Rezension über:

Graham Huggan (ed.): The Oxford Handbook of Postcolonial Studies, Oxford: Oxford University Press 2013, XVI + 734 S., ISBN 978-0-19-958825-1, GBP 95,00
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Rezension von:
Alexandra Przyrembel
FernUniversität Hagen
Empfohlene Zitierweise:
Alexandra Przyrembel: Rezension von: Graham Huggan (ed.): The Oxford Handbook of Postcolonial Studies, Oxford: Oxford University Press 2013, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 10 [15.10.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/10/26852.html


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Graham Huggan (ed.): The Oxford Handbook of Postcolonial Studies

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Nach der Lektüre des "Oxford Handbook of Postcolonial Studies" bleiben Fragen offen, die eine grundlegende Klammer dieses Handbuchs hätten sein können: Was sind Postcolonial Studies? Wie positioniert sich diese akademische Teildisziplin gegenüber den boomenden Global Studies? Warum wird an diesem interdisziplinären Projekt festgehalten, wenn doch transnationale und mehr noch globale Perspektiven ins Zentrum akademischer Debatten gerückt sind? Angesichts einer bewusst offen gehaltenen Definition des Herausgebers Graham Huggan von Postcolonial Studies als eines "relational field investigating an equally relational subject" (30) versammelt dieses Handbuch ein breites Spektrum unterschiedlicher Deutungsangebote: von der souveränen Anwendung postkolonialer Methoden durch Ann Stoler über Elleke Boehmers Würdigung von Nelson Mandelas Widerstandsbegriff bis hin zur politischen Standortbestimmung in der Welt der Universitäten, die nicht zuletzt auch in dem letzten Beitrag vorgenommen wird. In seinem Nachwort kommt der Anglist Stephen Slemon zum Schluss, dass die Postcolonial Studies weniger als eine einheitliche akademische Disziplin zu verstehen seien, sondern auf einem "unruly and disruptive set of scholarly practices" beruhe. Angesichts dieser Vielfalt der Methoden und beteiligter Disziplinen am postkolonialen Projekt sei es nicht das Ziel des "Oxford Handbook of Postcolonial Studies" seinen Lesern und Leserinnen "a route towards disciplinary occupation" anzubieten (700).

Aufgebaut in fünf Teilen versammelt das Handbuch insgesamt 30 Beiträge, wobei jeder der Abschnitte mit einer systematisierenden Einleitung des Herausgebers Graham Huggan sowie einem bilanzierenden wie kommentierenden Ausblick am Ende versehen ist. Die ausführlichen Literaturnachweise am Ende eines jeden Beitrags sowie ein mehr als 30-seitiger Sachindex zeigen, dass die Postcolonial Studies in den letzten Jahrzehnten von einer Randerscheinung zu einem interdisziplinären Makro-Projekt herangewachsen sind, an dem Literatur- und Medienwissenschaftler, Linguisten, Anthropologen und (seltener) Historiker und Historikerinnen beteiligt sind. Das Handbuch versammelt international renommierte Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Disziplinen. Trotz des Schwerpunkts in der angloamerikanischen Welt umspannen die Beiträge so unterschiedliche koloniale Räume wie das südliche Afrika und Lateinamerika und kehren immer wieder nach Europa zurück. In ihren Aufsätzen, die sich ebenso mit Möglichkeiten von Widerständigkeit und neuen Formen postkolonialer Ungleichheit auseinandersetzen, werden die Debatten über die kolonialen Vergangenheit und die postkoloniale Gegenwart auf einem theoretischen sehr hohen Niveau geführt.

Die ersten 12 Aufsätze des Handbuchs widmen sich den temporal angelegten ersten beiden Teilen ("The Imperial Past" und "The Colonial Present") des Bandes. En Detail zeigt die Anthropologin Ann Laura Stoler in ihrem Artikel "Reason Aside: Reflections on Enlightenment and Empire" die irrationalen Spuren aufklärerischen Denkens im kolonialen Raum des Empire auf: "Unreason in these colonial archives is a distinguishing mark, ascribed to those off-mark, overworked, or overwrought states that produce uncommon, unauthorized critical reflections that emerge when one does not look away." (62). Diese Beobachtung erinnert uns an die Relevanz postkolonialer Perspektiven, Vorgehensweisen und methodischen Kompetenzen - auch jenseits der wissenschaftlichen Disziplin der Postcolonial Studies. Unschärfer werden die Kategorien, wenn die Praktiken imperialer Gewalt, die an zahlreichen Orten dieser Welt - von Afghanistan über Israel - vor allem auch durch die Vereinigten Staaten exekutiert werden, in ein allgemeines Narrativ einer postkolonialen Präsenz überführt werden (wie etwa im Beitrag von Stephen Morton von der University of Southampton).

Das Herzstück dieses Handbuchs - Teil 3 "Theory and Practice" - versammelt sechs Beiträge, die sich mit Strategien von Subversion als postkolonialer Praxis oder auch dem politisch Imaginären in den Postcolonial Studies selbst auseinandersetzen. Die anderen beiden Teile - "Across the Disciplines" und "Across the World" - erörtern Möglichkeiten und Grenzen interdisziplinären Vorgehens sowie die Rahmenbedingungen der Postcolonial Studies angesichts des Prozesses der Globalisierung. Der an der George Washington University lehrende Historiker Dane Kennedy zeigt die unterschiedlichen Stationen auf, die - trotz aller Vorbehalte von Historikern gegenüber postkolonialen Konzepten - zu einer methodischen Befruchtung geschichtswissenschaftlicher Debatten aufgrund von Forschungsimpulsen durch postkoloniale Theorieangebote (außerhalb der Geschichtswissenschaft) geführt haben.

Neben den Pionierarbeiten der Subaltern Studies Group um den indischen Historiker Ranajit Guha sowie von historisch arbeitenden Anthropologen, die sich wie Talal Asad oder Jean und John Comaroff mit der Bedeutung von Religion im (post)kolonialen Raum beschäftigten, zeigt Kennedy exemplarisch an drei Feldern (Identities, Geographies, Epistemologies), wie postkoloniale Konzepte in der Geschichtswissenschaft aufgenommen oder weiter entwickelt wurden. Gerade in seinem Ausblick hätte er die Ablösung der Postcolonial Studies zugunsten der Globalgeschichte als Trend in der Geschichtswissenschaft problematisieren können. Diese Standortbestimmung von Postcolonial Studies gegenüber Globalisierungstheorien unternehmen Nikita Dhawan und Shalini Randeria in ihrem Beitrag "Perspectives on Globalization and Subalternity".

Angesichts des dominierenden Schreibgestus der Selbstreflexion enthält der Sammelband nur wenige Beiträge, die sich den Konventionen eines Handbuchs im engeren Sinn beugen. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass sich "The Oxford Handbook of Postcolonial Studies" vor allem an diejenigen wendet, die bereits über profunde Kenntnisse über Theorien und Methoden der Postcolonial Studies verfügen: Die Namen Said, Gramsci, Spivak sollten so vertraut sein wie der Lektürekanon - "The Empire Writes Back" oder "Tensions of Empire". Trotz dieses gelegentlich selbstreferentiellen Duktus sei auf die Beiträge verwiesen, deren Lektüre ebenso inspirierend wie lehrreich, aber auch mühsam ist; hier sei noch einmal der Text von Ann Stoler genannt. Ob die Postcolonial Studies eine kritische Phase durchlaufen wie beispielsweise die Gender Studies und von anderen boomenden Schwerpunkten und Subdisziplinen - wie der Globalgeschichte - inkorporiert werden, kann hier nur vermutet werden.

Alexandra Przyrembel