Dominik Feldmann: Von Journalisten und Diplomaten. Die Entdeckung der Presse für die Außenpolitik in Preußen und Österreich 1849-1879 (= Historische Forschungen; Bd. 110), Berlin: Duncker & Humblot 2016, 349 S., ISBN 978-3-428-14828-8, EUR 89,90
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Die Arbeit vergleicht alle Facetten der "negativen" und "positiven" Pressepolitik Preußens und Österreichs. Beide Staaten kämpften um die Führungsrolle und die öffentliche Meinung in Deutschland. Beide erkannten nach der Revolution 1848/49, in der die "Preßzensur" fiel, wie wichtig gerade jetzt die Presse - die "sechste Großmacht" - war, wenn man politische und gerade auch außenpolitische Ziele erreichen wollte. Die Untersuchung endet mit dem Jahr 1879, als der Zweibund mit Österreich-Ungarn geschlossen war und der deutsche Dualismus mit diesem engen Bündnis sein Ende fand.
Mit diesen Sätzen kann man den Inhalt der Dissertation von Dominik Feldmann (Universität Augsburg) zusammenfassen.
"Negative" Pressepolitik heißt: Einflussnahme auf die Presse weniger durch Zensur wie vor 1848, sondern durch Gebühren, Unterbindung von vermeintlichen oder echten Falschmeldungen, Richtigstellungsprozesse und strafrechtlich bewehrte Verbote. Die Revolution 1848 bedeutet demnach nicht das vollständige Ende einer "negativen" Pressepolitik. Das ist ein Ergebnis der Arbeit.
Wichtiger jedoch war die "positive" Pressepolitik: Versuche, eine Regierungspresse zu etablieren, Artikel in Zeitungen lancieren, Kontakte zu Journalisten pflegen, mitunter auch regierungsgewogene Journalisten bezahlen, nahestehende Zeitungen direkt durch Erlassung von Gebühren und Kautionen unterstützen oder auch indirekt finanziell durch zahlenstarke Abonnements staatlicher Behörden fördern. Das alles wurde von Regierungsstellen staatlich koordiniert sowie durch offizielle "Preßleitungskomitees" und Pressebüros, pressepolitische Gesandtschaften und Konsulate institutionalisiert, die alle den Standpunkt ihrer Regierung deutschlandweit in den Zeitungen verbreitet wissen wollten. Auf dieser "positiven" Pressepolitik liegt der Schwerpunkt der Arbeit.
Die "positive" Pressepolitik kann zwar eindeutig beschrieben werden, aber ihre Umsetzung war mit vielfältigen Schwierigkeiten verbunden. Diese zeichnet Feldmann eingehend nach. So gab es in beiden Staaten Konkurrenzen zwischen verschiedenen Regierungsstellen und es wechselten Perioden größerer mit Perioden weniger großer Intensität der Pressebeeinflussung ab. Sie verliefen parallel zu den Zeiten größerer oder weniger großen deutschlandpolitischen Aktivitäten beider Regierungen. Obendrein: Wenn Zeitungen und Journalisten Zuwendungen bekamen, garantierte das nicht immer eine regierungsgewogene Berichterstattung. Und nicht zuletzt haperte es am Geld, das bewilligt werden musste und das für die weit gesteckten Aufgaben immer zu wenig war. Abgesehen davon gab es innerbehördliche Zweifel, ob derlei Maßnahmen auch den gewünschten Erfolg zeitigen. Bismarck selbst hatte solche Zweifel und schrieb auch deshalb selber Artikel.
Dass Presse auf diese Art und Weise beeinflusst wurde, war natürlich in allen Hauptstädten bekannt. So nahm man manchen Zeitungsartikel als offiziöse Verlautbarung und so kam es geradezu zwangsläufig zu diplomatischen Verwicklungen. Bei missliebigen Artikeln argwöhnte die andere Seite immer ganz schnell, dass die Artikel lanciert waren. Und so erklärt sich der Untertitel der Arbeit: Die "Entdeckung der Presse für die Außenpolitik in Preußen und Österreich". All dies zeichnet Feldmann akribisch nach, so akribisch, dass seine Arbeit in weiten Teilen auch zu einer Darstellung des Kampfes um die Führung in Deutschland von 1848 bis 1879 gerät. Allerdings kommen bei der Einbettung der Pressevorgänge in die allgemeine Politik mitunter auch grobe Ungenauigkeiten vor. Besonders krass beispielsweise bei der Schleswig-Holstein-Krise 1863/64: Da erhob "das kleine Herzogtum Lauenburg und dessen Herrscherlinie der Augustenburger aus dynastischen Entwicklungen Anspruch auf die Herrschaft in Schleswig-Holstein" (139). Die Augustenburger herrschten nie in Lauenburg!
Archivalische Basis der Arbeit bilden Akten mit pressepolitischen Inhalten aus dem Allgemeinen Verwaltungsarchiv Wien, dem Geheimen Staatsarchiv preußischer Kulturbesitz und dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, gelegentlich auch Nachlässe. Dann wurden auch eine Fülle gedruckter Quellen und einzelne Zeitungsbestände ausgewertet. Hier hat der Verfasser ein gewaltiges Pensum abgearbeitet. Auch die Sekundärliteratur zur Pressepolitik ist recht umfangreich. Es gibt eine Fülle von Veröffentlichungen auch zu Teilaspekten der Pressepolitik. Feldmanns Arbeit zeichnet sich gegenüber den schon vorhandenen Veröffentlichungen jedoch durch die Fragestellung und den Zuschnitts seines Themas aus: Nämlich vollumfänglich die Pressepolitik beider Staaten mitsamt ihren Organisationsstrukturen sehr detailliert und vergleichend untersuchen zu wollen - und dies ist ihm trotz mancher Schwierigkeiten der Quellenlage voll geglückt.
Eine jede Arbeit über ein historisches Thema ist immer eine Arbeit in ihrer Zeit. Und gerade heute, da immer mehr politische Akteure versuchen mit Nachrichten - auch mit Falschnachrichten - in der Wählergunst zu punkten, vermittelt Feldmanns Dissertation dem Leser ein Déjà-vu-Erlebnis. Die Medien, die Organisationsstrukturen, die Methoden sind andere geworden: Die Ziele blieben mancherorts gleich, nämlich durch "negative" Presse- und Medienpolitik (bis hin zu Journalistenverfolgung und Internetverboten) und positive Presse- und Medienpolitik (Twitter) Politik und Außenpolitik zu machen. Der Kampf um die öffentliche Meinung ist ein Hauptfeld gegenwärtiger Politik, auch in demokratisch-rechtsstaatlich verfassten Staaten. Und da gibt es lautere und weniger lautere Möglichkeiten. Wie sich die weniger lauteren in der Vergangenheit gestalteten: Darüber hat Dominik Feldmann eine über die Zeiten hinaus aufklärende Arbeit geschrieben.
Manfred Hanisch