Rezension über:

Søren Lund Sørensen: Between kingdom and koinon. Neapolis/Neoklaudiopolis and the Pontic cities (= Geographica Historica; Bd. 33), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2016, 224 S., ISBN 978-3-515-11312-0, EUR 48,00
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Rezension von:
Marco Vitale
Historisches Seminar, Universität Zürich
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Marco Vitale: Rezension von: Søren Lund Sørensen: Between kingdom and koinon. Neapolis/Neoklaudiopolis and the Pontic cities, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 10 [15.10.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/10/29098.html


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Søren Lund Sørensen: Between kingdom and koinon

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Eine durchweg erfreuliche, in vielerlei Hinsicht vollblütige Quellenarbeit vom ersten bis zum letzten Inschriftenstein legt Søren Lund Sørensen mit einer Monografie vor, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit der Urbanisierung und Provinzialisierung der nordkleinasiatischen Region Pontos in der hellenistisch-römischen Zeit befasst.

Theorieverpflichtete und -verpflichtende Termini wie etwa Hellenisierung und Romanisierung belasten nirgends den Fortlauf und die Relevanz einer insgesamt konkludenten Argumentation. Die durch einen wichtigen epigrafischen Appendix sowie wertvolle Indices (antike bzw. moderne Namen, Orte, Sachen, Hauptquellen) bereicherte, nicht nur Kleinasienspezialisten inspirierende Studie entstand im Rahmen des vom Danish Council for Independent Research geförderten Forschungsprojekts Where East meets West aus einer von der University of Southern Denmark angenommenen Dissertationsschrift. Ihr Untersuchungsfeld in der bereits für die Antiken obskuren Randzone des Orbis Provinciarum, das im pontischen Binnenland mit fruchtbaren Landstrichen und Flussbecken kokettierende Paphlagonien, verspricht angesichts der soliden Forschungstradition ein keineswegs leichtes Aufgabengebiet. Seit den von J.G.C. Anderson, dem Bruderpaar Cumont, J.A.R. Munro und H. Grégoire nachhaltig initiierten 'pontischen Studien' haben sich mehrere Generationen bedeutender Antikenforscher mit der komplexen und komplizierten historischen Geografie sowie den reichhaltigen, jedoch für einzelne Epochen häufig lückenhaften, epigrafischen und numismatischen Zeugnissen einer Region auseinandergesetzt, die eine interessante Schnittstelle zwischen indigen-anatolischen, persisch-iranischen, griechischen und römischen kulturellen Einflussnahmen darbietet.

Sørensens Vorzug liegt besonders in der minutiösen Neubetrachtung der Quellen und anregenden Neuausrichtung von Fragestellungen. Reflektiert auf den richtungweisenden Erkenntnissen vorgängiger Gesamtdarstellungen der Geschichte des römischen Pontos aufbauend, versucht Sørensen nicht nur die "annalistic history of this period" (14) zu rekonstruieren. Vielmehr beleuchtet er auch das verwaltungsgeografisch sowie kulturhistorisch relevante Phänomen des Übergangs von dynastischer Herrschaft zur römischen Provinzialherrschaft in einer vornehmlich lokalen Betrachtungsweise: Sørensen lässt seine Argumentationslinien von der pompeianischen Stadtgründung Neapolis, nachmals Neoklaudiopolis/Andrapa, in der antiken paphlagonischen Landschaft Phazimonitis ausgehen, die er in mehreren epigrafischen Surveys selber besichtigt hat. Den größeren Bedeutungszusammenhang bilden die durch Pompeius Magnus herbeigeführten, radikalen Herrschaftsveränderungen im Gebiet des ehemaligen persisch-anatolischen Königreichs von Mithradates VI.: Annexionen, Provinzeinrichtungen und häufige territoriale Umstrukturierungen durch Arrondieren neuer Verwaltungsterritorien oder Einsetzen von Klienteldynasten haben sich von der späten Republik bis zur hohen Kaiserzeit zu einem unüberschaubaren Flickenteppich verdichtet, dessen Webemuster Sørensen zu ergründen sucht.

Literarisch ausgefeilte Kost in dantesker Manier bietet, in der Einleitung (11-17), der als thematische 'Wegleitung' aufgesetzte Erzählrahmen: Die 'vergilianische' Rolle der uns durch die Untersuchung geleitenden Person wird dem aus Neoklaudiopolis stammenden Pontarchen, Vorsitzenden des provinzialen Landtags, Ptolemaios anvertraut, der in severischer Zeit einen beschrifteten Altar für Zeus Disabeites im Untersuchungsgebiet weihte (161). Ptolemaios' Fallbeispiel vereint viele der von Sørensen angegangenen Quellenprobleme und bildet zugleich den Endpunkt der von einem Kaisereid in augusteischer Zeit aus startenden Hauptanalyse (13). Im Schlusskapitel erfolgt die eschatologische Übergabe des Geleits an den Kirchenvater Gregor Thaumaturgos (bei Dante Alighieri ist es Beatrice) aus dem binnenpontischen Neokaisareia unter dem passenden Titel Mission complete: Dessen wohlwollende, flüchtige Sicht auf den spätrömischen Pontos synthetisiert (186) "the success of the Romans in provincialising and transforming Pontos". Abgesehen von den eingehenderen historisch-geografischen Notizen des griechischen Pontikers Strabon aus augusteischer Zeit fallen literarische Quellen mit Bezug auf die nordkleinasiatischen Schwarzmeerregionen vergleichsweise sparsam aus (17). Das von Sørensen analysierte Quellenmaterial, überwiegend bestehend aus Inschriften und Münzprägungen, deckt einen breiten Zeitraum vom 1. Jahrhundert v. bis zum 4. Jahrhundert n.Chr. ab. Das Hauptgewicht der relevanten Zeugnisse liegt im 2./3. Jahrhundert n.Chr. (91-92: Bestandsaufnahme der Quellenlage).

Das Buch ist in sechs Kapitel (I.-VI.) untergliedert, die als Themenblöcke teilweise forciert aneinandergeschweißt sind. Die Präsentation der stets tiefgreifenden Quellenanalyse ist nicht nach einem konventionellen Modell in chronologisch aufsteigender, sondern zu einem Großteil in umgekehrter Richtung als Rückblende von der imperialen auf die regionale und dann lokale Ebene, lesestrategisch dennoch günstig angelegt. Den Anfang (I.) macht eine umfassende, vergleichende Betrachtung der auch dank der literarischen Überlieferung prominent gewordenen (Plin. ep. 10.52-53) Vereidigungen der peregrinen Bevölkerung und ansässigen Römer einer Provinz auf die jeweilige domus Augusti. Angelpunkt der Analyse bildet der eingehend kommentierte epigrafisch erhaltene Kaisereid auf einer im oberen Mittelteil sowie entlang der rechten Längsseite stark beschädigten Stele aus Vezirköprü (19-22; 144-146 mit Abb. 13; 149-151). Im Appendix (189-200) finden sich die sechs weiteren Kaisereide aus Conobaria, Aritium, Sestinum, Samos, Palaipaphos und Assos, jeweils mit kritischem Apparat sowie eigener englischer Übersetzung versehen. Diese aus häufig standardisierten Textpartien collagierten Urkunden waren keine pontische Spezialität, sondern in allen Reichsteilen üblich. Aber von den sieben bisher erhaltenen, insgesamt auf drei verschiedene Kaiser eingeschworenen iusiuranda bzw. ὅρκοι stellt derjenige aus Neapolis hinsichtlich Beschreibung der Gelöbnisformalitäten und Angabe der Schwurorte und Schwuraltare die vollständigste Version dar. Die Analyse des sogenannten "imperial oath from Vezirköprü" hat sich bereits durch frühere Artikel des Autors als eines seiner Spezialgebiete erwiesen. In einem Unterkapitel schneidet Sørensen die fundamentale Frage nach der Zielsetzung solcher Vereidigungen auf das Kaiserhaus im provinzialen Zusammenhang an: Sie bezeugen nicht nur die enge Anbindung der jeweiligen Provinz an das Machtzentrum Rom, sondern beleuchten auch (44) "local circumstances in very different localities". Besonders der sozialhistorisch belangreiche Aspekt der "local ambitions" (41) kennzeichnet die Präambeln zum eigentlichen Schwur in den griechischen Texten aus Assos, Neapolis und Samos im Unterschied zu den stärker formalisierten lateinischen Fassungen. Die Zusammenschau der Bezeugungen bekräftigt eine bereits von P. Herrmann allgemein formulierte Beobachtung, dass solche Eide "at times of change of status" geleistet wurden: Dies konnte Wechsel sowohl auf der imperialen als auch auf der lokalen Ebene betreffen. [1] Überzeugend ist Sørensens Wertung (40), dass in den meisten Inschriftenformularen die griechischen Elemente (etwa in Anlehnung an die Symmachie-Verträge hellenistischer Zeit) gegenüber der römischen Tradition von sacramentum militare- und salus-Vereidigungen überwiegen. Seit der Veröffentlichung der lateinischen Inschrift aus dem lusitanischen Conobaria im Jahre 1988 fehlt es an substantiellen Thematisierungen dieser faszinierenden Textgattung. Sørensens Kaisereid-Kapitel setzt nach P. Herrmanns grundlegender Arbeit einen weiteren Meilenstein in deren Erforschung.

Die Kapitel II. und III. stellen einen aktualisierten Zwischenstand der seit Jahrzehnten wütenden, hauptsächlich an J. Deiningers Ergebnissen abgemessenen, kontroversen Frage dar, aus wie vielen administrativen Unterabteilungen (eparchiai) und entsprechenden provinzialen Landtagen (koina) die ehemals von Pompeius Magnus organisierte Mammut-Provinz Pontus in verschiedenen Perioden der Kaiserzeit zusammengesetzt war. Bedingt von der komplexen Quellenlage, nimmt Sørensen im noch andauernden Kampfgetümmel gegensätzlicher Rekonstruktionen willentlich keine Position ein. Das Kapitel hat überwiegend forschungsgeschichtliche Relevanz, insofern Genese und Entwicklung der Forschungstraditionen im Einzelnen nachgezeichnet werden. Sørensens Auffassung einer fehlenden juristisch-politischen Rolle provinzialer Landtage (71: "the koina seemingly did not have anything to do with cases of repetundae") vermag nicht gänzlich zu überzeugen. [2] Neuland in mehrfacher Hinsicht betritt Kapitel IV. (91-106). Die Fokussierung auf die eigentliche Kernuntersuchung, nämlich Neapolis und dessen griechische und lateinische Quellenzeugnisse trifft zum einen auf ein explizit religionshistorisches Interesse ("cultic landscape") und zum anderen auf polithistorische Interessen ("the dissemination of Greek and Roman institutions"). Weiterführend ist etwa die mehrfach belegte Beobachtung, dass die Onomastik des binnenländischen Pontos mehr lateinische als griechische Personennamen aufweist (175; z.B. Ephebenliste aus Pompeiopolis). Auch der relativ späten, aber konsistenten Verbreitung des christlichen Glaubens im Pontos sind mehrere aufschlussreiche Abschnitte gewidmet (bes. 99-101). Ebenso spannend werden in Kapitel V. Sørensens Ausführungen über die Auflösung der Tempelstaaten unter den provokanten Stichworten desecration bzw. sacrilege in der Zeit von Pompeius Magnus' Oberkommando im Osten: Die Umwandlung der meisten Territorien in griechische Stadtstaaten bedingte die Auflösung einer Jahrhunderte alten anatolisch-persischen Tradition von "everyday symbols of power", der parallelen Sakralität von Königtum und Tempelstaaten (110: z.B. Zela, Ameria). Querverweise auf ein ähnliches römisches Vorgehen in Iudaea (113-116) liefern die Psalmen Salomos: Pompeius figuriert als Instrument göttlicher Strafe.

Die nur allmähliche Einverleibung Paphlagoniens in den römischen Machtbereich war ein langwieriger Prozess, der außer römischen Feldherrn mit unterschiedlichen Vorstellungen von Gebietsherrschaft auch mehrere Klienteldynasten und -dynastinnen beanspruchte: Wichtig ist das Unterkapitel (138-153) über die in der Forschungstradition nur selten beachtete pontische Königin Pythodoris. Ob der Verwendung einer vom Jahre 6/5 v.Chr. ausgehenden Jahreszählung auf Neapolis' Münzen und Inschriften eine Befreiung von der Königsherrschaft des Deiotaros Philadelphos und damit verknüpfte Eingliederung in die Provinz Galatia zugrunde liegen oder Neapolis noch bis 64 n.Chr. unter Klientelherrschaften (Pythodoris und Polemon II.) stand, aber trotzdem die ältere Befreiungsära beibehielt, bleibt aufgrund des fragmentarischen und streckenweise wenig aussagekräftigen Quellenbefunds für das frühe Prinzipat im Dunkeln. Abgesehen von wenigen quellenbedingten Unklarheiten, bildet das vorliegende Opus eine für zukünftige Studien über Provinzialisierungsprozesse im griechischen Osten nicht zu übergehende Referenzmarke.


Anmerkungen:

[1] Die "possible connection between the oaths and the worship of the emperor" (41 Anm. 81) ergibt sich eindeutig aus der Erwähnung von kultischen Gelöbnisorten (Z. 38; 41/42: βωμοί τοῦ Σεβαστοῦ).

[2] Wie bereits an anderer Stelle aufgezeigt, liegt das Problem hauptsächlich in der unterschiedlichen Weise, in der concilia/koina sowohl in Literatur als auch in Inschriften Erwähnung finden.

Marco Vitale