Rezension über:

Annette Schemmel: Visual Arts in Cameroon. A Genealogy of Non-formal Training, 1976-2014, Bamenda: Langaa Research and Publishing Common Initiative Group 2015, 407 S., 52 Farbabb., ISBN 978-9956-763-60-3, GBP 40,00
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Rezension von:
Nadine Siegert
Universität Bayreuth
Redaktionelle Betreuung:
Kerstin Schankweiler
Empfohlene Zitierweise:
Nadine Siegert: Rezension von: Annette Schemmel: Visual Arts in Cameroon. A Genealogy of Non-formal Training, 1976-2014, Bamenda: Langaa Research and Publishing Common Initiative Group 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 11 [15.11.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/11/28908.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Annette Schemmel: Visual Arts in Cameroon

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Annette Schemmel widmet sich in ihrer qualitativen Fallstudie den Formen informeller Ausbildung von Künstlern und Künstlerinnen in Kamerun. Sie beschreibt dabei die Produktion künstlerischen Wissens als diskursive Handlungsmacht in einem Kontext ohne staatlich geförderte Ausbildung. Das Buch, das auf einer Dissertation am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin basiert, konzentriert sich dabei auf Duala und Jaunde, den beiden wichtigsten Städten des zentralafrikanischen Landes im Hinblick auf modernes und zeitgenössisches Kunstschaffen.

Die Studie ist in den aktuellen Diskurs um lokale Kunstszenen innerhalb der globalen Kunstwelt einzuordnen. Dieser strebt nicht nur die Erweiterung des Kanons der Kunstgeschichte des globalen Nordens an, sondern macht auch auf Machtverhältnisse im postkolonialen Kontext aufmerksam. Schemmel gelingt dies, indem sie die Entwicklungen der kamerunischen Kunstwelt in ihren Beispielen immer wieder auf (neo-)koloniale Konditionen zurückbindet und am Beispiel der Kunstausbildung deutlich macht, wie sehr auch hier kunstweltinhärente Hegemonien wirksam sind. So wird etwa die informelle Ausbildung vor allem von Kulturinstitutionen des globalen Nordens wie dem Goethe-Institut oder dem Institut Français finanziert und initiiert.

Das Buch wurde bei dem kamerunischen Verlag Langaa Research and Publishing veröffentlicht und sticht allein schon dadurch aus den rezenten Publikationen zur künstlerischen Praxis in afrikanischen Metropolen heraus. Hier wird - ungeachtet der Realität der lokalen und internationalen Distribution - ganz klar der Anspruch eingelöst, die Forschung nicht nur einem akademischen Fachpublikum sondern auch denjenigen zugänglich zu machen, die zu ihrem Gelingen beigetragen haben: den Forschungspartnern und Forschungspartnerinnen vor Ort.

Der Aufbau des auf Englisch publizierten Buchs orientiert sich an der kritischen Genealogie im Sinne Foucaults. Schemmels Hauptanliegen ist eine Darstellung des Verhältnisses von Wissensgeschichte und Kunstproduktion. Nach einem einführenden Kapitel, in dem die Autorin ihre Fragestellung, Terminologie und Methoden darlegt, führt sie uns in den weiteren fünf Kapiteln durch die Geschichte der künstlerischen Ausbildung in Kamerun vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit. Sie fragt dabei auch nach den Auswirkungen der informellen Ausbildungsformen auf den Kunstdiskurs sowie letztlich auf die Kunstproduktion selbst. Die Rolle von europäischen Kunstpatronen und ihren Workshops, wie sie auch in anderen afrikanischen Ländern seit den 1960er-Jahren eingeführt wurden, wird ebenso beleuchtet wie die der "Ateliers" der ausländischen Kulturorganisationen. All dies wird an einer Reihe von Projekten, Ausstellungen oder auch dem Werdegang einzelner Künstler und Künstlerinnen deutlich gemacht, und die Autorin zeigt, wie sehr sich diese Formen der künstlerischen Ausbildung von der akademischen unterscheiden. Sie betont etwa die Möglichkeit des Experimentierens und auch die Offenheit für neue Formen, Medien und Methoden in der informellen Ausbildung.

Ein besonders hervorzuhebender Beitrag des Buches ist die Kritik an der bis heute gängigen Kategorisierung vieler afrikanischer Künstler und Künstlerinnen als Autodidakten. Schemmel zeigt, dass auch ohne institutionelle Kunstausbildung an einer Akademie oder Hochschule künstlerisches Handeln aus einem Ausbildungskontext heraus entsteht. Dieser ist zwar informell aber dennoch zielgeleitet und orientiert sich an einem spezifischen lokalen Bedarf. Hier ist insbesondere die von Schemmel (in Bezug auf den Kurator Simon Njami) als "Système des Grands Frères" bezeichnete Ausbildungsform nennenswert: eine sich generationell formierende, individualistisch ausgelegte informelle Ausbildung, die für eine ganze Reihe zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen in Kamerun maßgeblich war. Leider basiert die Autorin ihre Argumentation an dieser Stelle auf bloß zwei Beispiele solcher "Grands Frères" - nämlich Pascal Kenfack und Koko Komegné -, die noch dazu sehr unterschiedlich operierten. Dies macht ihre allgemeinen Schlussfolgerungen an dieser Stelle nicht wirklich stichhaltig.

Theoretisch wird die Studie angeschlossen an die Konzepte der "Taktik" nach de Certeau und der "diskursiven Handlungsmacht" nach Foucault. Beide Konzepte werden mit künstlerischem Handeln als Form der Wissensproduktion auch im informellen Raum in Beziehung gesetzt. Das Konzept der "Taktik" als Form des Unterlaufens dominanter Handlungsformen durch einzelne Akteure taucht leider im Laufe der folgenden Argumentation nur noch sehr sporadisch und teils unvermittelt im Text auf. Dies ist insofern schade, da eine konsequentere Anwendung dieser Perspektive die Arbeit deutlicher für die Theoriebildung im Feld der Kunstwissenschaft fruchtbar gemacht hätte. Die "diskursive Handlungsmacht" der Akteure wird hingegen einleuchtend auf die Beispiele angewendet. Die Autorin macht anhand dieses Konzepts an vielen Stellen deutlich, wie die Künstler und Künstlerinnen informelle Ausbildungs- und Produktionsformen wie die "Ateliers" oder das sogenannte Paradigma des "Kunstprojekts" nutzen, um sich Handlungsräume zu schaffen und dadurch einen diskursiven und strukturellen Anschluss an die internationale Kunstwelt zu finden.

Es gelingt der Autorin durchgehend sehr gut, den von ihr formulierten Anspruch einzulösen, die Handlungsmacht der Künstler und Künstlerinnen in den Mittelpunkt zu stellen. Immer wieder lässt sie diese zu Wort kommen oder leitet ihre Argumente schlüssig aus den Interviewzitaten her. So ist ihre Analyse überzeugend, auch wenn sie - wie anfangs transparent gemacht wird - auf einer doch eher kurzen Feldforschungsperiode und einem nur begrenzten Zugang zu weiterem Datenmaterial beruht. Die Studie kombiniert kunstwissenschaftliche mit ethnologischen Methoden, wie Interviews mit Kunstschaffenden und eine ausführliche Analyse von Daten aus unterschiedlichen Medien sowie aus verschiedenen privaten und institutionellen Archiven. Ihre Ergebnisse visualisiert die Autorin auch in einer übersichtlichen Grafik am Ende des Buches, die die Akteure der Kunstwelten Jaundes und Doualas sowie die Verbindung zu den internationalen Institutionen zeigt.

Schemmel berücksichtigt aber auch die kunstwissenschaftliche Literatur aus Kamerun - wie etwa die Masterarbeiten von Belinga, Aveved und Assako Assako, alle 2005 -, was in der kunstwissenschaftlichen Praxis des globalen Nordens keineswegs selbstverständlich ist. Zugleich wendet sie sich teilweise gegen die großen Narrative der westlichen Kunstwissenschaft, die meist nur auf den wissenschaftlich besser erschlossenen Kunstgeschichten Südafrikas oder Nigerias basieren, aber oftmals einen generalisierenden Anspruch haben. Dies führt zu einer ganzen Reihe neuer, eigenständiger Schlussfolgerungen, die inspirierend für eine postkoloniale Perspektive innerhalb der Disziplin sind. Der Autorin gelingt es nämlich ausgezeichnet zu zeigen, dass lokale Kunstgeschichten auch quer zu den dominanten Tendenzen verlaufen können. Hier sei als Beispiel die Dekade der 1980er genannt, in der sich in vielen Ländern Afrikas aufgrund der Strukturanpassungsmaßnahmen deutliche infrastrukturelle Einschnitte ergaben, die teils zu einer kritischeren Haltung der Künstler und Künstlerinnen führte. Solche Veränderungen setzten jedoch in Kamerun laut Schemmel erst in den 1990er-Jahren ein.

Annette Schemmels Buch ist insgesamt eine sehr empfehlenswerte kunstwissenschaftliche Studie einer lokalen Kunstszene auf dem afrikanischen Kontinent. Sie stellt die Diversität der Geschichte und aktuellen Situation dieser Kunstwelt verständlich dar und liefert zudem einen profunden Überblick über ein Jahrhundert Kunstschaffen in Kamerun in einem sehr gut lesbaren Stil. Ihr Fokus auf dem Aspekt der Kunstausbildung ist dabei wegweisend auch für die zukünftige wissenschaftliche Auseinandersetzung, werden doch gerade hier die postkolonialen Bruchlinien deutlich, die zwischen der Fortsetzung neokolonialer Strukturen etwa an den Universitäten und den dezidiert als Gegenmodell entworfenen informellen Strukturen entstanden sind.

Nadine Siegert