Otfried Höffe (Hg.): Politische Utopien der Neuzeit. Thomas Morus, Tommaso Campanella, Francis Bacon (= Klassiker Auslegen; Bd. 61), Berlin: De Gruyter 2016, X + 236 S., ISBN 978-3-11-045868-8, EUR 24,95
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Susan Richter: Fürstentestamente der Frühen Neuzeit. Politische Programme und Medien intergenerationeller Kommunikation, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009
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Der durch zwei Register erschlossene Sammelband bietet die überarbeiteten Fassungen von dreizehn Beiträgen eines philosophischen Symposiums an der Universität Tübingen, das 2015 stattfand. Fast alle Autorinnen und Autoren sind Nichthistoriker; nur ein einziger Vertreter der geschichtswissenschaftlichen Politischen Ideengeschichte ist beteiligt. Entsprechend - und durch die Vorgaben der Reihe bekräftigt - konzentrieren sich die je drei bis fünf Studien zu den ohne sonderlichen Argumentationsaufwand als Klassiker der Politischen Ideengeschichte der Neuzeit vorgestellten Werken des Morus, Campanella und Bacon auf werkimmanente Kommentierung freilich mit systematischem und kritischem Anspruch (Vorwort X) sowie unter Einbezug von Aspekten gegenwärtigen politischen Denkens. Zur Systematik gehört auch, dass sich die Erörterungen dem Aufbau des jeweiligen Werkes folgend grundsätzlich je spezifische Textteile vornehmen sollen.
Die Einführung des Herausgebers, des emeritierten Tübinger Philosophieordinarius Otfried Höffe, bleibt unbefriedigend. Zwar wird die Entstehungs- und primäre Geltungsepoche der Werke jetzt richtiger als frühe Neuzeit ausgewiesen (2). Warum sie als politische und nicht z.B. als soziale Utopien anzusprechen sind und welche systematischen und kritischen Gesichtspunkte warum in die Interpretationen einfließen sollen, erfährt jedoch keine hinreichende Explikation. Im Literaturverweis (18) fehlt Morus völlig, von dem aber behauptet wird, er sei 1704 ins Unterhaus gewählt worden (7). Der erste Beitrag (Giovanni Panno) entwickelt ansetzend an der Vorrede und am ersten Teil des ersten Buches der "Utopia" nachvollziehbar die These, dass dieses Schlüsselwerk auch "die Kristallisierung eines humanistischen Mitdenkens, eines Synphilosophierens", darstelle (40). Die zweite Studie (Jörg Tremmel) kreist ausgehend vom einschlägigen nächsten Textstück eher assoziativ um die Frage, ob Morus den Philosophen als Fürstendiener oder Staatsmann konzipierte, und zeigt dabei vor allem, dass die fachhistorische Debatte um den Staat noch nicht in der Philosophie bzw. hier sogar: der Politikwissenschaft angekommen ist. Im dritten Beitrag arbeitet Thomas Schölderle unter Bezugnahme auf den Hauptteil heraus, dass eine normativ aufgefasste, keineswegs lediglich instrumentelle Konzeption von "Vernunft als experimentelles Fundament" (57) des Werkes zu betrachten sei. Zu einem ähnlichen Befund gelangt anschließend Annemarie Pieper hinsichtlich der von ihr rekonstruierten empirisch-utilitaristisch-normativ fundierten "Gruppenmoral" (92) der Utopier. Luka Boršić und Ivana Skuhala Karasman steuern mit ihren am zweiten Teil des zweiten Buches der "Utopia" ansetzenden Interpretationen zu "Krieg, Religion und Frauen" (93) im Einzelnen oft erhellende, aber leider wenig systematisch miteinander verknüpfte Erkenntnisse bei. Zu Campanellas "La città del sole" äußern sich nur drei Beiträge. Andreas Kablitz beschreibt die Ordnungsprinzipien des Werkes und deren ambivalente Umsetzung zwischen Moderne und Tradition in der rhetorisch-literarisch wenig elaborierten Darstellung. Wilhelm Schmidt-Biggemann weist dem bekanntlich auf Richelieu und Frankreich zielenden Opus unmissverständlich seinen Ort in der Politischen Theologie zu und kann unter Bezugnahme auf seine Thematisierung von Militär und Krieg die These untermauern, dass es auch "die versteckte Agenda einer theologisch-metaphysisch konturierten Universalmonarchie" (137) transportiert. Ruth Hagengruber bekräftigt die von Andreas Kablitz vorgebrachten Argumente, profiliert Campanellas Ansatz aber deutlicher als förmliches "metaphysisches Programm [...] dialektischer Offenheit" zwischen Veränderung und Beständigkeit bzw. "Erhalt" und "Optimierung" (153). Zu Bacons "Nova Atlantis" bietet die Kollektion ebenfalls drei Studien. Corinna Mieth erörtert umsichtig und kritisch das in diesem Werk eingesetzte Konzept des Fortschritts und dessen Grundlagen. Volker Reinhardt verknüpft teils in stillschweigendem Nachtrag zur Bandeinführung Grundfragen der Gattung Utopie mit der Perspektive des Wissens und der Wissenschaft, in deren Licht sich Bacon nicht nur für ihn eher als einer "traditionellen, vor-wissenschaftlichen Geisteshaltung verpflichtet" (183) erweist. Auch Otfried Höffe betont bei Bacon Unklares, Widersprüchliches, Unvollendetes oder Fehlendes und scheut dabei nicht davor zurück, diese sich aus der Sicht des rückblickenden Betrachters ergebenden Unzulänglichkeiten hart als "Defizite" (200-203) zu bezeichnen.
Erneut reichlich allgemein und essayistisch ist wieder die bilanzierende Schlussbetrachtung des Herausgebers ausgefallen. Die im Titel signalisierte Polarität von Utopie und "realistischer Vision" (205) wird zwar überzeugend problematisiert und relativiert. Die Kombination von Geschichtsphilosophie, Marxismus- und Modernekritik, Menschenrechtsreflexion und Humanitätsappell, die die Ausführungen prägt, macht es jedoch zusätzlich schwer, einen eigentlichen Ertrag des Sammelbandes zu erkennen. Er scheint mir bei aller Vielfalt, Wendigkeit und Lebendigkeit der Argumente doch weitgehend ebenfalls in einer Art Synphilosophierfreude zu liegen. Eine "Pflichtlektüre" für "Studierende, Hochschullehrer und Forscher" auch der Geschichte, wie sie die Reihe für die Philosophie zu sein beansprucht (Umschlagtext), ist jedenfalls der vorliegende Band nicht geworden.
Wolfgang E. J. Weber