Sonja Nadolny: Die severischen Kaiserfrauen (= Palingenesia. Schriftenreihe für Klassische Altertumswissenschaft; Bd. 104), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2016, 257 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-11311-3, EUR 52,00
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Starke Frauen sind in der langen römischen Kaisergeschichte beileibe keine Seltenheit: Livia besaß als Gattin des Augustus und Mutter seines Nachfolgers Tiberius erheblichen Einfluss; wie sehr Claudius unter dem Pantoffel Messalinas stand, ist notorisch; Trajans Witwe Plotina spielte bei der Herrschaftsübergabe an den Nachfolger Hadrian, ihren Protegé, eine etwas zwielichtige, sicher aber entscheidende Rolle; und die jüngere Faustina soll sogar mit Avidius Cassius, dem Statthalter Syriens, gegen ihren Ehemann, den Kaiser Marcus Aurelius, konspiriert haben. Episoden dieser Art wurden von der historiographischen Literatur schon deshalb weidlich ausgewalzt, weil sie gegen die Konventionen einer selbstverständlich nur Männern eine aktive Rolle im Politikbetrieb zugestehenden Gesellschaft verstießen.
An Prominenz nicht nur in der Geschichtsschreibung, sondern auch im materiellen Befund übertreffen die gleich vier großen Frauengestalten der severischen Zeit ihre Vorgängerinnen um Längen. Die aus der Priesterdynastie der syrischen Stadt Emesa stammenden "Iulien" Domna, Maesa, Mammaea und So(h)aemias übten, gemeinsam mit den Kaisern der Dynastie - Septimius Severus, Caracalla, Elagabal und Severus Alexander - eine "Familienherrschaft", in der gerade den Frauen, als Garantinnen der dynastischen Legitimität, hohe Bedeutung zukam. Das jedenfalls ist die These, die Sonja Nadolny in ihrer an der TU Berlin verteidigten und jetzt publizierten Doktorarbeit verficht. Teilweise stellt sich die Verfasserin damit gegen den Mainstream der bisherigen Forschung. [1]
Wie steht es um die Plausibilität ihrer Annahme? Methodisch geht Nadolny streng systematisch vor: Sie vergleicht die Selbstdarstellung des severischen Kaiserhauses und seiner - weiblichen - Angehörigen über das Medium der "Reichsmünzen" mit deren lokaler Rezeption durch provinziale Emissionen und Inschriften sowie mit der Dokumentation in den literarischen Quellen, also hauptsächlichen den historiographischen Werken Herodians und des Cassius Dio sowie den einschlägigen Biographien der Historia Augusta. Seitenblicke beziehen auch die sonstige spätantike und byzantinische Geschichtsschreibung mit ein, die allerdings nur punktuell ergänzendes Material beisteuert. Im Prinzip ist Nadolnys methodischer Ansatz sauber und luzide.
In der knappen Einleitung verwirft sie zunächst die vermeintliche "Orientalisierung" des römischen Hofes durch die Severer, die früher generell als Erklärung für die Prominenz der Kaiserfrauen herangezogen wurde. [2] Sie macht sodann auf den begrenzten Aussagewert der literarischen Quellen aufmerksam. Dort bleibe die öffentliche Rolle des Kaiserhauses und seiner Angehörigen weitgehend unbeachtet. Die Akteure würden gleichsam als "Privatpersonen" dargestellt werden (14). Als Medium öffentlicher Selbstdarstellung kommt der Münzprägung selbstverständlich eine Schlüsselrolle für jede alternative Deutung zu.
Nadolny richtet ihr Augenmerk zunächst auf die "Reichsmünzen", deren Bedeutung als Quellen für kaiserliche Selbstdarstellung sie zunächst knapp erörtert. Bei aller Vorsicht spricht sie sich dafür aus, die Prägungen als Ausdruck dessen zu werten, wie Kaiser in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden wollten. Adressaten seien in erster Linie die imperialen, militärischen und provinzialen Eliten gewesen, die für entsprechende Botschaften auch empfänglich gewesen seien (22). Im Ergebnis kann Nadolny festhalten, dass die Münzen die Kaiserfrauen nicht nur mit "traditionell 'weiblichen' Tugenden" (72) in Verbindung bringen, sondern sie als vollwertige Mitglieder der Dynastie inszenieren. So sei die kaiserliche Familie gleichsam zum Identifikations-, ja zum Identitätskern des römischen Imperiums stilisiert worden.
Im zweiten Teil schwenkt der Fokus auf die provinzialen Nominale und den epigraphischen Befund: das große Corpus von Ehr-, Weih- und Bauinschriften aus den unzähligen Städten des Reiches. Beide Quellengattungen eröffnen, wie Nadolny plausibel macht, die Möglichkeit, die Rezeption der kaiserlichen Selbstdarstellung in lokalen Kontexten zu beobachten. Sie zeigt, wie das Identifikationsangebot der Zentrale vor Ort nicht nur begeisterte Nachahmer fand, sondern sogar - durch Inschriften, weniger durch provinziale Prägungen - noch übertrumpft wurde. Am Beispiel des mater Augusti-Titels zeigt Nadolny, wie in Einzelfällen lokale Inschriften sogar die Avantgarde bildeten, der dann mit zeitlicher Verzögerung die kaiserliche Selbstdarstellung auf Reichsnominalen folgte (119).
Der dritte Abschnitt fragt danach, inwieweit die literarischen Zeugnisse das aus den materiellen Zeugnissen gewonnene Bild modifizieren, korrigieren und verifizieren helfen. Hier überrascht nicht, dass Nadolny nicht wesentlich über die bisherige Forschung hinauskommt. Letztlich ist die Handlungsebene der historiographischen Literatur eine ganz andere als die der Münzen und Inschriften. Die strukturelle Dimension, der das Interesse der Verfasserin gilt, bleibt unterbelichtet. Umso mehr ist zu begrüßen, dass es Nadolny gelungen ist, mit ihrer methodisch versierten, klugen Interpretation vor allem des numismatischen Befundes eine neue Facette zum Bild der severischen Frauen in der Forschung beigetragen zu haben. Der von ihr konstruierte Idealtypus der "Familienherrschaft", der eine weitere innovative Komponente im sich wandelnden Prinzipat der Severerzeit ausmacht, vermag als analytisches Prisma zu überzeugen.
Anmerkungen:
[1] Vor allem Bruno Bleckmann: Die severische Familie und die Soldatenkaiser, in: Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum (Hg.): Die Kaiserinnnen Roms. Von Livia bis Theodora, München 2002, 265-339.
[2] Darin folgend Erich Kettenhofen: Die syrischen Augustae in der historischen Überlieferung. Ein Beitrag zum Problem der Orientalisierung, Bonn 1979.
Michael Sommer