Rezension über:

Christian Mühling: Die europäische Debatte über den Religionskrieg (1679-1714). Konfessionelle Memoria und internationale Politik im Zeitalter Ludwigs XIV. (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; Bd. 250), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018, 587 S., ISBN 978-3-525-31054-0, EUR 85,00
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Rezension von:
Ramon Voges
Deutsche Nationalbibliothek, Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Ramon Voges: Rezension von: Christian Mühling: Die europäische Debatte über den Religionskrieg (1679-1714). Konfessionelle Memoria und internationale Politik im Zeitalter Ludwigs XIV., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 6 [15.06.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/06/31964.html


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Christian Mühling: Die europäische Debatte über den Religionskrieg (1679-1714)

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Es gibt grosso modo zwei Sorten von Forschungsarbeiten über die frühneuzeitliche Medienlandschaft. Die eine Sorte ist darum bemüht, die Medien möglichst umfassend in den Blick zu nehmen. Sie betrachtet ihre Quellen hinsichtlich Form und Inhalt von allen Seiten und rekonstruiert anhand der Paratexte die Hintergründe der Entstehung und Rezeption. Ihr geht es also um die Medien selbst, von denen sie ein vielschichtiges und kleinteiliges Bild zeichnet. Die andere Sorte blickt gleichsam aus der Vogelperspektive auf eine Vielzahl unterschiedlicher Medien, fasst sie unter ausgewählten Gesichtspunkten zusammen und greift sich gezielt einschlägige Stellen als Belege heraus, um mit ihrer Hilfe eine übergeordnete Fragestellung zu beantworten. Die hier zu besprechende Studie von Christian Mühling gehört zur zweiten Sorte.

Die Arbeit entstand als deutsch-französische Doppeldissertation, die sowohl von Christoph Kampmann (Marburg) als auch von Olivier Chaline (Paris) betreut worden ist. In ihr geht Mühling der Frage nach, wie Religionskriege um 1700 sowohl in der Geschichtsschreibung als auch in der Tagespublizistik behandelt und argumentativ in Stellung gebracht wurden. Die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert ist dem Verfasser zufolge eine begriffliche Formierungsphase gewesen. Seine Fragestellung eigne sich deshalb, um Aufschluss darüber zu erhalten, wie sich das heutige Verständnis vom Religionskrieg herausgebildet hat.

Das Quellenkorpus speist sich einerseits aus gängigen Online-Datenbanken wie Gallica und Early English Books Online (EEBO), andererseits aus Beständen bspw. der Bibliothèque Nationale de France. Es besteht aus etwa 300 Titeln. Davon sind 70 % in französischer Sprache, 20 % auf Deutsch und 10 % auf Englisch erschienen. Mühling untersucht diese Veröffentlichungen im Sinne einer diskursanalytisch erweiterten Begriffsgeschichte. Im Unterschied zur klassischen verfahre die "erneuerte Begriffsgeschichte" (42) weder teleologisch noch sei sie auf einen Kanon festgelegt, dafür aber um Kontextualisierung ebenso bemüht wie darum, Polyvalenzen zuzulassen. Mühling geht es nicht nur um die Bedeutung des Begriffs 'Religionskrieg', sondern auch um die damit verbundenen Argumentationsstrategien. Besondere Beachtung schenkt er deshalb der Textpragmatik, also der Bedeutung der gemachten Aussagen in der jeweiligen Kommunikationssituation. Er vermeidet geschickt, Rückschlüsse über die vermeintlichen Beweggründe der Zeitgenossen zu ziehen, indem er stets bei dem bleibt, was sich an den Texten beobachten lässt. Ausgangspunkt seiner Untersuchung ist dabei die Hypothese, "dass sich ein konfessionell determiniertes kulturelles Gedächtnis vom Religionskrieg ausprägte" (45).

Die Arbeit besteht aus zwei Großkapiteln. In dem ersten widmet sich Mühling der Geschichtsschreibung. Dafür nimmt er zunächst die katholische Historiographie in den Blick. Anschließend wendet er sich der protestantischen Geschichtsschreibung zu. Als Ergebnis kann er festhalten, dass auf beiden Seiten das Thema des Religionskrieges zentral für die publizistische Auseinandersetzung mit dem konfessionellen Gegner war. Getragen wurde die Religionskriegsmemoria auf beiden Seiten des konfessionellen Grabens vor allem von der Geistlichkeit. Der Religionskrieg war immer auch Teil der Heilsgeschichte. Allerdings lagen die Schwerpunkte anders: Während die Katholiken Religionskriege in Antike, Mittelalter und jüngster Vergangenheit ausmachten, stellten für protestantische Autoren in erster Linie die Kämpfe des 16. und 17. Jahrhunderts Religionskriege dar. Katholische Texte hoben insbesondere die Siege des eigenen Bekenntnisses hervor und stilisierten bisweilen das Führen eines Religionskrieges zur Pflicht katholischer Monarchen, den wahren Glauben zu schützen. Mithin sind Religionskriege von katholischer Seite als Verteidigungskriege propagiert worden. Demgegenüber betonten protestantische Autoren vor allem die Unschuld, Fügsamkeit und das Leid ihrer Glaubensgenossen. Die Opferperspektive der protestantischen Religionskriegsmemoria erwies sich, so führt Mühling aus, als einflussreicher, weil sie sich unter anderem in Appelle an eine innerprotestantische Solidarität und militärische Interventionspolitik ummünzen ließ. Dieses Vorgehen könne nicht zuletzt während der Glaubensverfolgungen im Frankreich Ludwigs XIV. beobachtet werden. Wenngleich also die katholische Seite ein eher positiv konnotiertes Verständnis vom Religionskrieg argumentativ vertrat und die protestantische Seite ein tendenziell negatives, legitimierte es jedoch in beiden Fälle die gewaltsame Durchsetzung der eigenen konfessionellen Standpunkte.

Daraufhin geht Mühling auf die zeitgenössische Tagespublizistik ein. Wie zuvor untersucht er zunächst die katholische, dann die protestantische Seite. Er zeigt auf, wie Autoren beider konfessionellen Lager intensiv aus dem argumentativen Repertoire der Geschichtsschreibung geschöpft haben. In katholischen Texten firmierte der Religionskrieg vor allem als ein Verteidigungskrieg gegen protestantische Ketzer. Angesichts des Gegensatzes zwischen Frankreich und dem Haus Habsburg, nicht zuletzt während des Spanischen Erbfolgekrieges, seien Einzelheiten in der katholischen Tagespublizistik umstritten gewesen. Auf protestantischer Seite wiederum, maßgeblich von den Hugenotten im Exil geprägt, wurde die Toleranz zu einem zentralen Aspekt der eigenen konfessionellen Identität erklärt: "Für protestantische Autoren wurde die Toleranz spätestens seit Mitte des 17. Jahrhunderts zum integralen Bestandteil der eigenen Identität. Während sie den Katholizismus mit Grausamkeit und Verfolgung assoziierten, betonten sie immer wieder, dass unter ihrer eigenen Herrschaft alle Menschen Gewissensfreiheit genießen würden." (466) In der protestantischen Meistererzählung geriet mithin der Religionskrieg zu einer rein katholischen Angelegenheit. Dabei bedienten Autoren protestantischer Couleur vielfach einen Antiklerikalismus, indem sie zwischen katholischen Untertanen einerseits und der katholischen Obrigkeit andererseits unterschieden. Der Landesherr habe nämlich, weil er entweder unter dem Einfluss des Klerus stand oder selbst Mitglied der kirchlichen Hierarchie war, religiöse Argumente nur als Vorwand verwendet, um eigennützig weltliche Ziele zu verfolgen - ein Vorwurf, der sich vor allem gegen Ludwig XIV. richtete. Gleichzeitig hoben protestantische Autoren in ihren Pamphleten und Streitschriften die eigene Untertanentreue und Toleranz hervor, insbesondere wenn es um protestantische Minderheiten unter einer katholischen Obrigkeit ging. Eine einheitliche Linie aber eignete auch der protestantischen Tagespublizistik nicht; sie passte ihre Argumente den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen an und verwickelte sich deshalb, in Gänze betrachtet, in eine Reihe von Widersprüchen: Laut Mühling bewegte sie sich "zwischen Treuebekundungen und der Aufforderung zum aktiven Widerstand gegenüber der katholischen Obrigkeit, zwischen der Forderung nach Repressalien gegen die katholischen Minderheiten im protestantischen Herrschaftsbereich und der Forderung nach Toleranz für die protestantischen Minderheiten unter einer katholischen Herrschaft" (467).

In den Jahren um 1700, resümiert Mühling, wurden vor allem konfessionell bedingte Auseinandersetzungen als Religionskrieg bezeichnet. Nicht zuletzt die öffentlich ausgetragenen Debatten, was als Religionskrieg zu gelten habe, seien Anzeichen für eine erneute Konfessionalisierung. Auf beiden Seiten des konfessionellen Grabens wurde der Vorwurf erhoben, unter dem Vorwand des Religionskrieges politische Revolten anzustacheln. Dies ließ den Religionskrieg zunehmend zu einem Negativbegriff werden. Die Diskreditierung von Religionskriegen trug maßgeblich dazu bei, die konfessionelle Kriegsführung "zu einem moralischen Tabu werden zu lassen" (466). Die Geschichtsschreibung bot dafür Exempla an, die Tagespublizistik wiederum sicherte der Memoria der Religionskriege eine dauerhafte Wirksamkeit durch ihre tagespolitische Aktualisierung. Beide Diskursformen waren wechselweise aufeinander bezogen.

Mühling argumentiert bei alledem deduktiv: Im einleitenden Absatz macht er Aussagen, die er anschließend umfangreich mithilfe seiner Quellen belegt. Klug leitet er dabei von einem Abschnitt zum nächsten über. Am Ende jedes Unterkapitels erfolgt eine Zusammenfassung, und am Ende eines Kapitels ein Fazit. Das stets gleichbleibende Vorgehen erlaubt zusammen mit der kleinteiligen Gliederung ein punktuelles Einsteigen und Lesen des Textes. Das lässt aus dieser Dissertationsschrift beinahe ein Handbuch zur Debatte über den Religionskrieg in den Jahren um 1700 werden.

Die Arbeit zeugt von Mühlings umfassender Kenntnis der tagesaktuellen Begebenheiten und politischen Umstände - sowohl der Gegenwart der behandelten Autoren als auch der Zeiten, über die sie geschrieben haben. Ihr Leser erhält nicht nur Aufschluss über die Debatten über den Religionskrieg und die Prägung unseres heutigen Verständnisses. Er lernt en passant auch Etliches über die Historiographie und Tagespublizistik um 1700.

Ramon Voges