Federicomaria Muccioli: Le orecchie lunghe di Alessandro Magno. Satira del potere nel mondo greco (IV-I secolo a.C.) (= Studi Storici Carocci; 297), Roma: Carocci editore 2018, 185 S., ISBN 978-88-430-9271-0, EUR 19,00
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Federicomaria Muccioli, renommierter Experte für hellenistische Geschichte, setzt es sich im vorliegenden Band zum Ziel, anhand von negativen, polemischen sowie ironischen, satirischen oder parodistischen literarischen Reaktionen antiker (mehrheitlich griechischer) Autoren Erkenntnisse über die öffentliche Wahrnehmung der hellenistischen Reiche zu gewinnen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den Reaktionen in der Literatur auf den politischen Wandel durch die Expansion Makedoniens unter Alexander III. und die Entstehung der Diadochenreiche. Die Untersuchung fußt auf Fallbeispielen, die primär Anekdoten zu Vertretern und Vertreterinnen makedonischer Monarchien betreffen. Davon abgeleitet werden auch Schlüsse auf literarische Reaktionen auf hellenistische Herrschaftsformen und -praktiken gezogen. Um die Negativdarstellung von Repräsentanten hellenistischer Dynastien, geprägt von Tyrannentopik, einzuordnen, sind Unterschiede zu den literarischen Porträts griechischer Alleinherrscher wie der Tyrannen von Sizilien aufgezeigt.
In der systematisch gegliederten Einführung (9-21) legt der Autor folgende Grundsätze fest: Antike Tyrannentopik sei mit den politischen Diskursen der Gegenwart kompatibel (9-11). Zwischen der Darstellung griechischer Alleinherrscher als "archetipo politico, morale e culturale" (12) und der Neuformung durch den impact Alexanders III. als "tiranno, persino il basileus par eccellenza" (13) sei zu differenzieren. Ironie und Parodie seien als (subversive) Gegenmittel zu Herrscherhuldigung und kolakeia eingesetzt worden (14-17). Der Hof habe dafür in zweifacher Hinsicht ein Forum ("luogo eletto per l'ironia") geboten: als Plattform für Ironie sowie als Kritikpunkt selbst (17-21).
Wünschenswert wäre in diesem einleitenden Rahmen eine Definition gewesen, wie die Begriffe Ironie, Parodie und Satire bezogen auf die antiken Quellen verstanden und voneinander unterschieden werden und in welchem Bezug sie zur Analyse der Tyrannentopik stehen. Dies wird nicht ganz klar. So wird etwa als Beispiel für Satire über hellenistische Höfe Lukians Ikaromenippos 14 zitiert. Lukian geht es jedoch wohl weniger um den Spott über die "peculariatà dei dinasti di età ellenistica" (21) als darum, sich über Phänomene des Bildungsbetriebs seiner Zeit lustig zu machen: [1] in diesem Fall über Selektionskriterien von zeitgenössischen Historiographen, die sich auf Skandalgeschichten stürzen. Auch mehr Trennschärfe zwischen Tyrannis als Herrschaftsform und als politisiertem Negativkonstrukt sowie zwischen Tyrannis und Monarchie wäre hilfreich gewesen.
In 18 kurzen Kapiteln werden schlaglichtartig Beispiele für verschiedene Hauptmotive der Darstellung von Angehörigen makedonischer Dynastien genannt, die Muccioli als polemisch, ironisch, parodistisch beziehungsweise satirisch betrachtet. Diese Zuschreibung ist sicherlich Ansichtssache und entsprechend diskutierbar. Beispielsweise sei dahingestellt, ob die Frage nach dem Vater Ptolemaios' I., für den verschiedene Optionen in den Quellen angegeben werden, eine ironische Reaktion auf die ptolemäische Selbstdarstellung war (38-44) oder nicht vielmehr die variantenreiche Entwicklung einer Aufstiegs- und Herrscherlegende als eines per se hybriden Gebildes. Doch ist Mucciolis Prämisse allemal anregend für die weitere Debatte.
Der titelgebenden Anekdote über die Eselsohren des "zweigehörnten" Alexanders - nicht in griechischer Literatur, sondern im östlichen Kontext, bei Nizami, erwähnt - kommt kein besonderer Schwerpunkt zu (33-34); es ist eine Anekdote von vielen. Auch Alexander selbst spielt in der Untersuchung nicht die Hauptrolle; es handelt sich vielmehr um eine ausgewogene Betrachtung von Vertreterinnen und Vertretern der hellenistischen Herrscherhäuser. Als einige Beispiele für die aufgelisteten Motive seien genannt: die Parallele zwischen einem makedonischen Herrscher und einem Zyklopen (mit Polyphem als Referenzmodell: 22-30); Gerüchte über eine niedrige Abkunft eines Diadochen (39-40); der Topos des unter dem Pantoffel einer Frau stehenden hellenistischen Herrschers (46-47) [2]; die angebliche Schnecke von Kassanders athenischem Gewährsmann Demetrios von Phaleron als Prozessionsfigur (50-57) [3]; die tryphe hellenistischer Herrscher (58-65, 140-148); die hellenistischen philoi als kolakes (66-71); Dreiecksaffären im Herrscherhaus (89-95); der vom Schlachtfeld flüchtende Herrscher (116-123); die herrschsüchtige, intrigante hellenistische Königin, mit besonderem Fokus auf Kleopatra VII. (97-101; 149-155). Eine Einzelbetrachtung ist zudem noch den Negativtraditionen zu Antiochos IV. (102-109) gewidmet. Zur relativierenden Einordnung der Quellenaussagen wird der jeweilige zeitpolitische Kontext knapp umrissen. Die Quellenzitate sind einsprachig in italienischer Übersetzung wiedergegeben.
Der Band ist mit einer Zeittafel mit den erwähnten Ereignissen und Regierungszeiten (156-157), den Stemmata der Ptolemäer, Seleukiden und Attaliden (während die Antigoniden fehlen) (157-158) und einem Personenindex (179-185) ausgestattet. Die Literatur ist übersichtlich für jedes einzelne Kapitel angegeben und befindet sich auf dem aktuellen und internationalen Stand der Forschung (159-178).
Es handelt sich um einen originellen, hoch interessanten Beitrag zur Hellenismusforschung, geprägt durch ein beeindruckendes Detailwissen. Wiederholte Bezüge zu Politik der Gegenwart sowie zu europäischer Literatur, Kunst und Film gestalten die Publikation zudem sehr anschaulich.
Allerdings fehlt ein Fazit, das die einzelnen, separat für sich stehenden Kapitel in einer abschließenden Betrachtung analytisch zusammenbringen würde. So entsteht eher der Eindruck einer losen Materialsammlung von Anekdoten. Beispielsweise bleibt etwas im luftleeren Raum, wie sich das Kapitel zu Crassus' abgeschlagenem Kopf (132-139) in den Gesamtkontext einfügt, auch wenn klar wird, dass es um den Einfluss seleukidischer auf arsakidische Hofkultur geht. Insgesamt indes kann diese inspirierende Sammlung die Debatte nur beflügeln und ist schon in dem Sinne lohnend.
Anmerkungen:
[1] Vgl. R. Bracht Branham: Unruly Eloquence: Lucian and the Comedy of Traditions, Cambridge, Mass. / London 1989, 4; A. Georgiadou / D.H.J. Larmour: Lucian's Science Fiction Novel True Histories. Interpretation and Commentary, Leiden 1998, 2-3; S. Müller: Trügerische Bilder? Lukians Umgang mit Tyrannen- und Orienttopoi in seinen Hadesszenen, Gymnasium 120 (2013), 169-192, hier 188-189.
[2] In diesem Kontext vermisst man eine Behandlung von Machons derben Späßen über Demetrios Poliorketes in den Chreiai (3. Jh. v. Chr.), vgl. A.S.F. Gow: Machon: The Fragments, Cambridge 1965; L. Kurke: Gender, Politics, and Subversion in the Chreiai of Machon, PCPS 48 (2002), 20-65.
[3] Zur diesbezüglichen Ironie von Demochares siehe auch BNJ 228 F 28.
Sabine Müller