Rezension über:

Almut Höfert: Kaisertum und Kalifat. Der imperiale Monotheismus im Früh- und Hochmittelalter (= Reihe "Globalgeschichte"; Bd. 21), Frankfurt/M.: Campus 2015, 645 S., 53 Farbabb., ISBN 978-3-593-50283-0, EUR 59,00
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Rezension von:
Florian Saalfeld
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Florian Saalfeld: Rezension von: Almut Höfert: Kaisertum und Kalifat. Der imperiale Monotheismus im Früh- und Hochmittelalter, Frankfurt/M.: Campus 2015, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 5 [15.05.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/05/29983.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Vormoderne Transkulturalitätsforschung" in Ausgabe 17 (2017), Nr. 5

Almut Höfert: Kaisertum und Kalifat

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Die Late Antiquity Studies gehen von der Annahme aus, dass der antike Mittelmeerraum als eine Art Flaschenhals erheblichen Einfluss auf alle in der Region nachfolgenden Entwicklungen ausübte. Diese Grundannahme liegt auch der Studie Almut Höferts zugrunde, die als Habilitationsschrift an der Universität Basel eingereicht worden ist. Als Historikerin und Islamwissenschaftlerin setzt sie darin einen transkulturellen Vergleichsansatz um. Höfert wertet eine große Anzahl arabischer, griechischer und lateinischer Quellen aus. Diese umfassen Texte, Münzen und Inschriften, die vier "Universalmonarchien" zuzuordnen sind. Basierend darauf nimmt sie einen sich sukzessiv entwickelnden "imperialen Monotheismus" an. Dieser habe sich zunächst im oströmisch-byzantinischen Kaisertum entwickelt und wurde im umaiyadischen und abbasidischen Kalifat modifiziert aufgegriffen. Später sei der imperiale Monotheismus zudem im schiitisch fatimidischen Gegenkalifat in Erscheinung getreten, dessen Analyse der Studie aus Zeitgründen jedoch in einer Einzelveröffentlichung folgen soll (509). Vergleichbar sei auch das byzantinische Kaisertum ab 800 mit einem lateinischen "Gegenkaisertum" konfrontiert worden, das ähnliche Strukturen aufgewiesen habe. Zweifelhaft ist an dieser Stelle bei allen sonst nachvollziehbaren Argumenten jedoch die Äußerung, dass alle vier Reiche für nahezu 1000 Jahre Bestand gehabt hätten (18). Zusammengefasst funktionierten all diese Herrschaften nach dem gleichen Prinzip: ein Gott, ein Kaiser (oder: Kalif), ein Weltreich, ein Glaube. Der darin manifeste imperiale Monotheismus markiere in einer Universalmonarchie die Verbindung von Sakralität beziehungsweise Religiösität des Herrschers und dessen politischer Herrschaft (15). Ziel der Studie ist die argumentative Unterfütterung der These, dass "die erwähnten vier Universalmonarchien in einer gemeinsamen historischen Linie stehen, einander beeinflussten und ein für diese Zeit [...] und diesen Raum typisches Grundmuster über das Verhältnis von Religion und Herrschaft gemeinsam entfalteten, das sie innerhalb ihrer jeweiligen Ökumenen unterschiedlich variierten." (18) Zudem will die Autorin eine Reihe von disziplinären Meistererzählungen entkräften, die unter anderen darauf abzielen, Europa als Vorreiter der Trennung von Religion und Politik darzustellen, während im Islam von Beginn an beides untrennbar miteinander verschmolzen sei. Angesichts der Breite der zu vergleichenden Untersuchungsgegenstände sei es nicht umsetzbar, die "Herrschaftsformen der behandelten Monarchien umfassend zu analysieren." (18) Vielmehr können nur die "mutatis mutandis in der Forschung [, die] bisher als 'sakral' bezeichnet wurden" (18) verglichen werden. Diese Einschränkung ist hinsichtlich der folgenden Problematisierung des historischen Vergleichs wichtig: nur dadurch, so Höfert, könne eine "gemeinsame Perspektive auf monarchische christliche und islamische Herrschaftsformen und ihr Verhältnis zur Religion im Früh- und Hochmittelalter in einer Shared History" (18) zutage treten. Zudem müsse der Vergleich transkulturell vorgenommen werden. Dies bedeutet für Höfert "(a) ein[en] Untersuchungshorizont, der über die historiographisch gesetzten Zivilisationsgrenzen hinausgeht und (b) ein[en] Ansatz [...], der versucht, die vielfachen historiographischen Folgen des Zivilisationsparadigmas kritisch zu reflektieren und dieses als nur eine mögliche Interpretation von Geschichte versteht." (50) Damit schließt Höfert unmittelbar an die Arbeiten Garth Fowdens, der den Begriff des imperialen Monotheismus für die Spätantike einführte, und Aziz al-Azmehs an. [1] Methodisch sind die Parallelen zu den Studien Wolfram Drews und Jenny Rahel Oesterles unübersehbar. [2]

Im ersten Kapitel (15-55) begründet Höfert vor allem die Verwendung des historischen Vergleichs entgegen aller bekannten Vorbehalte. Dass die Ähnlichkeiten zwischen den untersuchten Universalmonarchien kein Produkt historischen Zufalls sind, "sondern ein gemeinsames Muster für das Verhältnis von Religion und Politik [...], das sich teilweise sehr unterschiedlich manifestierte und erst in der longue durée [...] sichtbar wird" (22) sei eine Erkenntnis, die nur so zutage treten könne. Die Spezifizierung ihrer Analyse- und Vergleichskategorien erfolgt in Verflechtung mit und als Ergebnis von der Aufarbeitung des Forschungstands im zweiten Kapitel (59-90): Höfert hinterfragt eine ganze Reihe von disziplinär vorhandenen Meistererzählungen und reflektiert gut nachvollziehbar ihre gewählten Begrifflichkeiten und Analysekategorien. Das dritte Kapitel (93-126) bereitet die historische Ausgangslage für die folgenden Universalmonarchien im römischen Kaiserreich auf und verfolgt die Ereignisse bis hin zu Konstatin I. Den Hauptteil der Studie bilden die drei Folgekapitel (IV, 129-237; V, 241-360; VI, 363-485). Sie behandeln in chronologischer Reihenfolge das römisch-byzantinische Reich, das umaiyadische und abbasidische Kalifat und schließlich das lateinische Kaisertum. Im Sinne des Vergleichs sind alle Kapitel in gleicher Weise strukturiert. Höfert legt zunächst die fallspezifisch notwendigen vorhergehenden Entwicklungen dar und spannt den Bogen jeweils bis zu einem ersten grundlegenden Konflikt zwischen Universalmonarchie und (Teilen) der religiösen Elite. Anschließend werden im zweiten Unterpunkt die Konzeptionen der betrachteten Universalmonarchie hinsichtlich ihrer Titulaturen und Begrifflichkeiten und ihres Selbstverständnisses aufgezeigt. Der dritte Unterpunkt thematisiert das Verhältnis der Universalmonarchien mit ihren religiösen Eliten sowie die Folgen dieser wechselseitigen Beziehung. In allen drei Fällen wird diese früher oder später durch Konflikte gekennzeichnet, die gleichermaßen den Anfang vom Ende des angenommenen imperialen Monotheismus markieren. Alle Kapitel schließen mit einer eigenen Zusammenfassung ab. Das siebte Kapitel (489-514) fasst die Ergebnisse zusammen. Diese sind durchaus bemerkenswert. Es gelingt der Autorin, eine in sich geschlossene und überzeugende Geschichte der Entwicklung und des Zerfalls eines imperialen Monotheismus in drei auf den ersten Blick grundlegend verschiedenen Herrschaften nachzuzeichnen, deren Ausgangpunkt im römischen Kaiserreich des vierten bis siebten Jahrhunderts zu verorten ist. Höferts Studie besticht durch ihre theoretische Grundlage und überzeugt durch eine strukturierte, nachvollziehbare Analyse. Auch die Widerlegung der erwähnten disziplinären Meistererzählungen gelingt unter Verweis auf zahlreiche Parallelstudien und bringt dem fachlich vorgeprägten Leser erhellende Erkenntnisse, die nicht selten nur scheinbar eindeutige Setzungen der "anderen" Disziplinen revidieren. Abgerundet wird ihre Studie durch einen umfangreichen Anhang (521-645), der unter anderem alle in Übersetzung zitierten Belegstellen im Original auflistet und auch Abbildungen der verwendeten Münzen umfasst. So garantiert Höfert eine unmittelbare Überprüfbarkeit ihrer Aussagen, was in Bezug auf die (Un-)Zugänglichkeit von Quellmaterialien für fachfremde Leser einen Gewinn darstellt.

Trotzdem muss der Leser mit Einschränkungen leben. Um drei derartig weite Felder sinnvoll vergleichen zu können, müssen enge Vergleichskategorien gewählt werden. Zwangsweise bleiben so viele Aspekte unbeleuchtet. Es ist unvermeidlich, dass ein Fachmann für eines der untersuchten Felder wenig Neues erfahren und auch einige Aspekte vermissen wird, denn im Kern geht es Höfert eben darum, die gewinnbringenden Möglichkeiten eines transkulturellen Vergleiches aufzuzeigen. Zudem ist zu bemerken, dass Höferts Konzept vor allem deswegen überzeugt, weil es in sich geschlossen ist. Dies ist Stärke und Problem ihrer Studie zugleich, denn es bringt die Gefahr mit sich, die gewählten Untersuchungsfelder trotz aller Vorsicht schließlich doch teleologisch nach einem spezifischen Programm "abzugrasen" und andere relevante Aspekte auszublenden. So fällt aus islamwissenschaftlicher Perspektive das Fehlen einiger Punkte auf, die im Falle des abbasidischen Kalifats zweifellos großen Einfluss auf die Herausbildung der zu dieser Zeit vorherrschenden Herrschaftsformen gehabt haben dürften. Es ist disputabel, ob sich der imperiale Monotheismus im abbasidischen Kalifat wirklich nur auf die aufgezeigten spätantiken und damit im Wesentlichen westlichen Linien berief. Einflüsse aus östlicher, insbesondere persischer und zentralasiatischer Richtung, werden nicht berücksichtigt. Man merkt Höferts Studie jedoch an, dass sie sich dieser Problematik bewusst ist: immer wieder werden neue Einschränkungen formuliert und begründet, warum einzelne Sachverhalte mit einbezogen wurden - oder eben nicht. Dies geschieht im Großen und Ganzen überzeugend, führt jedoch zu einigen Wiederholungen. Dies soll nicht als generelle Kritik an Höferts Vorgehen missverstanden werden. Es verdeutlicht jedoch die Angreifbarkeit ihres Unterfangens: inwieweit der auf den vorwiegend schriftlichen Quellen basierende, postulierte imperiale Monotheismus in allen drei Universalmonarchien wirklich politische Praxis gewesen sein kann, bleibt diskutabel. Dennoch: Studien wie die ihre, die mit klarem Fokus eindeutig definierte Aspekte aus einem neuen Blickwinkel - in diesem Fall dem transkulturellen Vergleich - betrachten, sind es, die das Feld für weitere Einzelstudien bereiten. Deshalb ist Höferts Studie eine absolute Leseempfehlung, sofern man bereit ist, sich auf das noch junge Feld der transkulturellen Studien einzulassen. Tut man dies, eröffnen sich gewinnbringende neue Einblicke in bekannte aber bisher offenbar recht einseitig betrachtete Forschungsfelder. Der breite transkulturelle Zugang bietet zudem die Chance, existente Forschungsnarrative aufzubrechen. Die vorliegende Studie zeigt, dass es durchaus möglich ist, scheinbar eindeutig definierte Herrschaftsformen aus den vorherrschenden religiös-kulturellen oder epochalen Zuschreibungen herauszubrechen und neu zu definieren.


Anmerkungen:

[1] Garth Fowden: Empire to commonwealth. Consequences of Monotheism in late Antiquity, Princeton 1993; Aziz Al-Azmeh: Muslim kingship. Power and the sacred in Muslim, Christian and Pagan polities, London (u.a.) 1997.

[2] Wolfram Drews: Die Karolinger und die Abbasiden von Bagdad. Legitimationsstrategien frühmittelalterlicher Herrscherdynastien im transkulturellen Vergleich, Berlin 2009; Jenny Rahel Oesterle: Kalifat und Königtum. Herrschaftsrepräsentation der Fatimiden, Ottonen und Salier an religiösen Hochfesten, Darmstadt 2009; Wolfram Drews / Antje Flüchter (u.a.): Monarchische Herrschaftsformen der Vormoderne in transkultureller Perspektive, Berlin 2015. Siehe dazu auch die Rezension von Tilmann Trausch in diesem Forum.

Florian Saalfeld