Rezension über:

Michael Hochgeschwender: Die Amerikanische Revolution. Geburt einer Nation 1763-1815, München: C.H.Beck 2016, 512 S., 7 Kt., 28 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-65442-8, EUR 29,95
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Rezension von:
Josef Johannes Schmid
Mainz / Manubach
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Josef Johannes Schmid: Rezension von: Michael Hochgeschwender: Die Amerikanische Revolution. Geburt einer Nation 1763-1815, München: C.H.Beck 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 11 [15.11.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/11/29374.html


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Michael Hochgeschwender: Die Amerikanische Revolution

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An sich herrscht bezüglich Büchern zur großen Sattelzeit weder eine sonderliche Rechtfertigungsnotwendigkeit hinsichtlich der Motivation des Autors, noch ein übermäßiger Bedarf an neuen Überblickswerken. Zum einen sind Signifikanz und Bedeutung der Epoche unstrittig, zum anderen aber diese historiographisch hinlänglich aufgearbeitet.

Eine große Ausnahme von diesen allgemeinen Beobachtungen bildet im globalen Kontext die Geschichte Nordamerikas von 1763, dem Ausgang des schließlich in seiner Folgewirkung weltweiten French & Indian War, unzutreffend als Siebenjähriger Krieg bezeichnet [1], und dem Ende sowohl der Napoleonischen Kriege als auch des hierzulande nahezu vergessenen War of 1812 im Jahre 1815. [2] Für diesen Zeitraum liegen im Moment für den deutschen Sprachraum überhaupt keine Gesamtdarstellungen vor [3] und selbst für den angelsächsischen nur vereinzelte. [4] Umso begrüßenswerter ist das Erscheinen der hier anzuzeigenden großen Studie des Münchner Amerikanisten Michael Hochgeschwender, welche sich just diesem Sujet in extenso widmet.

Das erste festzustellende und unleugbare Verdienst derselben liegt in der Wahl des bezeichneten Zeitfensters - nur der große Überblick der Entwicklungslinien kann für diesen geographischen Raum zu Erkenntnisgewinn führen und Prozesse verständlich machen, deren Ursachen tatsächlich über ein halbes Jahrhundert im Vorfeld zu verorten sind. Hierzu zählen neben der Genese einer eigenen (US-)amerikanischen Identität und ihrer geistigen Grundlegung so scheinbar diverse Aspekte wie Zoll- und Handelspolitik, Heerwesen und militärische Präsenz(en), Indianerfrage und Auserwähltheitsgedanke, politologische Diskussion und verfassungsrechtliche Konstituierung, Loyalitäten und zivilen Konflikten.

All diese Punkte werden vom Autor nicht nur angesprochen, sondern in einer über weite Strecken vorbildlichen Weise mit- und ineinander verflochten, analytisch beleuchtet und anhand sprechender Details illustriert. Dass dies ohne Verlust der großen Perspektive, aber auch ohne Ermüdung des Lesers (beziehungsweise der bei diesem einsetzenden Ratlosigkeit angesichts solcher Themenvielfalt) erfolgen kann, ist in erster Linie den darstellerischen Qualitäten des Verfassers geschuldet - einem mitunter durchaus packenden, hierzulande äußerst seltenen Erzählstil, gepaart mit einer hohen Analysedichte und eingestreuter Binnenreflexion, sowie der - auch nicht immer selbstverständlich - makellosen Syntax.

Es sind hier nicht Ort und Platz, sämtliche Inhalte und Aussagen en détail nachzuzeichnen, respektive zu referieren. Festgehalten sei daher in der Summe, dass es Michael Hochgeschwender gelingt, ein bislang in dieser Perspektive zumal in deutscher Sprache nicht behandeltes Thema in einer auch im gesamthistoriographischen Kontext seltenen Geschlossenheit zu präsentieren.

Gegenüber diesen unzweifelhaften Verdiensten fallen einige, bei der Breite des Ansatzes und der Länge des untersuchten Zeitraums wohl kaum zu vermeidende Einzelnachfragen nicht übermäßig ins Gewicht. Diese betreffen zum einen den Titel selbst, vor allem das problematische Etikett Revolution, dessen Anwendung auf die nordamerikanischen Vorgänge ab 1770 weder unproblematisch noch unumstritten ist. In der Einleitung werden dann jedoch die Gegenargumente, vor allem jene zugunsten einer Interpretation der konservativen Revolte als Selbstbehauptung gegen vermeintlich angemaßte Rechte von Krone, Regierung und partikularen Wirtschafts-/Handelsinteressen ausgiebig erörtert.

Schon an diesen Punkt werden die immanenten limits einer umfassenden Studie wie der vorliegenden offenbar, bedürfte doch schon allein die erschöpfende Beantwortung dieser Frage eine umfassende globale Ideengeschichte der Zeit von 1650-1850, hinsichtlich der Rezeption eventuell sogar darüber hinaus. Natürlich ist das hier nicht zu erwarten und wohl auch nicht zu leisten; der Autor versucht sein Möglichstes, wesentliche Grundlagen und Konsequenzen eindringlich aufzuzeigen.

Ein weiteres genre-immanent schwieriges Feld stellen Anmerkungen und Quellen-/Literaturauswahl für einen derart komplexen Inhalt dar. Eventuell wäre es sinnvoller gewesen, auf erstere ganz zu verzichten, beziehungsweise diese summarisch nach Kapiteln aufzulisten, um dafür Zweiteres, systematisch im Sinne einer bibliographie raisonn&e geordnet, stärker zu verdichten und dabei vor allem im Bereich der Biographik sowohl klassische Texte wie auch neuere Forschungen verstärkt zu berücksichtigen. [5]

Doch bleibt dies alles Detail gegenüber einer, es sei nochmals gesagt, in Ansatz, Themenwahl, Analyse und vor allem Darstellung überzeugenden, stellenweise brillanten Studie, deren Lektüre und Reflexion Fachkollegen, besonders aber auch einer breiteren interessierten Öffentlichkeit sowohl als Einstieg in die Materie als auch deren Hinterfragung ans Herz gelegt sei. Diese Empfehlung ergeht umso dringender, als der Autor dem Phänomen der Mythen und Mythenbildung als wesentlicher Teil des histori(ographi)schen Prozesses einen weiten Raum zubilligt und damit Wesentliches zum Selbstverständnis einer Nation beiträgt, deren Identität in unseren Tagen nachhaltiger denn je erschüttert scheint.


Anmerkungen:

[1] Die beiden einzigen sowohl die nordamerikanischen wie globalen Gesichtspunkte des Konflikts beachtenden Publikationen sind: Daniel A. Baugh: The Global Seven Years War 1754-1763.Britain and France in a Great Power Contest (Modern Wars In Perspective), Abingdon / New York 2015 und Fred Anderson: Crucible of War. The Seven Years' War and the Fate of Empire in British North America, 1754-1766, New York 2001.

[2] Der Krieg wurde zwar offiziell mit dem Frieden von Gent am Weihnachtsabend 1814 beendet, doch die vor allem für die mythische Folgerezeption wichtige letzte Schlacht, der amerikanische Sieg in dem ansonsten für die USA wenig glorreichen Konflikt in der Battle of New Orleans, endete erst am 18. Januar 1815.

[3] Zwar keine Ausnahme hiervon, aber dennoch der Erwähnung wert ist die von H. Wellenreuther, N. Finzsch und U. Lehmkuhl seit dem Jahre 2000 herausgegebene Reihe Geschichte Nordamerikas in atlantischer Perspektive von den Anfängen bis zur Gegenwart, welche den von Hochgeschwender behandelten Zeitraum allerdings in vier Bände aufteilt.

[4] Neben wenigen Überblicks- (Alan Taylor: American Revolutions. A Continental History, 1750-1804, New York 2016) und lexikalischen Werken (Paul Finkelman (Hg.): Encyclopedia of the New American Nation, 1754-1829, 3 Bde., Detroit 2005/2006) betrifft dies v.a. Einzelaspekte: Robert W. Smith: Amid a Warring World. American Foreign Relations, 1775-1815, Washington 2012; Robert S. Allen: His Majesty's Indian Allies. British Indian Policy in the Defence of Canada, 1774-1815, Toronto 1992; William T. Hutchinson: Kentucky & the Revolutionary Era, 1770-1815, Chicago 1976.

[5] Etwa Douglas Southall Freeman: George Washington. A Biography, 7 Bde., New York 1948-1957; Dumas Malone: Jefferson and His Time, 6 Bde., Boston 1948-1982; John E. Ferling: Setting the World Ablaze. Washington, Adams, Jefferson, and the American Revolution, Oxford / New York 2000; Joseph J. Ellis: The Founding Brothers. The Revolutionary Generation, New York 2001; David McCollough: John Adams, London / New York 2002; Edward G. Lengel: General George Washington. A Military Life, New York 2005.

Josef Johannes Schmid