspekte können die Beiträge als Impulsgeber für vertiefte Analysen betrachtet werden, wie sie von einigen der Autorinnen und Autoren in ausführlicherer Form in der 2014 erschienenen Abschlusspublikation des DFG-Netzwerks Liebessemantik veröffentlicht wurden. [2] In summa leistet der Sammelband in Einzelanalysen differenzierte Perspektivierungen auf spezifische Ausformulierungen der Geschlechter- und Liebesverhältnisse in der Frühen Neuzeit, die eine Simultaneität verschiedener Liebeskonzepte betonen, ohne auf die dominanten philosophischen Referenzsysteme beschränkt zu bleiben. Kunst und Literatur werden vielmehr als Orte ausgewiesen, an denen sich diese Diversität ästhetisch artikulieren und ausgehandelt werden konnte.


Anmerkungen:

[1] Klaus W. Hempfer: "Die Pluralisierung des erotischen Diskurses in der europäischen Lyrik des 16. und 17. Jahrhunderts (Ariost, Ronsard, Shakespeare, Opitz)", in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 69 (1988), 251-264.

[2] Kirsten Dickhaut (Hg.): Liebessemantik. Frühneuzeitliche Repräsentationen von Liebe in Italien und Frankreich, Wiesbaden 2014.

Maria E. Engelskirchen