Rezension über:

Gary Ferguson: Same-Sex Marriage in Renaissance Rome. Sexuality, Identity, and Community in Early Modern Europe, Ithaca / London: Cornell University Press 2016, X + 216 S., ISBN 978-1-5017-0237-2, USD 35,00
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Rezension von:
Wolfgang Burgdorf
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Burgdorf: Rezension von: Gary Ferguson: Same-Sex Marriage in Renaissance Rome. Sexuality, Identity, and Community in Early Modern Europe, Ithaca / London: Cornell University Press 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 5 [15.05.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/05/30721.html


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Gary Ferguson: Same-Sex Marriage in Renaissance Rome

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Die Ehe für zwei Menschen gleichen Geschlechts ist keineswegs erst ein Phänomen der jüngeren Geschichte. 2015 hat Guiseppe Marcocci in den Historical Reflections einen Aufsatz veröffentlicht: "'Is This Love?' Same-Sex Marriage in Renaissance Rome". Es geht dabei um die Hintergründe der Hinrichtung von acht Sodomiten in Rom 1578. Einer war Portugiese, einer Albaner, sechs Spanier. Insgesamt waren elf Mitglieder einer Gruppe von 27 oder mehr verhaftet worden. Die übrigen waren geflohen (25). Mindestens zwei Mitglieder der Gruppe hatten geplant in der Kirche des Heiligen Johannes am lateinischen Tor eine Ehe zu schließen. Die Beteiligten hatten sich eine Geheimsprache zugelegt, so dass sie in Gegenwart von Dritten über ihre sexuellen Aktivitäten sprechen konnten, ohne sich zu verraten (115). Aus den Verhören ergibt sich, dass die Mitglieder der Gruppe viele gleichgeschlechtliche sexuelle Kontakte hatten. Es handelt sich also bei den Verhafteten nur um die Spitze eines Eisberges (164).

Zu dieser Zeit bestand die Bevölkerung Roms zu 30 % aus Frauen, 70 % waren Männer, von denen nicht nur die Kleriker keinen legalen Zugang zu Sex hatten, sondern auch die vielen Arbeitsimmigranten, Bauarbeiter, Dienstboten usw. (79). In den Haushalten der Geistlichen durften nur Männer arbeiten. Die ethnische Vielfalt der Immigrantenszene in Rom wurde als sexuell stimulierend wahrgenommen und in Gedichten gepriesen (103). Die Weinberge um Rom waren ein bekanntes Cruisinggebiet (106).

Diesem aufsehenerregenden Fall hat Gary Ferguson nun eine Monographie gewidmet. Am Anfang steht die Feststellung, dass die Idee einer Heirat zwischen zwei Personen gleichen Geschlechts keineswegs erst in jüngerer Zeit aufkam. Schon Ovid berichtet von Iphis und Ianthe und aus der Frühen Neuzeit sind mehrere Fälle überliefert, dass eine Frau eine andere Frau geehelicht hat (2-4). Oft waren es Frauen aus den unteren Schichten, die männliche Identitäten und Berufe annahmen. Auch Eheschließungen zwischen Männern sind aus dem 16. und 17. Jahrhundert aus Florenz, Padua und Neapel überliefert (45, 47).

Es gab sehr verschiedene Formen, wie eine Ehe rechtsgültig geschlossen werden konnte. Auch wenn sie seit dem 12. Jahrhundert zu den sieben Sakramenten gehörte, hatte die katholische Kirche noch nach dem Konzil von Trient (1563) Schwierigkeiten, ihr Monopol durchzusetzen. Eheschließungen vor Zeugen oder durch einen Advokaten hielten sich bis zum Ende der Frühen Neuzeit. Heimliche Heiraten waren weit verbreitet. Die kirchliche Heirat wurde als klerikales Geschäftsmodell verbreitet abgelehnt (33). Die Formen der Eheschließung unterlagen einem steten Wandel. Liebe oder erotische Anziehung waren in der Vormoderne nicht die Hauptgründe für die eheliche Verbindung (29). Auch die Beziehung eines Mannes zu einer Kurtisane oder einem Jungen konnte eheähnliche Züge tragen. Heiraten konnte aber auch einfach ein Codewort für Sex sein (112, 119). Gleichgeschlechtliche Heiraten konnten auch als Parodie gemeint sein. Mitunter verbanden sich verschiedene Aspekte. Diese Komplexität impliziert, dass Ehen nicht immer stabil waren. Die Ehe ist kein universales immer gleiches Phänomen. Der Bund fürs Leben hat eine Geschichte steten Wandels, die gleichgeschlechtliche Verbindungen sowohl einschloss wie ausschloss (161). Ferguson diskutiert intensiv die Beziehung gleichgeschlechtlicher Ehen zu den von John Boswell beschriebenen Schwurbruderschaften im Bereich der mittelalterlichen orthodoxen Kirche (35 f.).

Die Studie von Ferguson gliedert sich in drei Teile. Der erste stellt die Quellen vor, der zweite die Verhandlungen, abschließend wird der Fall in größere geschichtliche Kontexte eingeordnet. Als einer der ersten berichtete Michel de Montaigne, der kurz nach den Ereignissen Rom besuchte, in seinem Reisejournal von dem spektakulären Fall. Frühe Editoren des Journals bereinigten es um die anstößigen Stellen (12). Montaigne hoffte als französischer Botschafter am Heiligen Stuhl installiert zu werden. Möglicherweise notierte er die Geschichte deswegen so ausführlich, weil er glaubte, sie würde Heinrich III. besonders interessieren. Auch verschiedene Diplomaten sowie die Fugger-Zeitungen berichteten zeitnah. Obwohl die Prozessakten mit den Delinquenten verbrannt wurden, haben sich einige Abschriften und die Protokolle und Testamente in der Überlieferung der Bruderschaft San Giovanni Decollato, die Verurteilte bis zur Hinrichtung begleitete (77), erhalten.

Literarischen Quellen zu mann-männlichen Liebesbeziehungen in der Vormoderne stellen das päderastische Standardmodell dar. Dieses Modell, älterer aktiver Mann liebt jüngeren passiven Mann oder Knaben, war das von der Antike übernommene dominante kulturelle Paradigma für mann-männliche sexuelle Beziehungen. Der passive Jüngere wurde dann oft als "Frau gebraucht" (44) und erwartete in der Regel eine Gegenleistung in Form von Protektion, Geschenken oder Geld. Dem widersprechen die von Marcocci und Ferguson herangezogenen Quellen. Battista war ein älterer kräftiger Fährmann, ein ehemaliger Söldner, der sich von Jüngeren penetrieren lies. Andere penetrierten sich gegenseitig und onanierten gemeinsam. Öfters gab es keine klare Rollenverteilung im Sinne von jung und passiv, älter bzw. mächtiger und aktiv (92). Versatility, die Flexibilität zwischen aktiver und passiver gleichgeschlechtlicher Sexualität ist somit keinesfalls allein Ausdruck einer "modernen Sexualität", vielmehr scheint es, dass das seit der Antike tradierte päderastische Modell nur ein Ideal ist. Die Mehrheit der 1578 verhafteten Männer, die sich regelmäßig in der Kirche des heiligen Johannes trafen, waren erwachsen und hatten wiederkehrend Sex mit anderen Erwachsenen.

Schon damals wurde bestritten, dass gleichgeschlechtlicher Sex unnatürlich sei. Porcellio, Protagonist einer zeitgenössischen Novelle von Matteo Bandello, antwortete seinem Ankläger: "Sich mit Jungen zu amüsieren ist für mich so natürlich wie essen und trinken für die Mehrheit. Wie können Sie mich also fragen, ob ich gegen die Natur sündige?" (101, 154).

Bei den Verurteilten handelte es sich nicht nur um Sodomiten, sondern auch um Ausländer, überwiegend Spanier, die wiederum verdächtigt wurden Marranos, getaufte Juden oder deren Nachfahren, zu sein. Alle waren von niedrigsten Stand. Der spanische Botschafter in Rom unternahm nichts um seine Landsleute zu retten. Hier handelt es sich um ein typisches Beispiel von Intersektionalität, mehrere Diskriminierungsformen überschnitten sich bei den hingerichteten Männern. Die sexuelle Devianz war nur noch das I-Tüpfelchen.

Die Gruppe war Teil einer erkennbaren Subkultur mit eigener Sprache und Umgangsformen. Im Paris des 18. Jahrhunderts nannte man solche Männer gens de la manchette, in London mollies. Auch dort tauchte die Frage der gleichgeschlechtlichen Heirat auf. Gleichgeschlechtliche sexuelle Identität und die Sexualität überhaupt haben eine Geschichte, die sich bereits im 16. Jahrhundert erkennen lässt.

Die besondere Leistung von Guiseppe Marcocci und Gary Ferguson besteht darin, dass sie das päderastische Standardmodell mann-männlicher sexueller Beziehungen, welches angeblich von der Antike bis zur Entstehung moderner sexueller Identitäten im späten 19. Jahrhundert herrschte, als literarische Fiktion entlarven. Es kam in der Realität vor, aber nicht exklusiv, ähnlich wie die heterosexuelle Liebesheirat in einer Zeit, als Eheschließungen fast ausschließlich wirtschaftlichen oder politischen Motiven folgten.

Gary Fergusons Monographie steht nun neben zwei anderen Klassikern der Mikrogeschichte des täglichen Lebens in der Frühen Neuzeit: Carlo Ginsburgs "Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600" und Natalie Zemon Davis "Die wahrhaftige Geschichte von der Wiederkehr des Martin Guerre".

Wolfgang Burgdorf