Gaby Huch: Zwischen Ehrenpforte und Inkognito: preußische Könige auf Reisen. Quellen zur Repräsentation der Monarchie zwischen 1797 und 1871 (= Acta Borussica. Neue Folge. 2. Reihe: Preußen als Kulturstaat. Abteilung II: Der preußische Kulturstaat in der politischen und sozialen Wirklichkeit; Bd. 7), Berlin: De Gruyter 2016, 2 Bde., 1567 S., ISBN 978-3-11-040915-4, EUR 249,95
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Die Relevanz des Themas Monarchenreisen für die Geschichte des 19. Jahrhunderts liegt auf der Hand, boten doch die Reisen den Monarchen die Möglichkeit, ihre Herrschaftsansprüche vor ihren Untertanen durch persönliche Präsenz geltend zu machen, und auch den Untertanen die Chance, sich in Szene zu setzen und den Monarchen nicht nur Huld zu erweisen, sondern auch Wünsche vorzutragen. Die erstmalige umfassende Dokumentation der Reisetätigkeit der preußischen Könige Friedrich Wilhelm III., Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. bedarf deshalb keiner aufwendigen Legitimation, die Gaby Huch in der von ihr verantworteten Edition auch gar nicht versucht.
Stattdessen geht sie in der Einleitung in medias res und präsentiert im Anschluss an eher knapp gehaltene Ausführungen zu den formalen Aspekten (Gegenstand und Struktur der Edition, Überlieferungslage und Auswahl der Quellen) einen Überblick über die wesentlichen Erträge des zusammengestellten Materials, der so üppig geraten ist (26-210), dass er auch in Gestalt einer Monographie hätte erscheinen können. Huch stellt das Thema dabei in seinen unterschiedlichen Facetten vor: Nach übergreifenden Ausführungen über "Reisen als repräsentative Veranstaltung und Regierungspraxis" schildert sie die verschiedenen Reisetypen - Huldigungs- und Krönungsreisen, Monarchenbegegnungen, Badereisen und Jagdreisen - und geht anschließend auf die Regierungspraxis auf Reisen sowie die Bedeutung von Medien und Öffentlichkeit ein. Den Abschluss der Einleitung bildet ein Überblick über "Planung, Organisation und Veränderungen der Reisepraxis durch die Infrastruktur". Die meisten Einzelkapitel der Einleitung sind als Querschnittstudien konzipiert; die Längsschnittperspektive, in der etwa die Veränderungen des Reisens von Friedrich Wilhelm III. bis zu Wilhelm I. hätten hervorgehoben werden können, kommt dagegen zu kurz.
Zwischen der Einleitung und den Quellen stehen noch kürzere Bemerkungen von Bärbel Holtz zur "Einrichtung der Edition", die das Problem der Quellenauswahl diskutieren, aber nicht in befriedigender Weise klären: Da das in Frage kommende Material sowohl sehr umfangreich als auch sehr vielfältig sei, sei "es aus naheliegenden Gründen weder sinnvoll noch praktikabel" erschienen, es insgesamt abzudrucken. "Es war also eine Auswahl solcher Texte, die als Schlüsseldokumente für das Reihenthema 'Preußen als Kulturstaat' von besonderer Relevanz sind, zu treffen" (212) - dass die 579 auf mehr als 1.000 Druckseiten dann folgenden Texte allesamt diesem Kriterium entsprechen, wird man indes wohl nur bei äußerster Dehnung des Begriffs "Schlüsseldokument" annehmen dürfen. Aus der Sicht des Rezensenten jedenfalls fallen etliche Texte nicht in diese Kategorie: eine Umlaufverfügung des Magistrats von Halle an alle pferdehaltenden Bürger der Stadt aus dem Jahr 1797 (349f.); die Klage eines Erfurter Tischlermeisters an den Innenminister über die seit fünf Jahren ausstehende Bezahlung für eine Ehrenpforte aus dem Jahr 1819 (468f.); die Zuschrift eines Düsseldorfer Bürgers an den Oberbürgermeister mit dem Hinweis auf die Brandgefahr bei Illuminationen vom August 1842 (823f.); die Bitte der Gemeinde Soest um Teilnahme des Königs an der Grundsteinlegung für ein Schulgebäude im Jahr 1853 (1137-1139); das Entschuldigungsschreiben des Jüterboger Landrats für seine Nichtteilnahme an der Begrüßung des Prinzregenten im Jahr 1860 (1256f.); oder der Vorschlag des Ortsvorstands des Fleckens Lehe um Berücksichtigung seiner Gemeinde bei der Planung der königlichen Reiseroute im Jahr 1869 (1414f.) - die Liste solcher kaum schlüsseldokumenttauglicher Texte ließe sich zwar nicht beliebig, aber doch ganz erheblich verlängern.
Ob diese Menge an Dokumenten mit nur individueller oder lokaler Relevanz in den Druck gelangte, weil es an Mut fehlte, Dinge, die einmal in den Archiven entdeckt wurden, gegebenenfalls auch dort zu belassen, steht dahin. Jedenfalls wäre auch bei stringenterer Auswahl noch sehr reichliches Material vorhanden gewesen, um nicht nur verschiedene Provenienzen zu berücksichtigen und das Phänomen der reisenden preußischen Monarchen im 19. Jahrhundert aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Wer sich durch die beiden voluminösen Teilbände arbeitet, wird dort nämlich auch viele Texte entdecken, die man zwar ebenfalls nicht für "Schlüsseldokumente" wird halten müssen, die aber doch neue Facetten bekannter Ereignisse sichtbar machen oder in den singulären Vorfällen allgemeine Entwicklungen erkennen lassen. Aus der großen Zahl von Dokumenten, denen der Rezensent einen vergleichsweise sehr viel höheren Quellenwert zuschreiben würde, seien hier nur einige wenige angeführt: das Journal eines namentlich bekannten Adjutanten über das Treffen Friedrich Wilhelms III. mit Zar Alexander I. in Memel im Juni 1802, in dem minutiös der Ablauf der Zusammenkunft geschildert wird (363-371); der Bericht des Generals von Müffling an Außenminister Hardenberg vom Februar 1817, der die politische Stimmung im neupreußischen Rheingebiet reflektiert (484-489); ein Sitzungsprotokoll des Kölner Gemeinderats, der im August 1851 eine Adresse an Friedrich Wilhelm IV. vorbereitete (S. 1033-1038); oder die "Allgemeinen Bestimmungen", die Wilhelm I. zu Beginn seiner Regierungszeit über die Ehrenbezeugungen aufstellte, die ihm und anderen fürstlichen Persönlichkeiten von militärischen Behörden bei Reisen zu erweisen waren (1238-1245). Letzteres Dokument war bereits zeitgenössisch gedruckt worden und zählt damit zu den Ausnahmen innerhalb der Edition, die ganz überwiegend bislang nicht publiziertes Material zugänglich macht.
Die beiden Teilbände bieten somit eine überreiche Fundgrube, in der nicht nur jene mit Gewinn stöbern können, die auf dem engeren Themenfeld des reisenden Königtums unter kulturgeschichtlichen Aspekten heimisch werden wollen, sondern auch die allgemein an der preußischen Geschichte des 19. Jahrhunderts Interessierten. Letzteren mag die Fülle des Materials eine Last sein, die ihnen allerdings durch die vorbildliche formale Gestaltung der Edition, die auch ein überaus nützliches detailliertes Verzeichnis sämtlicher dokumentierter Reisen der drei preußischen Könige enthält (218-270), erleichtert wird.
Frank Engehausen