Antoni Biosca Bas (ed.): Petrus Marsilii. Opera omnia. Liber gestorum. Epistola ad Abdalla (= Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis; 273), Turnhout: Brepols 2015, XLIV + 481 S., ISBN 978-2-503-55218-7, EUR 285,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Bertram Resmini (Bearb.): Germania Sacra. Dritte Folge 11: Die Bistümer der Kirchenprovinz Trier. Das Erzbistum Trier 13. Die Benediktinerabtei St. Maximin vor Trier, Berlin: De Gruyter 2016
Philipp W. Rosemann (ed.): Mediaeval Commentaries on the Sentences of Peter Lombard. Volume 2, Leiden / Boston: Brill 2010
Gwilym Dodd / Anthony Musson (eds.): The Reign of Edward II. New Perspectives, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2006
Am 2. Juni 1314 übergab der mallorquinische Dominikaner Petrus Marsilii (Pere Marsili) im Predigerkonvent zu Valencia König Jakob (Jaume) II. eine Chronik. Der König hatte sie selbst in Auftrag gegeben und wollte damit an die Taten (res gestae) seines Großvaters Jakobs I., des Eroberers (1208-1276), erinnern: der Öffentlichkeit sollte eine offizielle Chronik von dessen Regierungszeit präsentiert werden. Petrus Marsilii ist in der Mittelalterforschung kein Unbekannter, allerdings können ihm nur zwei Werke zweifelsfrei zugeschrieben werden: die Chronice illustrissimi regis Aragonum domini Iacobi uictorissimi principis, auch unter dem sehr viel schlichteren Titel Liber gestorum bekannt, und die Epistola ad Abdalla. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit wurde Petrus immer wieder zu offiziellen diplomatischen Missionen hinzugezogen, deren bekannteste wohl diejenige ist, die ihn 1309 an den päpstlichen Hof nach Avignon führte.
Petrus Marsilii legte seiner Chronik den katalanischen Llibre dels fets zugrunde, dessen ursprüngliche, heute verlorene Fassung von ihm übersetzt wurde. Seine Chronik ist jedoch sehr viel mehr als eine geschickt ins Lateinische übertragene Fassung dieses Llibre dels fets, enthält sie doch umfangreiche Änderungen und Ergänzungen, die derart tiefgreifend sind, um aus der Chronik ein Werk eigenen Rangs zu machen. Bereits im Prolog lässt Petrus keinen Zweifel daran aufkommen, dass er seinen Auftraggeber zufriedenstellen möchte, gibt er doch unverblümt zu verstehen, dass das, was Rodrigo Jiménez de Rada, der Erzbischof von Toledo, in seiner Schrift De rebus Hispanie über den Eroberer zu berichten wusste, ganz und gar ungenügend sei. Ganz offensichtlich hatte der, den Petrus digitus Dei nennt und dem er bescheinigt, vere manus Dei erat cum illo (3), Besseres verdient. Tatsächlich hatte die aragonesische Krone unter Jakob I. eine erste Blütephase erlebt. Ihm gelang nicht nur die Etablierung zweier christlicher Königreiche 1229 in Mallorca und 1238 in Valencia, sondern auch die Eroberung des Königreichs Murcia. Ein Kreuzzug nach Palästina 1269 erhöhte das Prestige, das vornehmlich auf erfolgreicher territorialer Expansion manu militari beruhte.
Dem Editor Antoni Biosca, der an der Universität von Alicante lateinische Philologie unterrichtet und bereits mit mehreren Editionen spanischer Autoren des 14. Jahrhunderts auf sich aufmerksam machen konnte, kann nicht genug dafür gedankt werden, diese Chronik-Edition in Angriff genommen und damit eine 1984 als Dissertation erschienene, defizitäre kritische Edition ersetzt zu haben. [1] Die Textherstellung ging von den vier erhaltenen Handschriften aus (U - Barcelona, Biblioteca Universitaria, ms. 64 [1313]; C - Barcelona, Biblioteca de Catalunya, ms. 1018 [16. Jahrhundert]; M - Palma de Mallorca, Arxiu del Regne de Mallorca, ms. 40 [14. Jh.]; P - Palma de Mallorca, Arxiu Capitular de Mallorca, ms. 3416 [14. Jahrhundert]), wobei der Handschrift C als einzigem Zeugen, der den vollständigen Text überliefert, besondere Bedeutung zukam. Der Edition zugrunde gelegt wurde freilich die älteste Barceloneser Handschrift U, die - wie das Stemma verdeutlicht (xxiv) - als "texto original de Pere Marsili" (xxi) und damit als unmittelbare Übersetzung des katalanischen Llibre dels fets anzusehen ist, in der die erste Person des Originals durch die dritte Person ersetzt worden ist. Der Editor positioniert sich damit unmissverständlich im Forschungsstreit darüber, ob unter Umständen die lateinische Fassung der katalanischen vorangegangen sein könnte.
Petrus' lateinischer Text wartet mit einem gefälligen, gut lesbaren Latein auf, das durch lexikographische Innovationen besticht und durch die Wiedergabe von Dialogen abwechslungsreich gestaltet wird. Gegliedert ist er in vier Bücher: das erste (26 Kapitel) handelt über die Jugend des Königs und die Eroberung der Grafschaft Urgell, während das zweite (49 Kapitel) über die Eroberung der Balearen, das dritte (78 Kapitel) über die Eroberung des Königreichs Valencia, das vierte schließlich (49 Kapitel) über die Einnahme des Königreichs Murcia berichtet. Wer nun befürchtet, mit einer langatmigen Aneinanderreihung von Schlachten und Feldzügen behelligt zu werden, sieht sich getäuscht. Nicht nur die an spanischer Geschichte des 13. Jahrhunderts Interessierten werden durch die Lektüre des Textes reichen Gewinn davontragen. Man erfährt viel über Streit- und Verhandlungsführung - unnachahmlich das Sendungsbewusstsein, das aus den Worten des Erzbischofs von Tarragona spricht, der dem jugendlichen, die Eroberung Mallorcas planenden König bescheinigt, vom magno et sano uestrorum consilio (73) nur profitieren zu können -, über das konkrete diplomatische Procedere, in das auch das Papsttum eingebunden wird, bis hin zu den Ansprachen, die in Versammlungen gehalten worden sind. Einige der in wörtlicher Rede wiedergegebenen Ansprachen (sermones) wie beispielsweise diejenige des Bischofs von Barcelona in Anschluss an die Eroberung Mallorcas (lib. II, c. 21) hätten größere Aufmerksamkeit innerhalb der (Oratorik-)Forschung verdient. Eine Traueransprache Jakobs I. zeigt den aragonesischen König als Kenner von Predigt- und Oratoriklehren - man ist fast geneigt, in ihm einen frühen Vorläufer Roberts des Weisen von Neapel zu sehen. Einblicke in die Befindlichkeiten einzelner aragonesischer Dominikaner wie beispielsweise Raymunds von Peñaforte (lib. IV, 47-49) werden ebenso gewährt wie in die Einbindung des Predigerordens in die königliche Politik insgesamt.
Feingeistige Auseinandersetzungen mit islamischer Theologie sind in der Chronik angesichts der ausgebreiteten Eroberungsszenarien nicht unbedingt zu erwarten und tatsächlich erscheinen die Sarraceni nahezu durchgängig als Feinde, die es zu bekämpfen (in den meisten Fällen heißt dies: zu töten) gilt. Per totum orbem ad dissipandam Sarracenorum rabiem famosissimus (411) - dieses Etikett haftete Jakob I. an und führte zu einer herausgehobenen Position auf dem Konzil von Lyon 1245, dessen erste Sessio detailliert beschrieben wird (lib. IV, 40). Die rabies Sarracenorum scheint freilich in der rabies Christianorum gespiegelt - aufschlussreich in dieser Beziehung ist der Streit, der nach der Eroberung von Murcia um die Zukunft der Mezquita im Alcazar entbrennt (lib. IV, 11).
Die Epistola - mit nur 216 Zeilen von überschaubarem Umfang - steht beispielhaft für das Bestreben der Predigerbrüder, sich im theologischen Streit mit dem bzw. gegen den Islam zu positionieren und durchaus polemisch unverhandelbare Positionen zum Ausdruck zu bringen. Konkret reagiert Petrus darin auf den stabilis ruine tue rumor (449), den der Übertritt des Franziskanerbruders Andreas zum Islam verursacht hatte. Der Brief ist in elf Handschriften überliefert, die allesamt italienischen Ursprungs sind. Dies wird vor dem Hintergrund der Persönlichkeit des "Kardinals von Aragon", Nikolaus Rossell, verständlich. Die Verbindung des Petrus Marsilii zu dem einflussreichen Kardinal - beide gehörten nicht nur derselben natio, sondern auch demselben Orden an -, wird skizziert, hätte im Grunde genommen aber eine eigene Detailstudie verdient. Ob Rossell, der 1326 in den Mallorquiner Predigerkonvent eintrat, Petrus noch persönlich kannte, ist strittig, da Petrus' exaktes Todesdatum unbekannt ist. Der Hypothese, dass Nikolaus den Archetyp des Briefs aus Mallorca selbst mitgebracht oder zu einem späteren Zeitpunkt von dort erhalten haben könnte, eignet jedoch ein hohes Maß an Plausibilität.
Die beiden Editionen verfügen über lediglich einen Apparat, der die Varianten verzeichnet. Der Verzicht auf einen apparatus fontium ist deshalb verschmerzbar, weil sich neben einigen wenigen, vor allem den Evangelien entnommenen Schriftzitaten, lediglich ein Klassikerzitat aus Ovids Ars amatoria findet (Index fontium, 462). Dankbar ist man für die moderne Interpunktion, die den Text sinnvoll strukturiert und die Lektüre erheblich vereinfacht.
Summa summarum: zwei hochinteressante, mustergültig edierte Texte, die - wenn auch nicht gänzlich unbekannt - unsere Kenntnis der spanischen Geschichte und der Einbindung (vor allem) Aragons in das Konzert der europäischen Mächte im Übergang vom Hoch- zum Spätmittelalter erheblich erweitern und bereichern.
Anmerkung:
[1] Desamparados Martínez San Pedro: La crónica latina Jaime I. Edición crítica, estudio e índices, Almería 1984.
Ralf Lützelschwab