Verena Krieger / Sophia Stang (Hgg.): "Wiederholungstäter". Die Selbstwiederholung als künstlerische Praxis in der Moderne (= Kunst - Geschichte - Gegenwart; Bd. 5), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, 234 S., 61 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-50748-0, EUR 35,00
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"Original", "Aura", "Autorschaft" - es sind große Begriffe der Kunst- und Bildwissenschaften, die anhand des Themas der Wiederholung in den dreizehn Beiträgen der Publikation Wiederholungstäter. Die Selbstwiederholung als künstlerische Praxis in der Moderne reflektiert und diskutiert werden. Herausgegeben von Verena Krieger und Sophia Stang, ist dieser Band das Ergebnis des gleichnamigen Symposiums, das im April 2016 als Begleitprogramm zur Ausstellung Giorgio de Chirico. Magie der Moderne in der Staatsgalerie Stuttgart stattfand.
Dass Giorgio de Chirico konzeptueller Ausgangspunkt der Projektidee war, erschließt sich nicht nur aus der Tatsache, dass ihm als einzigem Künstler drei Beiträge des Bandes gewidmet sind, sondern auch an der inhaltlichen Eingrenzung des Wiederholungs-Themas auf die Selbstwiederholung. So trifft auch die Bezeichnung des Täters insbesondere auf de Chirico zu, sorgte er doch in der Vergangenheit wiederholt als falsario di se stesso für Aufregung bei Sammlern und Sammlerinnen und Sammlungs-Institutionen. Eines verkünden die drei Beiträge zu de Chirico unisono: keine "kunsttheoretischen Überwölbungen" (138) können darüber hinwegtäuschen, dass der Künstler in seinem malerischen Œuvre die Grenzen des Legalen auslotete. Gerd Roos weist nach, dass in Komplizenschaft mit seinem Galeristen Gasparo del Corso Gemälde rückdatiert, Provenienzen erfunden und schließlich, als der Betrug aufzufliegen drohte, von de Chirico selbst als Originale ausgegebene Arbeiten zu Fälschungen deklariert wurden.
Die drei Verfasser und Verfasserinnen widmen sich der Frage, wie diese Machenschaften im Rahmen seiner künstlerischen Praxis zu werten sind. Paolo Baldacci nimmt in seinem Beitrag eine Kritik an der teils bis heute vorgenommenen Einordnung de Chiricos in der Pop-Art vor. Denn, so der Autor, es deute nichts "in den stereotypen metaphysischen Wiederholungen über zwei Jahrzehnte hinweg, von 1948 bis 1968, auf theoretische Reflexion von Kunst und ihrer Kommunikation in der Massengesellschaft hin" (112). Sophia Stang nimmt neben den malerischen Befunden auch de Chiricos kunsttheoretische Schriften in den Blick. Der Verfasserin gelingt es, in einem Wechselspiel von Bild und Text überzeugend zu argumentieren, dass die Wiederholung eigener Bilderfindungen und Motive in de Chiricos Gemälden wie auch in seinen Schriften, "im Dienste der Selbstvermarktung und Selbsthistoriografie" (125) stand. Dem Künstler ging es insbesondere darum, sich selbst als den rechtmäßigen Erfinder der metaphysischen Malerei herauszustellen - um deren Autorschaft er sich von seinem Künstlerkollegen Carlo Carrá beraubt sah.
Der Selbstwiederholung im Sinne einer zum Verwechseln ähnlichen Replik von der Hand des Künstlers, die oftmals den Status des einen Originals ins Wanken bringt, gehen auch Daniela Stöppel bei Gustave Courbet, Verena Krieger bei Kasimir Malewitsch, Lars Blunck bei Marcel Duchamp und Linn Burchert bei Yves Klein nach. Die Strategien der Wiederholung, der Grad der Reflexion der Praxis des Wiederholens sowie die Bewertung der jeweiligen Selbstwiederholungen stellen sich dabei als sehr unterschiedlich heraus. Courbet und Klein begreifen in der Tradition des akademischen Studiums ihre Wiederholungen als Übung, als kontinuierliche Arbeit an ihrer jeweiligen künstlerischen Technik. Dieser Aspekt scheint der Wiederholung als künstlerischer Praxis grundsätzlich eingeschrieben zu sein, genauso wie finanzielle Interessen gerade Repliken, Kopien und Fälschungen inhärent sind. So wurde neben de Chirico auch Duchamp Korrumpiertheit und Inkonsequenz gegenüber seinem eigenen Werk vorgeworfen. Lars Blunck beschäftigt sich in seinem Beitrag mit Duchamps Haltung zur Wiederholung, die sich im Laufe seines Lebens mehrfach ändern sollte. Der Künstler hatte die Produktion seiner Readymades zunächst streng limitiert, denn: "Die Wiederholung ist gefährlich. Immer." (185) [1] Wie auch de Chirico war sich Duchamp der geschichts- und geschmacksbildenden Wirksamkeit von Wiederholungen bewusst. Während de Chirico eben diesen Aspekt für seine Zwecke zu nutzen suchte, sah Duchamp genau hierin die "Gefahr"; Sein Schaffen war dem Ziel einer Nicht-Kunst verpflichtet, die sich gerade nicht aus individuellem und kollektivem Geschmack speisen und konsequenterweise auch weder geschmacks- noch geschichtsbildend sein sollte.
In den 1960er-Jahren musste Duchamp allerdings einsehen, dass seine Readymades zu Kunst geworden waren; die Wiederholung derselben schien eine Möglichkeit zu bieten, ihren Originalitätsstatus zu unterlaufen. Wie Lars Blunck anmerkt, konnte Duchamp zwar seine "Readymade-Objekte äußerlich reproduzieren - doch produzierte er zugleich etwas vollkommen anderes." (188) Da in vielen Fällen Duchamps "originale" Readymades nicht erhalten sind - oder gar nie in der Form existierten - verlaufen die Referenzrouten der Repliken ins Leere; sie waren, so Blunck, immer schon Re-mades, die ein zuweilen gar nicht existierendes Original rückwirkend entwerfen und festschreiben. Diese Feststellung trifft in ähnlicher Weise auch auf Malewitschs Schwarzes Quadrat zu: so konstatiert Verena Krieger, dass "Reproduzierbarkeit [...] nicht etwa einen Aura-Verlust [bewirke], sondern eher im Gegenteil eine Aura-Akkumulation" (160). Auch wenn Malewitschs Schwarzes Quadrat von 1914/15 mit dem Label des Originals versehen wurde, das Schwarze Quadrat von 1923 als Replik gelten kann und jene Schwarzen Quadrate von 1929 und 1930/31 als Versionen - der Auffassung Malewitschs werden diese Zuschreibungen, so die Autorin, nicht gerecht. Denn "jedes einzelne seiner Schwarzen Quadrate [stellt] eine materielle Realisation der suprematistischen Idee dar. [...] Vom Standpunkt des Urhebers aus gesehen müssen vielmehr alle Versionen als prinzipiell gleichwertig gelten." (160)
Andere Beiträge wenden sich weiteren Spielarten der Selbstwiederholung zu, wobei hier auch Aneignungen, Zitate und Überlagerungen in den Blick genommen werden. Die semantischen Ausweitungen des Begriffs der Selbstwiederholung in den Beiträgen von Michael Lüthy, Kerstin Thomas, Bärbel Küster und Judith Elisabeth Weiss, eröffnen interessante Perspektiven auf das ästhetische Potenzial dieser Kategorie. Wenn Kritik an einer Stelle notwendig ist, dann in der Zusammensetzung der Beiträge. Hier entpuppen sich die Herausgeberinnen selbst als Wiederholungstäterinnen, sind doch in zwölf von dreizehn Beiträgen weiße, männliche Künstler Gegenstand der Überlegungen. Die kritische Reflexion eines ganz bestimmten Moderne-Begriffs, der einem männlich kodierten Genie-Kult unterworfen auch männlich sozialisierten Künstlern den Vorrang gibt, fehlt. Dieses Manko kann auch Marina Abramovic im dreizehnten Beitrag - die ironischerweise wiederholt ein Dasein als "Alibi-Frau" fristet - nicht einholen. Die durchweg luziden Beiträge des Bandes geben somit umso mehr Anlass dazu, die Forschungen zu dem künstlerischen Potenzial der Selbstwiederholung jenseits des seit Jahrzehnten perpetuierten Kanons fortzuführen.
Anmerkung:
[1] Zitiert nach: Marcel Duchamp, Interview mit Jean-Marie Drot, 1963, dt. abgedruckt in: Serge Stauffer, Marcel Duchamp. Interviews und Statements, hg. von Ulrike Gauss, Ostfilden-Ruit 1992, 158-168, hier 166.
Magdalena Grüner