Giandomenico Romanelli (a cura di): I Vivarini. Lo splendore della pittura tra Gotico e Rinascimento, Venedig: Marsilio Editori 2016, 167 S., ISBN 978-88-317-2326-8, EUR 34,00
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Die Maler der Familie Vivarini gehörten mit ihrer zwischen 1440 und 1504 dokumentierten, umfangreichen Produktion zu den Künstlern, die die Bildkulturen Venedigs prägten. [1] Dennoch hat die Forschung Antonio, seinen Schwager Giovanni d'Alemagna, seinen jüngeren Bruder Bartolomeo und den Sohn Alvise eher marginal behandelt, wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie sich gängigen Modellen künstlerischer Entwicklung ebenso wie den üblichen Epochenschemata widersetzen. Die frühen Werke werden oft als Phänomene eines 'Übergangs' zwischen Gotik und Renaissance charakterisiert, für Bartolomeo wurde "a curious dichotomy between modernity on the one hand, and conservatism - even retrogression - on the other" konstatiert. [2] Besonders an Alvise scheiden sich die Meinungen. Während John Steer ihm eine wichtige Rolle für die venezianische Hochrenaissance zubilligt, gilt er anderen als 'Verlierer', als "'also-ran'", "a difficult artist to study, because his work is [...] uneven". [3]
So ist es tatsächlich die erste monografische Ausstellung über diese Maler, die der vorliegende Katalog begleitet. "La bottega dei Vivarini" (15) bildet für die Ausstellung in Conegliano wie für den Katalog die bestimmende Einheit. Auch wenn etwa toskanische Maler als Vorbilder Antonios, Mantegna als wichtigster Bezugspunkt für Bartolomeo, die langjährige Auseinandersetzung Alvises mit Antonello da Messina sowie das komplexe Verhältnis zu den Bellini mehrfach angesprochen sind, wurde kein einziges Vergleichsbeispiel ausgestellt oder in der Publikation abgebildet. Dies entspricht implizit einer Forschungstradition, die Familienwerkstätten als die charakteristischen Produktionsorte der Malerei in Venedig erkennt (103), spezifisch das Schaffen der Vivarini primär durch eine Werkstatttradition bestimmt sieht und noch Alvise als "best studied within the context of his family's fame and fortune" bewertet. [4]
Doch was genau diese Werkstatttradition ausmachen könnte (knapp 118), ob überhaupt von "der" einen Vivariniwerkstatt gesprochen werden kann, wird im Katalog nicht ausführlicher thematisiert. Überraschend wird der Begriff der "'scuola di Murano'" erneut betont (15): Wenngleich die Insel häufig als Namensbestandteil in den Signaturen erscheint, ist festzuhalten, dass nur die Elterngeneration Antonios auf Murano dokumentiert ist und keiner der Maler selbst. Antonio und Bartolomeo sind dagegen mehrfach im Sprengel Santa Maria Formosa genannt; Alvise besaß ein Haus in Santa Marta. Es muss eine Vermutung bleiben, dass Alvise die Werkstatt seines Vaters übernahm, und es gibt keinen Hinweis darauf, dass er mit dem Bruder eine gemeinsame Werkstatt führte. Eine Auswertung der Mal- und Verzierungstechniken kann Aufschluss zu diesen Problemen geben, und so ist es als Manko des Katalogs zu vermerken, dass an keiner Stelle maltechnologische Untersuchungen herangezogen werden. Überlegungen zu Werkstattpraxis und Bildgenese bleiben damit außen vor. [5]
Der Katalog umfasst vier Aufsätze, gefolgt von 32 Einträgen zu den einzelnen Werken sowie einer Bibliografie. Giandomenico Romanelli, Kurator der Ausstellung, leitet mit seinem weitgefächerten Beitrag unter dem Titel "La bottega dei Vivarini. Frammenti di un'eredità controversa" den Band ein. Er zeichnet die fortuna critica der Maler nach und umreißt die künstlerischen Kontexte und Orientierungen der drei Vivarini. Wichtig ist die von Romanelli formulierte Prämisse, dass für sie keine linearen Entwicklungen nachzuvollziehen seien, sondern sich traditionsbetonende und innovative Züge überlagerten (35). Hier ließen sich noch stärker die Wahlmöglichkeiten der Künstler wie der Auftraggeber betonen, um Entscheidungen bezüglich der Ästhetik, des Materials und der eingesetzten finanziellen Mittel besser nachzuvollziehen, welche zu rückblickend überraschenden Gleichzeitigkeiten führten.
In einem Abriss zur Auftraggeberschaft betont Romanelli die Bedeutung der Franziskaner, zumal der observanten Konvente, und der hier wirkenden Stifter. Dieser Beobachtung ist zweifellos zu folgen, allerdings bleibt offen, weshalb die Observanten gerade die Vivarini begünstigten und ob über die Weiterempfehlung aus vorangegangenen Aufträgen hinaus ästhetische Präfenzen zum Tragen kamen. Für die Vorstellung einer "consapevole e lucida partecipazione a ideali e stili di vita, [...] una condivisione quindi delle linee rigorose" des Ordens (35) von Seiten der Maler selbst scheint mir die Grundlage zu fehlen.
Ein Widerspruch ergibt sich in der Behandlung des aus dem nordalpinen Raum stammenden, mit Antonio in einer societas verbundenen Giovanni d'Alemagna. Dieser wird explizit nicht zur "bottega artistica dei Vivarini" gezählt (15), gleichzeitig übernimmt Romanelli die These Ian Holgates, der Partner Antonios sei mit weiteren gleichnamigen Malern identisch, die in Paduaner Quellen genannt sind (26) und ihn als einen bereits arrivierten und den gewichtigeren der Partner erscheinen lassen. Giovanni tritt in den Doppelsignaturen meist vor Antonio auf und wird im Zusammenhang mit der von beiden signierten "Marienkrönung" in San Pantalon in einem Dokument als alleiniger Maler genannt. Die Zeitgenossen mögen daher sogar weniger von einer "Vivarini-" als von einer "Giovanni d'Alemagna-Werkstatt" gesprochen haben.
Es folgen zwei thematisch spezifischere Beiträge zu Auftraggebern außerhalb Venedigs. Clara Gelao identifiziert für die 1460er bis 1480er Jahre nicht weniger als elf für Apulien in Auftrag gegebene Altarwerke. Für prestigeträchtige Stiftungen richtete sich der Blick von hier aus meist nach Venedig, und mit anderen Waren erreichte auch das Exportgut Retabel über die Handelswege sein Ziel. Dabei muss mit der Autorin betont werden, dass die Gegenüberstellung von innovativem Zentrum und traditioneller Provinz (auch) hier kein Erklärungsmodell bietet, waren doch gerade Bartolomeos frühe Bildfindungen der sogenannten Sacra conversazione, die auf einen vereinheitlichten Bildraum abzielten, für Apulien bestimmt (1465, Kat. 11; 1476, Kat. 15). Meines Erachtens zu Recht sieht sie in der "adattabilità" und der Fähigkeit, den unterschiedlichen Erwartungen einer stark diversifizierten Auftraggeberschaft nachzukommen, einen Grund für den großen Erfolg zumal von Antonios Bruder.
Die Aufträge für Kirchen in den Tälern um Bergamo untersucht Giovanni Valagussa. Die Forschung sieht sich mit dem Phänomen konfrontiert, dass die letzten Werke Bartolomeos ganz überwiegend Polyptychen mit dieser Destination waren. Sein Verharren in traditionellen Bildkonzepten und einer linearen Malweise erklärt der Autor weder mit einem qualitativen Rückschritt noch mit einem steigenden Anteil der Werkstatt, sondern als "una sorta di ripiegamento del pittore su modi di più sicura e assodata tradizione, ma con passaggi di notevole qualità e brio" (87). Ob sich auch etwa starke Verzeichnungen in den Gliedmaßen damit erklären lassen, erscheint fraglich; ohne Frage jedoch erfreute sich Bartolomeo bis zuletzt einer großen Beliebtheit.
In seinem abschließenden Beitrag bietet Carlo Cavalli einen fundierten Abriss der Biografien und Werke, gefolgt von einer hilfreichen kommentierten Bibliografie. Der Autor stellt den Sinn einer Händescheidung (nicht nur) in den gemeinsam signierten Werken infrage (110). Damit widerspricht er überzeugend einer Forschung, die mit oft widersprüchlichen Resultaten den Malern einzelne Anteile innerhalb der Altarwerke zuwies, ohne die konkrete Werkgenese zu diskutieren. Mit Cavalli ist aus dem hohen Grad an stilistischer Homogenität zu folgern, dass eine solche von den Malern wie den Auftraggebern angestrebt wurde (110). Ebenso kann ihm darin zugestimmt werden, dass sich Alvise früh außerhalb der familiären Traditionen orientierte (118). Stärker hervorzuheben wäre, dass sich der Maler auch in anderen gesellschaftlichen Kreisen bewegte, wie die von ihm bezeugten Testamente und sein Schreiben an die Signoria nahelegen, letzteres ein bemerkenswertes Zeugnis eines Malers über die Einschätzung seiner Arbeit. Ohne Erwähnung blieben die frühen Aufträge von Orgelflügeln, die Antonio und Giovanni für Venedig als Pioniere in dieser Gattung erscheinen lassen, ein Umstand, dessen Implikationen auch für andere Werke zu berücksichtigen wären.
Die im Katalogteil vorgestellten Werke vermitteln einen guten Überblick über die Produktion der Vivarini, soweit dies angesichts der verlorenen Orgelflügel und Wandgemälde möglich ist. Die einzelnen schede können an dieser Stelle nicht diskutiert werden, aber es fällt auf, dass in einigen der Händescheidung weiterhin Bedeutung zukommt (136, C. Tedeschi). Die Zuweisung einzelner Tafeln an Antonio oder Giovanni (bes. Kat. 5) entbehrt meines Erachtens einer Grundlage, da sich stilkritische Vergleiche auf ganze zwei jeweils nur von einem Künstler signierte Werke stützen (und diese Einzelsignaturen ja nicht belegen, dass tatsächlich nur dieser Maler an der Ausführung beteiligt war).
Unabhängig von dieser grundsätzlichen Problematik, die selbstverständlich nicht nur für die Vivarini zu diskutieren ist, und mit den oben formulierten Einschränkungen bietet die reich und überwiegend qualitätsvoll bebilderte Publikation einen bei aller Knappheit geglückten Überblick, der auch in seinen Widersprüchen für die Forschung fruchtbar gemacht werden kann.
Anmerkungen:
[1] Der "Catalogo delle opere illustrate" bei Rodolfo Pallucchini: I Vivarini, Venedig 1962, umfasst 282 Einträge.
[2] Peter Humfrey: Bartolomeo Vivarini's Saint James Polyptych and its Provenance, in: The J. Paul Getty Museum Journal 22 (1994), 11-16, 16.
[3] John Steer: Alvise Vivarini his art and influence, Cambridge 1982; vgl. die Rezension von Jennifer Fletcher, in: Burlington Magazine 125 (1983), 99-101, Zitate 99.
[4] Ebd., 99.
[5] S. u.a. hierzu die in Vorbereitung zum Druck befindliche Habilitationsschrift der Verfasserin: Die Vivarini. Bildproduktion in Venedig 1440 bis 1505.
Rebecca Müller