Claire Taylor Jones: Ruling the Spirit. Women, Liturgy, and Dominican Reform in Late Medieval Germany (= The Middle Ages Series), Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2017, VII + 226 S., ISBN 978-0-8122-4955-2, USD 59,95
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Christian Seebald: Reform als Textstrategie. Untersuchungen zum literarischen Œuvre des Johannes Meyer O.P., Berlin: De Gruyter 2020
Stefanie Monika Neidhardt: Autonomie im Gehorsam. Die dominikanische Observanz in Selbstzeugnissen geistlicher Frauen des Spätmittelalters, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2017
Johannes Meyer: Women's History in the Age of Reformation. Johannes Meyer's Chronicle of the Dominican Observance. Translated by Claire Taylor Jones, Toronto: Pontifical Institute of Mediaeval Studies 2019
Wer - im Hinblick auf Untertitel und Klappentext des Bandes - eine liturgiewissenschaftliche Untersuchung erwartet hat, wird enttäuscht: Struktur, Texte und Genese des dominikanischen Offiziums spielen in dieser Studie keine Rolle, die liturgischen Bücher des dominikanischen Ritus werden überhaupt nicht zitiert.
Stattdessen erwarten den Leser Überlegungen zur Finalität der Erbauungsschriften aus dem Bestand des Nürnberger Dominikanerinnenkonventes St. Katharina, das in den letzten Jahren häufiger Gegenstand von Qualifikationsarbeiten und namentlich auch das Thema des Erlangener DFG-Projektes 'Dokumentierende Rekonstruktion der Bibliothek des Nürnberger Katharinenklosters' (Hartmut Kugler, Antje Willing) gewesen ist (aktuell wird von Lena Vosding in Düsseldorf das 'Notel der Küsterin', Stadtbibliothek Nürnberg, Cent. VII, 16 bearbeitet). Die weitgehend erhaltene oder wenigstens anhand der Bibliothekskataloge rekonstruierbare Sammlung des 1428 reformierten Konventes und die Verzeichnisse der Tischlesungen gelten in der Forschung traditionell als beispielhaftes Zeugnis für die literarischen Interessen und die Lesepraxis der geistlichen Frauengemeinschaften, die sich im Laufe des 15. Jahrhunderts einer strengeren Observanz angeschlossen hatten, und die Würdigung dieses besonders gut dokumentierten Bestandes war daher sicherlich auch einer der Schlüsselfaktoren in der Genese der gegenwärtigen Konjunktur der Frauenkloster-Forschung.
Claire Taylor Jones interessiert sich in ihrer Schrift unter anderem für die als 'Nonnenbücher' bekannten, ursprünglich von den Dominikanerinnen selbst verfassten Schwesternviten-Sammlungen des 14. Jahrhunderts, von denen schon Peter Ochsenbein (in Anlehnung an Siegfried Ringler) festgestellt hatte, dass "diese exemplarischen Lebensläufe keineswegs authentische Biographien [schildern, sondern], vielmehr mystische Lehre in Form eines Lebens zur Darstellung bringen [wollen]" [1]. Ordensreformer Johannes Meyer hatte diese Viten im Hinblick auf ihren pädagogischen Wert im 15. Jahrhundert verbreitet. Entsprechend ist der theoretische Ausgangspunkt der Reflektionen der Verfasserin die Diagnose eines gewissen hermeneutischen Grabens. Die in den Viten evozierten mystischen Erfahrungen sind naturgemäß ein eigenes, inneres, und als solches nicht mitteilbares Erleben - das Sprechen (bzw. Schreiben) über Mystik hingegen ist selbst keine Mystik (und auch kein 'Archiv' der vergangenen Erfahrungen), sondern vielmehr von der Zukunft, nämlich vom intendierten Leser her zu verstehen: Es gelte daher, so Taylor Jones, nicht nach dem 'wovon' zu fragen, von dem die untersuchten Ausdrücke mystischen Gedankengutes Zeugnis ablegen, sondern nach dem 'wofür', nämlich nach dem Ideal, das den Dominikanerinnen durch die Auswahl dieser Schriften vermittelt werden sollte. Auch die anderen von Taylor Jones herangezogenen Belege aus der Nürnberger Bibliothek, einerseits die Predigten von Johannes Tauler und Heinrich Seuse, die für das Erbe des 14. Jahrhunderts stehen, andererseits Meyers eigene Reformschriften und die Cassian-Adaptationen des Johannes Nider als Zeugnisse für die Vertreter der 'strengen Observanz' des 15. Jahrhunderts, dienen ihr als Nachweis für das didaktische, normative Interesse, das sie in der Lektüre-Auswahl zur Geltung gebracht sieht. Es geht Taylor Jones also ausdrücklich um das geistliche Programm, das den Dominikanerinnen von ihren (männlichen) Seelsorgern in Gestalt ihrer Bibliothek vorgegeben wurde, nicht um die allfälligen Lebensäußerungen der Nonnen selbst.
Sie liest diese Zeugnisse vor dem Hintergrund der normativen Dokumente des Dominikanerordens, in denen der Stellenwert des Offiziums und der liturgischen Observanz für das geistliche Leben immer wieder hervorgehoben wird. In zwei Kapiteln untersucht sie zunächst die Konstitutionen und Nonnenregeln aus der Gründungsphase des Ordens im 13. Jahrhundert, und dann die Generalkapitelsrezesse, die die Durchsetzung der Observanz im 15. Jahrhundert begleitet hatten. In der Zusammenschau der darin zum Ausdruck gebrachten Forderungen und Ideale mit den Inhalten der in Nürnberg überlieferten Erbauungstexte kommt sie zu dem Schluss, dass das verbindende Element der in Nürnberg besonders rezipierten Schriften ihre Eignung war, eine 'ordnungsgemäß' orientierte Frömmigkeit zu befördern, die sich aus den Motiven der klösterlichen Liturgie speist, und die sich ihrer Identität immer wieder neu in der Berufung auf die zur umfassenden Norm des Lebens und des Betens erhobene Observanz vergewissert. Im Ergebnis gelingt es Taylor Jones zu zeigen, wie auch nach der vermeintlichen Zäsur in Gestalt der Reform des Jahres 1428 die vorhandenen Texte aus dem Kontext der (volksprachlich geprägten) mystischen Frömmigkeit des 14. Jahrhunderts weiter in Anspruch genommen wurden, weil den Nonnen (namentlich auch in den Tischlesungen) Vorbilder dafür vor Augen gestellt werden sollten, wie sie ihr eigenes geistliches Leben im Sinne der Ordensreformbewegung und in Übereinstimmung mit den liturgischen Normen und Themen gestalten konnten.
In mancherlei Hinsicht knüpft die Arbeit insofern an Gedanken an, die Antje Willing - mutatis mutandis - in ihrer Untersuchung zum eucharistischen Textcorpus des Katharinenklosters formuliert hatte: Willing hatte sich ihrerseits gefragt, wie die ihrer Studie zugrundeliegende geistliche Lektüre "letztlich in den Dienst der Regelobservanz gestellt werden konnte" [2].
Mit ihrer jetzt vorgelegten Arbeit dokumentiert Taylor Jones also eine gewisse Kontinuität (statt des eventuell zu erwartenden Bruches mit dem alten, 'vorreformierten' Schriftgut) in der Lesepraxis der observanten Dominikanerinnen. Es besteht sicher kein Anlass, dieser Einsicht zu widersprechen. Inwieweit ihr anhand des Nürnberger Materiales gewonnener Befund verallgemeinerbar ist, lässt sich schwer sagen, eben deshalb, weil nicht viele andere Bibliotheken so gut dokumentiert sind. Doch spricht nichts dagegen, die von Taylor Jones betonten didaktischen Kriterien in der Konstitution der Klosterbibliothek, das Anliegen, die Wertschätzung der Liturgie nach dem dominikanischen Brauch zu befördern, und die Einladung, die Gegenstände der eigenen Betrachtung aus dem Repertoire der liturgischen Texte zu schöpfen, als charakteristische Züge der seelsorgerischen Bestrebungen der Dominikanerpatres gegenüber den von ihnen betreuten Nonnen zu verstehen.
Stärken dieser Fallstudie sind erhellende Überlegungen zur Funktion der zitierten Erbauungstexte und die akkurate und umfassende Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes. Wieso das Buch als "authoritative account of the divine Office" verkauft wird, erschließt sich dem Leser allerdings eher nicht. Dem Klappentext "anyone interested in the history of medieval liturgy [...] should read her book" kann man insofern nur sehr eingeschränkt beipflichten. Germanisten hingegen, die sich für die Rezeption der überlieferten volkssprachlichen, ordensinternen Andachts- und Erbauungsliteratur durch die dominikanische Reform des 15. Jahrhunderts interessieren, werden die Studie von Claire Taylor Jones sicherlich zu würdigen wissen.
Anmerkungen:
[1] Peter Ochsenbein : Latein und Deutsch im Alltag oberrheinischer Dominikanerinnenklöster des Spätmittelalters, in: Nikolaus Henke, Nigel F. Palmer (Hgg.): Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter (Regensburger Colloquium 1988), Tübingen 1992, 44.
[2] Antje Willing: Literatur und Ordensreform im 15. Jahrhundert. Deutsche Abendmahlsschriften im Nürnberger Katharinenkloster (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit; Bd. 4), Münster 2004, 7; vgl. Falk Eisermann : Neues über das Nürnberger Dominikanerinnenkloster St. Katharina (Rezension, IASL), Abs. 5.
Philipp Stenzig