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Bettina Braun: Neue Biographien zu Maria Theresia (1717-1780). Einführung, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 9 [15.09.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
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Neue Biographien zu Maria Theresia (1717-1780)

Einführung

Von Bettina Braun

Am 13. Mai 2017 jährte sich zum dreihundertsten Mal der Geburtstag Kaiserin Maria Theresias. Wie kaum anders zu erwarten, setzte das Jubiläum die inzwischen übliche Jubiläumsmaschinerie mit Ausstellungen [1], Sondersendungen im Fernsehen, wissenschaftlichen Tagungen [2] und einer Reihe mehr oder weniger wissenschaftlicher Publikationen in Gang. Trotz allem ist unübersehbar, dass die Jubiläumsaktivitäten nicht im Entferntesten mit dem Output des Friedrich II.-Jubiläums im Jahre 2012 zu vergleichen sind, vom Reformationsjubiläum 2017 ganz zu schweigen. Außerhalb der wissenschaftlichen Erforschung gilt das zunächst für Maria Theresias populäre Vergegenwärtigung und Vermarktung. In den Souvenirläden der Stadt Wien ist nach wie vor nur eine Kaiserin präsent, nämlich Kaiserin Elisabeth von Österreich, genannt Sisi. Und während man sich beim Friedrich-Jubiläum nicht scheute, selbst die geschmacklosesten Friedrich-Devotionalien wie z.B. Hundenäpfe mit dem Konterfei des Königs zu verkaufen, finden sich entsprechende Artikel zu Maria Theresia praktisch nicht. Um nicht missverstanden zu werden: Selbstverständlich ist es überhaupt nicht zu beklagen, dass keine Taschentücher, Strumpfbänder, Kinderrasseln oder Vasen mit dem Porträt Maria Theresias zu erwerben sind, aber gerade auch angesichts der historischen Bedeutung der Protagonistinnen ist der Befund zunächst einmal auffallend.

In der Geschichtswissenschaft zeigt sich in gewisser Weise ein ähnliches Bild. Auch sie hat sich Maria Theresia weit weniger zugewandt als ihrem preußischen Antagonisten. Weder gibt es Quelleneditionen, die mit der Politische[n] Correspondenz Friedrichs des Großen [3] oder den Œuvres de Frederic le Grand [4] mithalten könnten, noch lag bisher eine moderne wissenschaftliche Biographie Maria Theresias vor. Die Forschung war deshalb weitgehend auf die zehnbändige Maria Theresia-Biographie Alfred von Arneths aus dem 19. Jahrhundert [5] und auf die von Arneth herausgegebenen Quelleneditionen angewiesen. [6] Umso mehr ist es zu begrüßen, dass das Jubiläumsjahr eine intensivere Beschäftigung mit Maria Theresia veranlasst hat und - das ist bereits jetzt absehbar - zu einer deutlich vertieften Kenntnis dieser Herrscherin geführt hat.

Denn fraglos besitzen Person und Regierung Maria Theresias eine erhebliche Relevanz. Die Kaiserin-Königin regierte von 1740 bis 1780, also 40 Jahre lang, eines der größten Reiche Europas - schon das allein rechtfertigt die genauere Erforschung ihrer Regierungstätigkeit, die eben auch einen wesentlichen Teil der politischen Geschichte des 18. Jahrhunderts umfasst. Dabei war ihre Herrschaft vor allem zu Beginn aufs Äußerste gefährdet. Wie sie diesen Anfeindungen widerstanden hat, hat bekanntlich bereits Friedrich dem Großen Respekt abgenötigt. Auch wenn es dahingestellt bleiben kann, ob Maria Theresia wirklich als die Schöpferin des modernen Österreich zu apostrophieren ist, steht doch außer Zweifel, dass während ihrer Regierungszeit manche Weichen für einen Gesamtstaat Habsburgermonarchie gestellt worden sind. Dabei wollte Maria Theresia freilich nie an die Sonderstellung Ungarns rühren - ein Problem, bei dessen Lösung ihre populäre "Nachfolgerin" Elisabeth im 19. Jahrhundert eine vieldiskutierte Rolle spielen sollte. Mit Maria Theresias Namen verknüpft bleibt auch eine Reihe von Reformen wie beispielsweise die Einführung der Schulpflicht. Werden diese Punkte gewöhnlich auf dem Habenkonto der Kaiserin verbucht, so werden ihr gleichzeitig eine Rückwärtsgewandtheit in vielen Bereichen, religiöse Intoleranz (die sich in Bezug auf die Juden übrigens von der Friedrichs II. gar nicht so sehr unterschied, wie wir seit dem Jubiläumsjahr 2012 wissen) und moralischer Rigorismus vorgeworfen. Zur Heroin feministischer Geschichtswissenschaft taugte Maria Theresia also nicht, obwohl sie sicherlich zu den profiliertesten Herrscherinnen in der Frühen Neuzeit zu zählen ist und damit eigentlich auf das Interesse einschlägiger Historikerinnen hätte zählen können.

Vor diesem hier nur knapp skizzierten Tableau sind die anlässlich des Jubiläums erschienenen Publikationen einzuordnen. Eigentlich setzt die Reihe der Jubiläumspublikationen bereits 2012 ein, und zwar bezeichnenderweise mit einer Studie des Wiener Kunsthistorikers Werner Telesko über die Maria Theresia-Rezeption. [7] Denn das Bild Maria Theresias, das sie als treusorgende Mutter ihrer Kinder und Länder und damit auch als Frau im Rahmen der traditionellen Geschlechterordnung zeigt, ist im Wesentlichen auf das 19. Jahrhundert zurückzuführen. Am Anfang der jüngsten Beschäftigung steht also erst einmal die Identifizierung und daraus folgend das Abtragen etlicher Schichten eines verklärenden Mythos.

Dass Maria Theresia an manchen dieser Legendenbildungen nicht ganz schuldlos war, dass das 19. Jahrhundert also diesbezüglich durchaus auf einer von ihr gelegten Basis aufbauen konnte, zeigen die drei jetzt vorgelegten Biographien. [8] Denn Maria Theresia setzte ihre Mutterrolle durchaus bewusst ein und inszenierte sich als Mutter ihrer zahlreichen Kinder. Die Aussage, sie wolle, so sehr sie auch ihre eigenen Kinder liebe, vor allem die "allgemeine und erste Mutter" ihrer Länder sein, eine Aussage, mit der sie selbst die Verbindung von der biologischen zur Landesmutter zog, ist ja nicht einfach gut erfunden, sondern zuverlässig überliefert. [9] Diese Inszenierungen zielten aber nicht darauf ab, das konservative Rollenmodell der bürgerlichen Familie des 19. Jahrhunderts vorwegzunehmen, sondern sie dienten ganz genau kalkulierten politischen Zwecken. So bildete z.B. die Fertilität der Königin und Kaiserin ein handfestes politisches Argument in der Auseinandersetzung um die Sicherung ihres Erbes und musste deshalb der Öffentlichkeit ostentativ vor Augen geführt werden.

Die Herrschaftsrepräsentation Maria Theresias bildet denn auch einen Schwerpunkt der neueren Arbeiten zu Maria Theresia. Damit werden die Ansätze der kulturhistorischen Forschung für die Geschichte Maria Theresias fruchtbar gemacht, indem die Inszenierungen, z.B. die berühmte Szene auf dem ungarischen Landtag in Pressburg 1741, als solche ernstgenommen und dekodiert werden. Gerade die Biographien von Lau und Stollberg-Rilinger zeigen sehr deutlich auf, wie virtuos Maria Theresia dieses Instrumentarium handhabte.

Der Kontrast zu der Biographie von Arneth ist gerade in dieser Schwerpunktsetzung maximal: Während Arneth über Hunderte von Seiten minutiös die Entscheidungsfindung über die zu ergreifenden Maßnahmen und den Ablauf der militärischen Operationen vor allem im Österreichischen Erbfolgekrieg ausbreitete, interessiert das die modernen Biographen und Biographinnen eher am Rande und dann auch mehr unter dem Gesichtspunkt der Kommunikationsstrukturen. Im Mittelpunkt steht jetzt die Frage, wie Politik gemacht, verkauft und wahrgenommen wurde.
Eine Biographie über Maria Theresia kommt natürlich nicht umhin, das Thema weiblicher Herrschaft zu behandeln und sich in dieser regen Debatte zu positionieren. Indem Stollberg-Rilinger die Geschichte Maria Theresias, wie Matthias Schnettger in seiner Rezension betont, als Dynastiegeschichte erzählt, bestätigt sie die Ergebnisse der Forschung und macht sie zugleich für ihre Arbeit fruchtbar, dass eben gerade die dynastische und nicht anstaltsstaatliche Herrschaft die Regierung von Frauen ermöglichte. Dynastische Herrschaft war auf Frauen nämlich nicht nur zur biologischen Reproduktion angewiesen - dass Maria Theresia diese Anforderung im Übermaß erfüllt hat, stärkte ihre Position und vergrößerte ihre Handlungsoptionen enorm -, sondern sie musste beim Ausfall männlicher Herrscher auch auf Frauen als Herrscherinnen zurückgreifen können - sei es als Regentinnen oder wie im Falle Maria Theresias als Erbin und Herrscherin aus eigenem Recht. Klaas van Gelder merkt daher in seiner Rezension des Bandes von Elisabeth Badinter zu Recht an, dass das Königtum im Europa der Frühen Neuzeit eben nicht so rein männlich war, wie die Autorin suggeriert, um Maria Theresia dann umso mehr als große Ausnahmegestalt präsentieren zu können. Ein "Fall" wie Maria Theresia war im dynastischen Europa durchaus vorgesehen und sozusagen systemimmanent. Dass von interessierten Kreisen innerhalb wie außerhalb der Habsburgermonarchie ihre Regierungsfähigkeit aufgrund ihres Geschlechts angezweifelt wurde, basierte natürlich auf der allgemeinen Überzeugung von der Inferiorität der Frau, war aber vor allem wohlfeiles politisches Argument und ist als solches zu untersuchen - genauso, wie eben auch Maria Theresia ihr Geschlecht als Argument benutzte, wenn sie sich als schutzlose Königin präsentierte.

Bei der Beschäftigung mit Herrscherinnen steht auch fast immer die Debatte im Raum, ob sich so etwas wie eine typisch weibliche Herrschaft ausmachen lässt, während sich Ludwig XIV. oder Friedrich II. kaum die Frage gefallen lassen müssen, ob sich ihre Kriege durch ihr männliches Geschlecht erklären lassen. Erstaunlicherweise weist gerade die dezidierte Feministin Badinter ihrer Protagonistin männliche Eigenschaften zu, um dadurch ihren Erfolg zu erklären. Dabei bedienen sich üblicherweise eher Männer dieser Strategie, um die grundsätzliche Ungeeignetheit von Frauen für Herrschaft zu betonen und dann darauf zu verweisen, dass einzelne Frauen aufgrund ihrer männlichen Eigenschaften als Ausnahme von der Regel gelten können. [10] Demgegenüber weist Van Gelder in seiner Rezension darauf hin, dass jegliche dynastische Herrschaft "männliche" und "weibliche" Komponenten aufweisen musste, um erfolgreich zu sein. Damit erscheint es sinnlos, nach einer typisch männlichen oder typisch weiblichen Politik zu suchen. Was es hingegen sehr wohl gab, wie die Biographien vielfach vorführen, waren typisch männliche oder weibliche Inszenierungsstrategien.

Der Umgang Maria Theresias mit ihren Kindern bildet von jeher ein zentrales Kapitel jeglicher biographischen Beschäftigung mit Maria Theresia und spielt selbstverständlich auch in den jüngsten Arbeiten eine prominente Rolle, wenn auch mit bezeichnenden Verschiebungen. Konsens herrscht inzwischen darüber, dass das Bild von der quasi bürgerlichen Familie, dessen Verbreitung Maria Theresias Lieblingstochter Marie Christine mit ihren, niederländischen Genrebildern folgenden, Zeichnungen des Familienlebens Vorschub leistete, und das Maria Theresia durch die Präsentation ihrer Kinder vor Besuchern gerne inszenierte, nicht der Realität entsprach, auch wenn es am Wiener Hof sicher weniger formell zuging als in Madrid oder Versailles. Die Dynastiegeschichte hat erneut auf die im Prinzip natürlich längst bekannte Tatsache hingewiesen, dass die Kinder eines Herrscherpaares vor allem Mittel der Politik waren, und zwar die Söhne wie die Töchter. Während die Frauengeschichte dazu tendierte, Prinzessinnen allein als Opfer zu sehen und ihnen damit zum einen jegliche "agency" zu nehmen und zum anderen zu verkennen, dass es Töchtern aus bäuerlichen oder Handwerkerfamilien und eben auch den Söhnen nicht viel anders erging, ist diese moralische Verurteilung inzwischen doch einer Untersuchung der zugrundeliegenden Mechanismen gewichen. Das schließt ja durchaus nicht aus, dass man mit einer Marie Antoinette, die mit 14 Jahren an den französischen Hof geschickt wurde, Mitleid haben kann, wobei freilich nicht vergessen werden sollte, dass ihr Bruder Ferdinand, der nach Modena verheiratet wurde, Ähnliches erlebte. Jenseits solcher moralischen Verurteilungen wird die Heiratspolitik in den aktuellen Biographien als zentrales Mittel dynastischer Politik in den Blick genommen und das Verhältnis Maria Theresias zu ihren Kindern vor allem unter dieser Prämisse beschrieben. Stollberg-Rilinger macht allerdings sehr plastisch, wie gründlich Maria Theresia bei allen äußerlichen Erfolgen ihrer auf eine engere Verbindung zu den Bourbonen zielenden Heiratspolitik mit ihrem Vorhaben scheiterte, als Mutter und das heißt: mit den Mitteln dynastischer Politik ihre verheirateten Söhne und Töchter und damit Länder in halb Europa zu kontrollieren.

Indem die Geschichte Maria Theresias in den vorliegenden Biographien - mit durchaus unterschiedlichen Akzentuierungen - mit Hilfe aktueller kultur-, dynastie- und genderhistorischer Ansätze neu erzählt wird, ergibt sich in der Tat ein deutlich verändertes Bild der Kaiserin. Diese methodischen Prämissen dürften für die Neubewertungen letztlich entscheidender sein als das Heranziehen bisher nicht ausgewerteter Quellenbestände vor allem durch Badinter und Stollberg-Rilinger. Insofern sind die jetzt vorgelegten Interpretationen selbstverständlich auch zeitgebunden. Es war aber höchste Zeit, dass die Sicht des 19. Jahrhunderts auf eine der bedeutendsten Herrschergestalten des 18. Jahrhunderts endlich durch Perspektiven des 21. Jahrhunderts ersetzt worden ist.

Anmerkungen:
[1] 300 Jahre Maria Theresia. Strategin, Mutter, Reformerin. Ausstellung an den Standorten Hofmobiliendepot. Möbel Museum Wien, Kaiserliche Wagenburg Wien, Schloss Hof, Schloss Niederweiden, 15.3.-29.11.2017; Maria Theresia. Habsburgs mächtigste Frau. Ausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek, 17.2.-5.5.2017; Kirche, Kloster, Kaiserin. Maria Theresia und das sakrale Österreich, Ausstellung in Stift Klosterneuburg, 4.3.-15.11.2017.
[2] Kaiserin Maria Theresia (1717-1780). Repräsentation und visuelle Kommunikation. Tagung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen. Abteilung Kunstgeschichte, Wien, 29.-31.3.2017; Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert. Maria Theresia und Katharina die Große, Tagung am Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 11.-13.5.2017.
[3] Politische Correspondenz Friedrichs des Großen, hg. von Reinhold Koser u.a., bisher 48 Bde., Berlin 1879-1939, 2003, 2015.
[4] Œuvres de Frédéric le Grand, hg. von Johann David Erdmann Preuß, 31 Bde., Berlin 1846-1857.
[5] Alfred von Arneth: Geschichte Maria Theresia's, 10 Bde., Wien 1863-1879.
[6] Z.B.: Alfred von Arneth (Hg.): Maria Theresia und Marie Antoinette. Ihr Briefwechsel während der Jahre 1770-1780, Paris 1865; ders. (Hg.): Maria Theresia und Joseph II. Ihre Correspondenz sammt Briefen Joseph's an seinen Bruder Leopold, 3 Bde., Wien 1867; ders. (Hg.): Briefe der Kaiserin Maria Theresia an ihre Kinder und Freunde, 4 Bde., Wien 1881.
[7] Werner Telesko: Maria Theresia. Ein europäischer Mythos, Wien / Köln / Weimar 2012. Dazu auch Bettina Braun: Rezension von: Werner Telesko: Maria Theresia. Ein europäischer Mythos, Wien: Böhlau 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 1 [15.01.2014], URL: http://www.sehepunkte.de/2014/01/23199.html.
[8] Elisabeth Badinter: Le Pouvoir au féminin. Marie-Thérèse d'Autriche. L'impératrice-reine, Paris 2016; dt. Übersetzung: Maria Theresia. Die Macht der Frau, Wien 2017; Thomas Lau: Maria Theresia. Die Kaiserin, Wien / Köln / Weimar 2016; Barbara Stollberg-Rilinger: Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie, München 2017.
[9] Politisches Testament Maria Theresias 1750/51, gedr. in Friedrich Walter (Hg.): Maria Theresia. Briefe und Aktenstücke in Auswahl, Darmstadt 1968, 66.
[10] So auch Katrin Keller: Ein neuer Mythos. Zu Elisabeth Badinters Bild von der "modernen Frau" Maria Theresia [URL: http://kaiserin.hypotheses.org/date/2017/05; Zugriff: 18.8.2017].


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