Rezension über:

Gareth D. Williams / Katharina Volk (eds.): Roman Reflections. Studies in Latin Philosophy, Oxford: Oxford University Press 2016, XI + 306 S., ISBN 978-0-19-999976-7, GBP 47,99
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Rezension von:
Gernot Michael Müller
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Gernot Michael Müller: Rezension von: Gareth D. Williams / Katharina Volk (eds.): Roman Reflections. Studies in Latin Philosophy, Oxford: Oxford University Press 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 2 [15.02.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/02/28425.html


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Gareth D. Williams / Katharina Volk (eds.): Roman Reflections

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Die Zeiten sind vorbei, in denen philosophische Literatur von Römern grundsätzlich als unselbständige Seitenlinie der allein als innovativ geltenden griechischen Philosophie abgetan wurde. Inzwischen haben gerade die drei großen philosophischen Autoren lateinischer Sprache Lukrez, Cicero und Seneca ihren festen Platz in der Geschichte der antiken Philosophie erhalten und werden darin als veritable Vertreter der von ihnen gepflegten hellenistischen Schulen geführt. Daneben stößt die Philosophie in Rom neuerdings aus kultur-, sozial- und bildungsgeschichtlicher Perspektive auf Aufmerksamkeit. Dabei liegen die Schwerpunkte einmal auf den Bedingungen für das Entstehen eines Interesses an Philosophie in Rom ab der Wende vom 3. zum 2. Jahrhundert v.Chr. und zum anderen auf einer Sozial- und Kulturgeschichte einzelner Schulen in Rom.

Noch wenig etabliert ist eine Verbindung der beiden Perspektiven, mithin also die Frage, inwieweit spezifische Interpretationen und Weiterentwicklungen der aus Griechenland rezipierten Lehren bei Römern auf deren andersartigen kulturellen Verständnishintergrund zurückzuführen sind. Abgesehen von zwei Initiativen aus den späten 80er- und 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts [1] ist zudem noch nicht in Betracht gezogen worden, ob die gemeinsame Herkunft dieser Autoren dazu geführt hat, dass sich in ihren philosophischen Überlegungen trotz Zugehörigkeit zu je unterschiedlichen Schulen vergleichbare Zugänge und Denkformationen herausgebildet haben, die als spezifisch römisch zu beschreiben sind. Es ist somit das Verdienst des hier anzuzeigenden Sammelbands, eine bislang lediglich sporadisch gestellte Forschungsfrage zu neuer Beachtung zu verhelfen. In seinem Zugriff zeigt er dabei eine deutliche Konzentration auf das Œuvre Senecas, ohne die Phase der römischen Republik freilich unbeachtet zu lassen. Besonders anzumerken ist, dass er zum Abschluss auch der hohen Kaiserzeit und der Spätantike zumindest exemplarische Aufmerksamkeit zu Teil werden lässt. Bedauerlich ist hingegen das Fehlen von eigenständigen Beiträgen zu Lukrez und zum Epikureismus in Rom.

Die folgende Würdigung konzentriert sich exemplarisch auf einige jener Beiträge, die der Fragestellung des Sammelbandes in besonderem Maße gerecht werden. Dass die Eigentümlichkeiten einer Beschäftigung mit Philosophie in Rom vor allem in deren sozialen und kulturellen Kontexten ihre Ursprünge haben, heben die beiden Herausgeber in ihrer Forschungsgeschichte und aktuelle Desiderate konzise darlegenden Einleitung vorab zu Recht heraus. Deutlich macht dies der einleitende Aufsatz von Harry Hine, indem er herausarbeitet, dass vor Apuleius kein Römer, der Philosophie betrieben hat, für sich die Bezeichnung philosophus verwendet hat. Den Grund hierfür erkennt er darin, dass der Begriff in Rom berufsmäßigen Philosophen vorbehalten wurde, die sich fast ausschließlich aus eingewanderten Griechen rekrutierten. Zur Selbstbeschreibung philosophierender Römer, die alle der römischen Aristokratie entstammten, kam dieser somit nicht in Frage, zumal die in Rom verbreitete Kritik der Weltfremdheit gerade an der griechischen Schulphilosophie festgemacht wurde. Dass Apuleius diese begriffliche Abgrenzung für sich nicht mehr als notwendig erachtete, macht Hine zum Abschluss überzeugend an veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der hohen Kaiserzeit fest, aus deren Perspektive dann sogar spätrepublikanische Gelehrte als philosophi bezeichnet werden konnten.

Dass das sich bei Cicero und Seneca artikulierende Bestreben nach einer eigenständigen römischen Konzeption der Philosophie und ihrer Akteure auch auf das Verständnis von deren Geschichte ausgreift, legt Katharina Volk an der Bedeutung des Pythagoras bei Cicero offen. Diese resultiere daraus, dass Cicero Pythagoras als eine Art Ahnherrn der Philosophie auf italischem Boden und damit auch in Rom erweisen wolle. Freilich dienen Ciceros Entwürfe einer Geschichte der Philosophie in Rom immer auch seinem eigenen self fashioning als erster philosophischer Autor in lateinischer Sprache. Dass damit ein verzerrtes Bild der philosophischen Aktivitäten im Rom des 1. Jahrhunderts v.Chr. überliefert wird, gibt James Zetzel in seinem Beitrag zu Recht zu bedenken. Ob daraus indes zu schließen ist, dass Cicero aus aristokratischem Antrieb von einer lebendigen philosophischen Kultur auf den Straßen Roms habe ablenken wollen, wie sie in Varros Satiren inszeniert wird, mag dahingestellt bleiben. Denn hierbei handelt es sich womöglich ebenso um literarische Konstruktionen wie bei den elitären Bildungsgemeinschaften Ciceros, die Zetzel dezidiert als solche kritisiert.

In Bezug auf Seneca arbeitet etwa Matthew Roller heraus, wie dieser zwar einerseits auf die traditionelle römische exempla-Ethik rekurriert, gleichzeitig aber auch deren Gefahren offenlegt, indem er auf die mangelnde Urteilskraft der Menge bei der Etablierung orientierungsgebender exempla hinweist. Geboten sei also der Rückzug aus dieser oder das Herbeiziehen eines monitor, der von der Übernahme falscher Urteile abhalte. Ein weiteres Problem sieht Seneca darin, dass exempla auf einzelnen Handlungen gründeten und sich damit zur Darlegung stoischer virtus, welche einen durchweg konsistenten Charakter voraussetze, nicht unbedingt eigneten. Es bedürfe somit einer Art Archäologie von Gesamtpersönlichkeiten, unter denen sich zwar kein stoischer Weiser, aber womöglich weiter Fortgeschrittene auf dem Weg zur virtus ausfindig machen lassen, die für weniger Fortgeschrittene Orientierung im stoischen Sinne geben können. Das Verhältnis von römischer Tradition und stoischer Philosophie, welche bereits durch Panaitios und Poseidonius eine Annäherung erfahren haben, bildet ebenso den Hintergrund des Beitrags von Yelena Baraz, die anhand einer Analyse von De constantia sapientis aufzeigt, wie Seneca der traditionellen sozialen Hierarchie in Rom eine an der stoischen virtus orientierte Hierarchie gegenüberstellt und den Begriff der magnanimitas zu einer Brücke zwischen beiden konzeptualisiert.

Mit Beiträgen zur Darstellung des Helvidius Priscus bei Epiktet, zu Apuleius' Platonismus und zur Rezeption und Weiterentwicklung des antiken Skeptizismus bei Augustinus endet ein Sammelband, der, wie bei dieser Publikationsform nicht anders möglich, seinem Gegenstand nur in Ausschnitten gerecht werden kann, dessen Aufsätze aber durchweg wichtige Forschungsbeiträge zu den von ihnen behandelten Autoren und Themen liefern. Uneinheitlicher fällt das Bild im Hinblick auf ihre Leistung für das Kernanliegen des Bandes aus, nämlich den Aufweis von Elementen einer spezifischen schul- und epochenübergreifenden Signatur römischer Philosophie, verstanden als Philosophie in lateinischer Sprache. Das Verdienst des Bandes ist also zweierlei, und dies teilweise ex negativo: zum einen der auf durchweg hohem Niveau geführte Beleg, dass zu den römischen Autoren und Akteuren der antiken Philosophie noch zahlreiche grundlegende Fragen zu klären sind, zum anderen, dass sich die Spezifika einer von Römern betriebenen Philosophie nicht allein durch eine Konzentration auf diese eruieren lassen, sondern dass es hierfür einer entsprechenden Perspektive bedarf, die sich mithin dort am besten realisiert, wo - wie in vielen Beiträgen des Bandes mustergültig vorgeführt - philosophiegeschichtliche Beobachtungen auf Befunde der römischen Sozial- und Kulturgeschichte bezogen werden.


Anmerkung:

[1] Miriam T. Griffin / Jonathan Barnes (eds.): Philosophia togata I: Essays on philosophy and Roman society, Oxford 1989 und dies. (eds.): Philosophia togata II: Platon and Aristotle at Rome, Oxford 1997.

Gernot Michael Müller