Alia Nour: Academic Splendor. 101 Masterpieces from the Dahesh Museum of Art, New York: Dahesh Museum of Art 2014, 240 S., ISBN 978-0-9654793-7-0, USD 75,00
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Roger Diederen / Laurence des Cars (Hgg.): Gut Wahr Schön. Meisterwerke des Pariser Salons aus dem Musée d'Orsay, München: Hirmer 2017
Mit "Academic Splendor" legt die Kuratorin Alia Nour 2014 einen erneuerten Überblick über die Highlights der Sammlung des Dahesh Museum in New York vor. Im Katalogformat werden darin nach kurzen Einführungstexten 101 "Meisterwerke" der Sammlung vorgestellt und knapp kontextualisiert.
Die Publikation stellt einen Nachfolger von Lisa Smalls bereits 1999 erstmals erschienenem "handbook" für das Museum dar [1], welches sich seit seiner Eröffnung 1995 als einziges in den USA exklusiv der akademischen Kunst des 19. und frühen 20. Jahrhunderts widmet. Damals wie heute streben die Ausstellungen des Hauses und die daraus hervorgehenden Kataloge und Texte die Aufweichung der bis in die 1990er-Jahre geltenden Opposition von Akademie und Avantgarde an, wie Nour es in ihrer Einleitung betont. Die Vorreden von Amira Zahid und David Farmer führen in die Geschichte der Sammlung von Dr. Dahesh (eigentlich Salim Moussa Achi, 1909-1984) ein, der sich in seinem libanesischen "Salon" als Connaisseur akademischer Kunst Westeuropas präsentierte. Als der Bürgerkrieg im Libanon die Sammlung 1975 in Gefahr brachte, wurde diese "literally under fire" (9) in die USA verschifft. Dort wurde die Sammlung Daheshs zur Grundlage für das heutige Museum.
Seither machte das Haus immer wieder mit hochkarätigen Ausstellungen sowie neuen thematischen und methodischen Standards von sich reden; dies nicht zuletzt mit der 1995 gezeigten Schau und dem im Jahr darauf veranstalteten Symposium "Picturing the Middle East". Der zugehörige Sammelband [2] genauso wie weitere Publikationen des Dahesh Museum bilden wiederholt die Basis für die Essays im vorliegenden Katalog. So gehen beispielsweise die bereits in der 2010 gezeigten Ausstellung "Becoming an Artist: The Academy in 19th-century France" [3] gesammelten Erkenntnisse in Nours Einleitung ein, in der sie die Geschichte der École des Beaux Arts skizziert.
Der zehnseitige Text zur Einführung gibt einen informativen Einblick in die Abläufe der akademischen Ausbildung sowie der Ausstellungspraxis im Verlauf des 19. Jahrhunderts: von den traditionellen Salons zu den Salons des réfusés, den Weltausstellungen und autonomen Galerien, die gegen Ende des Jahrhunderts endgültig den Kunstmarkt dominieren. Die Erläuterungen werden dabei von zeitgenössischen Werken und Illustrationen begleitet. Neben diesen Informationen stimmt die Einleitung zudem auf die Hinterfragung etablierter Stereotype ein, die sich im 20. Jahrhundert in Bezug auf akademische Malerei und Skulptur etabliert haben. So wird die Hypothese "The fini (or finished execution) became a hallmark of academic art" (15) spätestens durch die hervorragend wiedergegebenen Abbildungen im Katalogteil widerlegt.
Letzterer wird hauptsächlich - und dies passend zur Thematik - geordnet nach der akademischen Gattungshierarchie, wie sie André Félibien bereits im 17. Jahrhundert festlegte: Historie, "historisches Genre", Porträt, Genre, Landschaft und Tiere, Stillleben. Jeder Abschnitt wird dabei mit einer Seite eingeleitet, die grundlegende Informationen zur jeweiligen Gattung gibt. Eine Sonderstellung nimmt das Kapitel zum Orientalismus ein, in dem Illustrationen und Ornamenttraktate mit ausgeführten Gemälden und Skulpturen interagieren. Jedes Werk wird von knappen analytischen Ausführungen mit Erläuterungen zu malpraktischen Details, der Werkgenese oder zeitgenössischer Rezeption begleitet. So wird beispielsweise von der Praxis berichtet, mehrere Kopien und Repliken berühmter Werke wie Cabanels "Geburt der Venus" (1863) oder Devays Statue der Eva mit ihren Söhnen Kain und Abel (um 1845) anzufertigen, die dann eine breitere Käuferschaft finden konnten. Jeder Katalogtext wird gefolgt von einigen Titeln empfohlener Literatur zum jeweiligen Künstler oder Thema, was sich bei einer lediglich überblicksartigen Sammlungspräsentation durchaus anbietet, um dem interessierten Leser sogleich die Quellen für tiefergehende Erkenntnisse an die Hand zu geben.
Im Katalog wechseln sich Werke mit absolut geglätteten Oberflächen, die keine Spur von Pinsel oder Meißel zeigen, mit solchen ab, die einen bewegteren Umgang mit den Materialien vermuten lassen. Doch haben alle gemein, dass sie einer großen Akkuratesse im Studium der historischen Details verbunden bleiben. Architektur, Möbel und Kleidung sind vor allem im historischen Genre Mittel der künstlerischen Rhetorik. Jean-Léon Gérômes Gemälde von einem blinden Michelangelo, dem der Belvedere Torso von einem jugendlichen Schüler gezeigt wird (1849), weist jedoch auch eine Dichotomie von malerischer Akribie und historisch inhaltlichem Interpretationsspielraum auf. "Gérôme's point here is no historical accuracy - Michelangelo was never blind, and it is unlikely that he kept any version of the Belvedere Torso in his studio. Rather, his painting is a sentimental meditation on the themes of age and youth; touch and sight; and, most intriguingly, kinds of male beauty, as seen in the muscular white marble torso and the delicate, colorfully attired apprentice" (94). Nicht ohne Grund ist dieses komplexe Gemälde mit seinen verschiedenen kunsttheoretischen Anspielungen daher auch für die Umschlaggestaltung des Katalogs genutzt worden.
Neben Größen wie Gérôme, Bouguereau oder Cabanel, sind auch weitere Höhepunkte der akademischen Kunst vertreten: darunter Jacoslav Čermáks "Entführung einer herzegowinischen Frau" (1861), Maurice Leloirs minimalistische und doch ergreifende Umsetzung des tragischen Endes von Prévosts "Manon Lescaut" (1892), Raffaele Montis erstaunlicher Porzellanstatuette "Nacht" (1862) oder José Tapiró y Barós detailverliebtes Aquarellporträt einer tangerianischen Schönheit (um 1891).
Eine Frage, die der Katalog zwar aufwirft, jedoch selbst nicht zu beantworten strebt, ist, warum nun - am Beginn des 21. Jahrhunderts - das Interesse an eben diesen Werken zu wachsen beginnt, wo akademische Werke noch bis vor relativ kurzer Zeit recht stiefmütterlich in Forschung und Museen behandelt wurden. Nach Paul Barlows Problematisierung aus dem Jahr 2000, warum die Avantgarde so viel anziehender wirke als akademische Kunst [4], wäre an dieser Stelle wohl eine Ergänzung zu aktuellen Geschmacksentwicklungen anzuschließen.
Einen tiefergehenden Blick auf spezielle Aspekte und Problematiken der akademischen Kunst des französischen 19. Jahrhunderts bietet jüngst auch der von Roger Diederen und Laurence des Cars herausgegebene Katalog zu den Meisterwerken des Pariser Salons aus dem Musée d'Orsay. [5] "Academic Splendor" verfolgt keinen solchen wissenschaftlichen Anspruch, bietet aber dennoch einen abwechslungsreichen und informativen Einblick in die Sammlung des Dahesh Museum für Neulinge im Bereich der Salonkunst und lädt zu einem weiterführenden Studium akademischer Werke und Künstler ein.
Anmerkungen:
[1] Lisa Small: Highlights from the Dahesh Museum Collection, New York 1999.
[2] Henry Krawitz (Hg.): Picturing the Middle East: A Hundred Years of European Orientalism. A Symposium, New York 1996.
[3] Becoming an Artist: The Academy in 19th-Century France, New York 2010.
[4] Paul Barlow: Fear and loathing of the academic, or just what is it that makes the avant-garde so different, so appealing?, in: Art and the Academy in the Nineteenth Century, hgg. von Rafael Cardoso Denis / Colin Trodd, Manchester 2000.
[5] Roger Diederen / Laurence des Cars (Hgg.): Gut Wahr Schön. Meisterwerke des Pariser Salons aus dem Musée d'Orsay, München 2017.
Lisa Hecht