Johannes Süßmann: Vom Alten Reich zum Deutschen Bund 1789-1815 (= Seminarbuch Geschichte), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2015, 232 S., ISBN 978-3-8252-4100-1, EUR 19,99
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Erich Donnert: Antirevolutionär-konservative Publizistik in Deutschland am Ausgang des Alten Reiches. Johann August Starck (1741-1816), Ludwig Adolf Christian von Grolman (1741-1809) und Friedrich Nicolai (1733-1811), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010
Gerhard Schulz: Kleist. Eine Biographie, Sonderausgabe, München: C.H.Beck 2011
Johannes von Müller: "Einen Spiegel hast gefunden, der in allem Dich reflectirt". Briefe an Graf Louis Batthyány Szent-Iványi 1802-1803. Herausgegeben von André Weibel, Göttingen: Wallstein 2014
Johannes Fried / Johannes Süßmann (Hgg.): Revolutionen des Wissens. Von der Steinzeit bis zur Moderne, München: C.H.Beck 2001
Renate Dürr / Gisela Engel / Johannes Süßmann (Hgg.): Eigene und fremde Frühe Neuzeiten. Genese und Geltung eines Epochenbegriffs, München: Oldenbourg 2003
Renate Dürr / Gisela Engel / Johannes Süßmann (Hgg.): Expansionen in der Frühen Neuzeit, Berlin: Duncker & Humblot 2005
Johannes Süßmann zeigt sich in dem vorzustellenden Buch sehr argumentationsfreudig und anregend. In der Einleitung "'Am Anfang war Napoleon'?" wird die Französische Revolution in Anlehnung an Marcel Mauss als totales Ereignis bewertet. Die Franzosen seien die Gebenden und die Deutschen die Empfangenen gewesen. Das zweite Kapitel "Deutschland vor der Französischen Revolution: Blockade oder Erneuerung?", enthält gleich eine ganze Reihe diskussionswürdiger Thesen. "Das Alte Reich war keine Nation, keine Macht, kein Staat." Böhmen sei Teil des Reiches gewesen, Antwerpen und Prag hätten innerhalb des Reiches gelegen (18). Die meisten Darstellungen des deutschen Staatsrechts des 18. Jahrhunderts aber enthalten ein Kapitel über die Grenzen des Reiches. Diesen kann man entnehmen, dass die Zeitgenossen das anders sahen. Die böhmische Kur war im Mittelalter eingerichtet worden, um ein Patt zwischen den deutschen Königswählern zu vermeiden. Dem Kurfürsten von Böhmen wurde im 16. und 17. Jahrhundert die Teilnahme an den Verhandlungen über die Wahlkapitulation regelmäßig verweigert, da er kein deutscher Fürst sei. Auch Reichsitalien gehörte nach Ansicht der Zeitgenossen zwar zum Reich, war aber nicht dessen Teil. Die Aussage, die Beifügung "deutscher Nation" sei kein Teil des offiziellen Reichstitels (20), bleibt Behauptung. "In anderen europäischen Ländern lag die Entscheidung über Krieg und Frieden bei einem Souverän. Im Reich hingegen musste die Außenpolitik zwischen vier Instanzen abgestimmt werden" (21). Auch im Reich lag diese Entscheidung beim Souverän. Souverän waren spätestens seit 1648 der Kaiser und die im Reichstag repräsentierten Stände gemeinsam. War das in den niederländischen Generalstaaten, in der Eidgenossenschaft, in Polen oder Großbritannien, also in einem großen Teil Europas, so grundlegend anders? "Reichspatriotismus war eine Wendung gegen (Macht-)Politik, das heißt er war unpolitisch oder sogar antipolitisch" (23). Der Reichspatriotismus betonte hingegen sehr häufig die Machtressourcen des Reiches und fordert für deren Mobilisierung die Reform des Reiches. Zuzustimmen ist dem Autor, dass die europäischen Großmächte kein Interesse an einer effektiveren Gestaltung des Reiches hatten (22).
Abzulehnen ist jedoch seine Auffassung die Träger der Landeshoheit seien 1648 "für rechtlich selbständig - 'souverän' erklärt worden" (30, 45). Dem entspricht, dass Süßmann die Territorien des Reiches konsequent als "Einzelherrschaften" bezeichnet, ohne den Terminus zu definieren. Anders als der Verfasser meint (34) zeichnete sich das frühneuzeitliche Reich gerade dadurch aus, dass es eine schriftlich fixierte Verfassung hatte. Seit 1519 bekräftigten die Wahlkapitulationen die älteren Reichsgrundgesetze. Ab 1653 galten sie als Teil der Wahlkapitulationen als wenn die "Wort zu Wort" in sie eingerückt seien. So lautete seit dem die wiederkehrende Formulierung in den folgenden Wahlkapitulationen bis 1792. Die Wahlkapitulationen bildeten somit eine geschriebene Verfassung avant la lettre. Es ist daher gerechtfertigt, mit Bezug auf das Alte Reich von Protokonstitutionalismus zu sprechen.
Dass frühneuzeitliche Staatlichkeit hauptsächlich dadurch definiert sei, dass sie "auf Zuwachs" angelegt sei (38), scheint für große Teile Europas fraglich. Manche Entscheidungen des Autors sind zu kategorisch. "Nur der Absolutismus-Begriff vermag die Entwicklung von der Landesherrschaft zur modernen Staatsgewalt zu erklären" (50). Damit lässt sich aber der Aufstieg der Niederlande und Großbritanniens, zwei der dynamischsten Staatswesen der Frühen Neuzeit, nicht erklären.
Überzeugend werden die Unterschiede zwischen Ständeordnung und moderner Gesellschaft geschildert. Aber es bleiben Fragen. Die Gesellschaft der Ständeordnung habe ausschließlich aus "politisch berechtigten Bürgern" bestanden, "während heute jede Privatperson am gesellschaftlichen Leben teilhaben darf, sofern sie geschäftsfähig ist, sprich: über Mündigkeit und Privateigentum verfügt" (83). Dies scheint doch eher für das Zeitalter des Konstitutionalismus mit seinem Zensuswahlrecht zu gelten. Auch die Gleichsetzung von Sansculotten und Jakobinern (122) ist ungenau. Den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 überlebte als geistlicher Reichsstand nicht nur Mainz (131), sondern auch der Deutsche Orden und auch die Reichsritterschaft. Sie fiel erst dem Preßburger Frieden 1805 zum Opfer.
Manche Wertungen sind zu pauschal und teleologisch: "Daher sei ausdrücklich festgehalten: Das Reich ist den Deutschen nicht von außen weggenommen worden. Weggenommen worden ist ihm [!] lediglich die Garantie, die es so lange aufrechterhalten hatte. Das revolutionäre Frankreich ermöglichte und lenkte die Entwicklung. Aber die Beseitigung kam von innen. Sie entsprach lange gehegten Wünschen. Daher stieß sie bei den meisten Deutschen auf Zustimmung oder Gleichgültigkeit" (134).
Als die Ergebnisse der Pariser Verhandlungen zum Rheinbund in Deutschland bekannt wurden, waren die begünstigten deutschen Fürsten unangenehm überrascht. Ihre neuerlangte Souveränität wurde durch die Bundesverfassung und deren angekündigten Ausbau relativiert. Sie sahen sich mit weit größeren Belastungen als innerhalb des Reiches konfrontiert. Der alte Kurfürst von Baden war angesichts der unausweichlichen Notwendigkeit, ebenso wie der Kurfürst-Erzkanzler, zu Tränen gerührt, der bayerische König hätte seinen Pariser Gesandten Cetto im nach hinein am liebsten erschossen und der König von Württemberg legte einen Tag vor der Ratifikation der Rheinbundakte in Gegenwart des Kronprinzen, zweier Minister und eines Notars eine Verwahrungsurkunde nieder, in der er seine Loslösung vom Reich für erzwungen erklärte.
Auch war es keineswegs so, dass alle Rheinbundstaaten neue Gesetzbücher einführten (139) oder der Konservativismus erst in Reaktion auf die Revolution entstand (159). Er artikulierte sich schon im Widerstand zur Aufklärung z. B. durch Justus Möser. Zu undifferenziert sind auch Feststellungen wie, "die Rheinbundstaaten übernahmen die Freiheitsvorstellungen der Französischen Revolution, wie sie in der Erklärung der Menschenrechte deutlich werden." In Mecklenburg z. B. wurde die Leibeigenschaft erst 1822 aufgehoben. "Anders als die Rheinbundstaaten blieb Preußen ohne gesamtstaatliche Vertretung und ohne Verfassung" (189). Auch die meisten Rheinbundstaaten blieben ohne Verfassung und wo man Reichsstände einberufen hatte, wie in Westfalen, löste man sie bald wieder auf. "Österreich war eine Mehrfachherrschaft" (160, 162). Die Herrschaft der Dynastie war eine zusammengesetzte. Goethe begleitete nicht die sächsischen Truppen auf ihrer Campagne in Frankreich 1792 (167), sondern die preußischen, denen sein Herzog als Offizier diente.
Manches was Süßmann beschreibt scheint auch heute noch bedenkenswert. Angesichts von Bevölkerungsverlusten im 17. Jahrhundert, habe man zur Wohlstands- und Machtwahrung die Bevölkerungszahl erhöhen müssen, "etwa indem der Fürst Zuwanderer ins Land holte, wofür er unter Umständen deren abweichende Konfession dulden und den Widerstand der Alteingesessenen dagegen brechen musste" (48). Aber auch die fundamentale Andersartigkeit der dargestellten Zeit wird deutlich: "Fortpflanzung war in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit sozial streng eingehegt." Teilweise mussten bis zu 20 Prozent der Menschen auf eine Eheschließung verzichten (68).
Sehr gelungen ist die den einzelnen Kapiteln nach gestellte räsonierende Bibliographie. Zusätze wie "mustergültiger Problemaufriss" können die Orientierung erleichtern. Insgesamt handelt es sich eher um ein argumentationsfreudiges Thesenbuch als um eine Einführung.
Wolfgang Burgdorf