Hans Aurenhammer / Regine Prange (Hgg.): Das Problem der Form. Interferenzen zwischen moderner Kunst und Kunstwissenschaft (= Neue Frankfurter Forschungen zur Kunst; Bd. 18), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2016, 351 S., 78 s/w-Abb., ISBN 978-3-7861-2771-0, EUR 79,00
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Die Beiträge in dem von Hans Aurenhammer und Regine Prange herausgegebenen Sammelband Das Problem der Form. Interferenzen zwischen moderner Kunst und Kunstwissenschaft gehen mehrheitlich auf Vorträge einer Tagung zurück, die 2011 vom Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe-Universität Frankfurt organisiert wurde. Obgleich das in dem Band versammelte Wissen insofern schon einige Jahre alt ist, hat der Band nichts an Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil, mit der Formanalyse wird eine Methode der Kunstgeschichte in den Blick genommen, die grundlegend war, bevor Ikonografie und Ikonologie zum wichtigsten Erkenntnismodell des Fachs avancierten. Sie scheint heute, wo der Ruf nach kommunizierbaren Standards künstlerischer Qualität lauter wird, aktueller denn je. Zudem eröffnen die Autoren neue Perspektiven auf die Kunst der Moderne und deren Überlegungen zur Form, indem sie den Fokus auf bislang weniger beachtete Wechselbeziehungen zwischen moderner Kunst und Kunstwissenschaft richten. Im Titel des Bands wird eine Schrift des klassizistischen Bildhauers Adolf von Hildebrand zitiert: Das Problem der Form von 1893. In dieser Abhandlung, die in zahlreichen Auflagen erschien und schon 1907 ins Englische übersetzt wurde, führt Hildebrand Theoreme der Wahrnehmungspsychologie ein, die ihren Weg in die formalistische Kunstgeschichte des Sehens wie in modernistische Künstlertheorien fanden. Mit Hildebrand zu konnotieren sind die bemerkenswerte Rezeption und die Umdeutung der produktionsästhetischen Position Konrad Fiedlers, wie dieser sie in Moderner Naturalismus und künstlerische Wahrheit von 1881 und Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit von 1887 artikuliert.
Der Band gliedert sich in drei Teile: Der erste Abschnitt widmet sich dem Thema "Philosophische Perspektiven"; es folgen Beiträge zu "Formalismus in Kunst-, Literatur-, Film- und Kulturwissenschaft"; den Schlussteil bilden "Formkonzepte in Malerei, Skulptur und Architektur". Im Folgenden sollen einige der Beiträge selektiv vorgestellt werden, wobei auf die in den mittleren Abschnitt integrierten Aufsätze der beiden Herausgeber näher eingegangen wird.
Den ersten Teil leitet Hans Zitkos Beitrag Probleme der Form. Bemerkungen zu Konrad Fiedler, Adolf von Hildebrand, Ernst Cassirer und Georg Simmel ein, worin deren Positionen in wesentlichen Aussagen referiert werden. Während der Autor Fiedlers, Hildebrands und Cassirers Kunsttheorien als defizitär einschätzt, sieht er in der Kunstsoziologie Simmels einen adäquaten Zugang zur modernen Kultur erreicht. Es mag dem kunstsoziologischen Ansatz geschuldet sein, dass Zitko den Stellenwert der spezifisch modernen Abkehr von einer einfachen Abbildtheorie, die sich mit den drei Erstgenannten verbindet, nicht adäquat würdigen kann. Fiedlers, Hildebrands und Cassirers Überlegungen mögen in mancher Hinsicht zu kritisieren sein; Zitko deutet jedoch auch an einigen Stellen an, dass das Ringen der genannten Autoren um eine Neubegründung der Ganzheit künstlerischer Form in Zukunft gleichwohl eine Betrachtung verdient, die mehr ist als eine Aktualisierung des Bekannten.
Von den vielfältigen Verflechtungen zwischen künstlerischer Theorie und Praxis sowie der sich formierenden akademischen Disziplin Kunstgeschichte berichten im dritten Abschnitt etwa die Beiträge von Cornelia Jöchner und Magdalena Bushart. Während Jöchner unter anderem die Interferenzen zwischen Protagonisten der modernen Architektur wie Mies van der Rohe und der wahrnehmungspsychologisch geprägten Raumtheorie von August Schmarsow betrachtet, konkretisiert Bushart vor allem die Schnittstellen zwischen Marc und Kandinsky und Fragestellungen der experimentellen Psychologie eines Wilhelm Wundt sowie der Einfühlungsästhetik nach Theodor Lipps.
In seinem Vorwort erinnert Herausgeber Aurenhammer daran, dass "gerade die Klassiker unserer Disziplin im späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert immer vor dem Horizont der zeitgenössischen Kunst argumentierten." (12) Die künstlerische Auseinandersetzung mit Überlegungen der Gestaltpsychologie zum Verhältnis von Figur und Grund ist hier von Relevanz. Dies greift Aurenhammer in seinem Beitrag Gestörte Form. Gombrich, Giulio Romano und die Neue Wiener Schule der Kunstgeschichte auf, indem er die 1933 abgeschlossene Dissertation des jungen Ernst H. Gombrichs über die manieristische Architektur Romanos einer Relektüre unterzieht. Er führt aus, wie Gombrich darin Ansätze der Gestaltpsychologie und der Psychoanalyse erprobt. Aurenhammer legt plausibel dar, dass sich die Arbeit Gombrichs erst auf sicherem Forschungsterrain bewegt, als dieser den psychoanalytischen Ansatz durch kunstsoziologische Historisierung überwindet.
Der Beitrag von Prange Kunstgeschichte aus dem Geist der Gegenwart? Wölfflin und die Avantgarde bezieht sich zum einen auf die von Fiedler und Hildebrand formulierten wahrnehmungspsychologischen Kunsttheorien, zum anderen auf den Ästhetizismus der frühen Moderne. Dargestellt wird zudem Heinrich Wölfflins Verankerung im gesamtkünstlerischen Projekt des modernen Ornaments und die Wirksamkeit seiner Erkenntnis stilpsychologischer Ganzheiten für die Interpretation abstrakter Kunst. Ihre These lautet: "Wölfflin erneuert auf stilpsychologischer Grundlage das von Alberti und Vasari entworfene klassizistische Programm, welches sich in der Korrektur des kontingenten Abbilds durch das göttlicher Notwendigkeit folgende Idealschöne konstituiert hatte [...]." (88) Ebenso möchte Prange Wölfflin als Modernen ausgewiesen wissen. Prange führt im Laufe des Textes etliche Textstellen an, die Wölfflins impressionistisches künstlerisches Sehen und damit seine Modernität belegen sollen. Aus einer analytischen Gegenüberstellung der Modelle Alois Riegls und Wölfflins folgert sie: "Gegenüber Riegls Stilmodell [...] imponiert die Umkehrbarkeit der historischen Dynamik, die implizite Gleichsetzung des Neuen mit dem Alten. Wo Riegls Universalgeschichte unwiderruflich im Optischen gipfelt, bewertet Wölfflin das Malerische und das Lineare, das Barocke und das Klassische als grundsätzlich gleichwertige Ausdrucksformen, trotz der impliziten historischen Dynamik." (91) Bemerkenswert ist die hier aufgefasste Kongruenz, die über ein als ebenbürtig Betrachten hinausgeht. Als Beleg wird ein Zitat aus Wölfflins Klassischer Kunst von 1899 angeführt, das die Verschränkung zweier Seheinstellungen dokumentiert: "Das Barocke ist das Klassische." (Zit. nach ebd.) Prange setzt diesen Gedanken etwa mit Theo van Doesburgs Konzept der Konkreten Kunst oder Mondrians Idee des Abstrakt-Realen in Verbindung. Nicht minder vertritt Prange eine Kritik anderer Textstellen Wölfflins, die sie aus der Perspektive Adornos erarbeitet. Auf diese Weise erhält ihr Beitrag eine zur Diskussion einladende Offenheit, ohne im Einzelnen unklar zu formulieren.
Der Sammelband konzentriert sich vor allem auf die mit der Formanalyse als Methode verbundenen Fragestellungen der jungen akademischen Kunstgeschichte und der modernen Kunst. Womöglich besteht seine besondere Innovation gerade darin, Klassiker des Fachs wie Wölfflin in bewahrender Absicht gegen den Strich zu lesen. Es ist diese Suche nach dem Unkonventionellen im Tradierten, die einen Perspektivenwechsel ermöglicht. So werden die Beiträge anschlussfähig für die Einführung weiterer Begriffe und kunsttheoretischer Konzepte, die bislang marginalisiert sind.
Jennifer Bleek