Rezension über:

Geneviève Bresc-Bautier / Yves Carlier / Bernard Chevallier et al.: Les Tuileries. Grands décors d’un palais disparu, Paris: Editions du Patrimoine 2016, 288 S., zahlr. Abb., ISBN 978-2-7577-0520-9, EUR 69,00
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Rezension von:
Ulrike Seeger
Institut für Kunstgeschichte, Universität Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Kristina Deutsch
Empfohlene Zitierweise:
Ulrike Seeger: Rezension von: Geneviève Bresc-Bautier / Yves Carlier / Bernard Chevallier et al.: Les Tuileries. Grands décors d’un palais disparu, Paris: Editions du Patrimoine 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 1 [15.01.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/01/30589.html


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Geneviève Bresc-Bautier / Yves Carlier / Bernard Chevallier et al.: Les Tuileries

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Der reich illustrierte Band widmet sich der Geschichte der Innenausstattung des Tuilerienpalastes in Paris, der - 1564 unter Katharina von Medici begonnen - mehreren Monarchen und Monarchien als Residenz diente, bevor er am 24. Mai 1871 beim Aufstand der Kommune in Brand gesteckt wurde. Der räumliche, ikonografische und textile Wandel des Inneren liefert eine Kunstgeschichte der französischen Herrscher und ihrer Repräsentationsformen. Von sechs Autoren bestritten, hat der Band keinen Herausgeber. Doch scheint die Federführung bei Guillaume Fonkenell gelegen zu haben, der 2010 zur Baugeschichte der Tuilerien ein umfangreiches Werk mit 3D-Visualisierungen vorgelegt hat. [1]

Mit Verweis auf diese Publikation stellt Guillaume Fonkenell die Frühgeschichte der Tuilerien dar, die unter Katharina von Medici als eigenständiges Schloss in der Nähe des Louvre begonnen wurden. Von der Fünf-Höfe-Anlage Philibert Delormes, die Jacques Androuet du Cerceau (im Lageplan offenbar seitenverkehrt) überlieferte, kam nur der 262 Meter lange Gartenflügel zur Ausführung. Das Paradeappartement der Königin sollte wohl in dessen Südteil entlang der Hauptachse liegen.

Die Wohnräume gruppierten sich in einem Zwischenpavillon, an den sich nach Süden Richtung Seine eine siebenachsige Galerie anschloss (18). Parallel zur Galerie begann ein zweites, vom Nebenhof aus zugängliches, ebenfalls nach Süden gerichtetes Appartement. Die merkwürdig ineinander geschachtelte Raumdisposition und die Möglichkeiten ihrer Nutzung sind nur Fonkenells Publikation von 2010 klar zu entnehmen. Zudem fehlt eine typologische Einordnung. Für Fest und Theater sah Delorme zwei freistehende Ovale vor, deren Funktion später der Nordteil des Gartenflügels übernahm.

Als bewohnbare Residenz wurden die Tuilerien erstmals für Ludwig XIV. hergerichtet. Treibende Kraft des 1664 im Äußeren, 1666 im Inneren begonnenen Umbaus war sein Minister Jean-Baptiste Colbert. Als Beweggrund nennt Yves Carlier die Bereitstellung einer Ausweichresidenz während des Ausbaus des Louvre (27). Hier, wie auch in seinen weiteren Ausführungen, vermisst man genaue Nachweise und vor allem die Auseinandersetzung mit der älteren Literatur. Auf die grundlegenden Forschungen von Pierre-Nicolas Sainte-Fare-Garnot [2] wird nicht einmal summarisch verwiesen.

Im Ausmaß und in der Organisation der hinzugezogenen Künstler sind die Tuilerien als Vorstufe zu Versailles zu begreifen (37), wenngleich sie mit ihrem goldgrundigen Groteskendekor doch auch eine Weiterführung der Galerie d'Apollon des Louvre darstellten. Außer dem vielen Gold bewunderten die Zeitgenossen die Monumentalität der Enfilade. Sie wurde zusammen mit den Lambris als Stichfolge herausgegeben. Hier übernimmt Carlier das (später hinzugefügte?) Erscheinungsjahr 1710 (42), ohne darauf hinzuweisen, dass der Zeichner und Stecher François Chauvenau 1676 starb und schon 1667-71 Zahlungen geleistet wurden.

Das Grand Appartement Ludwigs XIV. lag auf der Hofseite der Bel Étage, wo es nach der Chambre de Parade und dem Grand Cabinet in eine Galerie mündete. Auf der Gartenseite schloss das Petit Appartement an, dessen privates Schlafzimmer nebst Kabinett auf das private Schlafzimmer seiner Gattin Maria Theresia traf. Unterhalb der Königin logierte mit gleicher Raumfolge der Dauphin. Zwei weitere königliche Appartements im Erdgeschoss dienten der Skulpturen- und Gemäldesammlung (49).

Dem jungen Ludwig XV. wurden die Tuilerien zusammen mit seinen Erziehern zugewiesen, bevor auch er Versailles bevorzugte. Marie-Antoinette griff 1784 für die Repräsentationsräume auf Mobilien Ludwigs XIV. zurück, während sie sich in der Attika ein Rückzugsquartier völlig neu möblierte, in das sie sich nach Theaterbesuchen inkognito zurückzog (74). Die Revolution brachte neue Nutzungsanforderungen. In den Appartements wurden Büros, in der Nordhälfte ein großer Versammlungsraum eingerichtet, doch hielten sich die Schäden in Grenzen.

Der wohl wichtigste konzeptionelle Neuerer der Tuilerien nach Colbert war Napoleon Bonaparte. Er residierte dort als Erster Konsul und seit 1804 Kaiser der Franzosen, zuerst mit Joséphine, dann mit Marie-Louise. Fundiert und in farbig unterlegten Grundrissen visualisiert, erläutert Anne Dion-Tenenbaum diese Phase. Mit Napoleons Thronbesteigung setzte die als Empire europaweit stilprägende Neugestaltung der kaiserlichen Appartements ein.

Die bis dahin typische Chambre de Parade ablösend, fungierte fortan die Salle du Trône mit rundem Baldachin, dreistufigem Podest und Balustrade als Kulminationspunkt der Paraderäume (90). Als Erweiterung des Petit Appartements wurde 1808 als bedeutende, das Arbeitsethos veranschaulichende Neuerung ein Arbeitszimmer mit hohen Mahagonischränken eingerichtet (106).

Die immer nur schrittweise vorgenommenen Neugestaltungen imaginierte seit 1802 das Architektengespann Charles Percier und Pierre-François-Léonard Fontaine, die sich durch alle machtpolitischen Wirren und gewandelten stilistischen Ansprüche bis in die Juli-Monarchie halten konnten. Gegen Ende seiner Regierungszeit forderte Napoleon für die Möbel des Thronfolgers im Pavillon de Marsan einheimische Furniere aus Esche, Ahorn und Ulme (107).

Während der Restauration, für die Tenenbaum ebenso wie für die beginnende Romantik auf eigene Forschungen zurückgreifen kann, geschahen vorwiegend konservative Rückführungen wie beispielsweise die Installierung eines rechteckigen Baldachins oder die Wiedereinführung einer speziellen Wintermöblierung mit Tapisserien. Unter dem Bürgerkönig Louis-Philippe vermischten sich erstmals die Funktionen der Appartements. Im einstigen Schlafzimmer des Königs wurde das Familienzimmer der Königin mit angrenzendem Billardzimmer Louis-Philippes eingerichtet. Ein Stockwerk tiefer schliefen die Ehepartner im ehemaligen Schlafzimmer der Königin.

Ihre Kinder initiierten den romantischen Rückgriff auf Mobiliar unterschiedlichster Epochen. 1835 entstand für die Sammlungen der als Bildhauerin tätigen Marie Christine erstmals ein historistisches, im Stil von Gotik und Renaissance gehaltenes Interieur (123). Ihr Bruder Ferdinand-Philippe durchforstete ebenfalls die Garde-Meubles und möblierte alsbald vorwiegend im Style Louis XIV, der rückblickend offenbar als am meisten königlich empfunden Stilstufe (127).

Für die Darstellung der letzten, vor allem mit neubarocken Bronzeleuchter und -uhren bewerkstelligten Aufwertung des Palastes unter Napoleon III. greift Bernard Chevallier auf frühe Fotografien zurück, die er anhand des Inventars von 1855-70 kommentiert. Seine Recherchen dienen nicht zuletzt der Wiedergewinnung einstiger Funktionskontexte heutiger Museumsobjekte. Den Abschluss bildet die fotografische Dokumentation der Ruine.

Insgesamt liefert das Buch einen gut lesbaren, opulent bebilderten Überblick zu einem wichtigen Residenzschloss der französischen Monarchie. Für das 16. und 17. Jahrhundert sollte man jedoch zusätzlich die genannten Publikationen konsultieren. Der deutschen Forschung darf das Buch darüber hinaus als Plädoyer für die eminente Bedeutung höfischer Innenausstattung gelten. Fast allen Beiträgen hätte es gutgetan, über den Tellerrand ihres Gegenstandes hinauszublicken, doch verleitet vermutlich die initiale Qualität und Bedeutung der Anlage zum strengen Fokus.


Anmerkungen:

[1] Guillaume Fonkenell: Le Palais des Tuileries, Arles 2010.

[2] Pierre-Nicolas Sainte-Fare-Garnot: Le décor des Tuileries sous le règne de Louis XIV (= Notes et documents des musées de France; Bd. 20), Paris 1988; Pierre-Nicolas Sainte-Fare-Garnot: Le château des Tuileries, Paris 1988.

Ulrike Seeger