Rezension über:

Stefano Manganaro: Stabilitas regni. Percezione del tempo e durata dell’azione politica nell’età degli Ottoni (936-1024), Bologna: il Mulino 2018, LXXXIX + 350 S., ISBN 978-88-15-27358-1, EUR 45,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Hagen Keller
Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Claudia Zey
Empfohlene Zitierweise:
Hagen Keller: Rezension von: Stefano Manganaro: Stabilitas regni. Percezione del tempo e durata dell’azione politica nell’età degli Ottoni (936-1024), Bologna: il Mulino 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 7/8 [15.07.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/07/33191.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Stefano Manganaro: Stabilitas regni

Textgröße: A A A

Die umfangreiche Untersuchung gehört zu den wichtigsten Veröffentlichungen über die Herrschaft der Ottonen, die in den letzten Jahren erschienen sind. Das Ziel der stabilitas regni wird in den Königsdiplomen von Otto I. bis Heinrich II. sehr häufig evoziert. Es ist eingebunden in ein religiöses Weltbild, das von der Forschung auch bisher stets beachtet wurde. In seiner spezifischen Akzentuierung ist der Zusammenhang jedoch weder im Hinblick auf die Ideale und die Praxis der Königsherrschaft noch hinsichtlich des mit ihnen verbundenen religiösen Anliegen voll ausgeschöpft worden. Hier setzt Manganaros weiterführende Analyse an. Dabei hat er das Imperium der Ottonen nördlich und südlich der Alpen im Blick.

Mit ihrer Fragestellung und mit ihren Ergebnissen bietet die Monographie einen neuen Beitrag zum Problem der "Staatlichkeit" im früheren Mittelalter. Während die Karolinger versucht hatten, den status regni durch eine auf institutionelle Strukturen ausgerichtete Reichsorganisation zu sichern, erscheint das, was die Ottonen sowie der mit ihrem Hof verbundene Episkopat anstrebten, als dynamisches Konzept. Die stabilitas regni herbeizuführen, war die zentrale Aufgabe des Herrschers. In den wechselnden politischen Situationen konnte sie jedoch stets nur temporär gelöst werden. Nach inneren Konflikten muss sie jeweils neu gefunden und im gemeinsamen Willen des Königs und seiner Widersacher rituell für möglichst lange Zeit verstetigt werden. Hier vertiefen die detaillierten Analysen Manganaros Forschungen zur Herrschaftsausübung der Ottonen mit neuen Aspekten.

Die Untersuchung beruht auf einer umfassenden Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur, insbesondere auch der deutschsprachigen. Jede zitierte Stelle ist gezielt auf den jeweils angesprochenen Kontext ausgewählt. Überall wird deutlich, wie gründlich der Verfasser die vorliegenden Studien verarbeitet hat und auf welchen Wegen er zu neuen Einsichten gelangt.

Welche Bedeutung die stabilitas regni als institutionelles Problem für die Herrschaft der Ottonen besaß, arbeitet Manganaro in drei Kapiteln heraus, deren Ergebnisse die Introduzione einfügt in die Forschungen über die Formen der Herrschaftsausübung und zum Problem der "Staatlichkeit" im ottonischen Reich.

Im Kapitel I (1-51) stellt der Autor zunächst die Verbreitung des Konzepts der stabilitas regni in ottonischer Zeit vor. Er listet sämtliche Belege für das häufige Vorkommen der Formel oder verwandter Begriffe in den Diplomen der Ottonen von 936 bis 1024 auf, sortiert nach der Einbindung in variierende Bezüge (7-21). Er vergleicht mit ähnlichen Wendungen in karolingischen Urkunden, in den merowingischen und westgotischen Formelbüchern des 6./7. Jahrhunderts sowie in frühmittelalterlichen Kanonessammlungen. Im Lichte des Ertrags werden dann einschlägige Vorstellungen in den Krönungsordines sowie die Aussagen der Reichskrone und der in Mailand aufbewahrten Elfenbeintafel mit Otto II., Theophanu und dem Königskind Otto III. vor Christus interpretiert. Die Frage nach der Herkunft des zugrundeliegenden Weltverständnisses führt über frühmittelalterliche Konzilsakten zu Augustinus und vor allem zur Geschichte des biblischen Königtums.

Kapitel II (53-196) präsentiert sich schon vom Umfang her als zentraler Teil der Untersuchung. Seine Thematik ist in den Untertitel des Bandes eingegangen: Wie haben die Historiographen im Umfeld der Ottonen das politische Geschehen in ihrer eigenen Zeit wahrgenommen und in Beziehung zu dem Verlauf der Welt- und Heilsgeschichte gesetzt? Basis von drei Untersuchungsgängen sind dementsprechend erzählende Quellen, Traktate und Panegyrik, die sich dem engeren Umfeld des Hofes zuordnen lassen. In Übereinstimmung mit neueren Forschungen hebt Manganaro hervor, dass die Autoren ihre eigene, persönliche Zeiterfahrung in Verbindung setzen zu eschatologischen Erwartungen, so dass im 10. Jahrhundert - vor dem Hintergrund der Hinfälligkeit menschlicher Existenz und der Gefährdung des eigenen Seelenheils - eine neuartige Wahrnehmung des eigenen Ichs zum Ausdruck kommt (61, vgl. 98ff.). Sowohl der Rückblick in die Vergangenheit als auch die Erwartungen an die Zukunft sind geleitet von der Erfahrung der Unvollkommenheit der Gesellschaft im eigenen Lebensumfeld. Die Zwietracht dringt immer wieder in die Gemeinschaft ein und stellt die erreichte stabilitas in Frage: Auf Phasen der pax folgen regelmäßig Zeiten der discordiae und des bellum civile, die nach neuen Bemühungen um inneren Frieden verlangen.

Nur kurz gestreift werden in diesen Teilen der Untersuchung Faktoren der Stabilisierung, die in der Einleitung eingehender erörtert werden: das Ritual der deditio, die Gebetsverbrüderungen, die Herrscherliturgie, die Ausstellung von Privilegien, der adventus regis, die Hoftage (64, 159ff., 171ff.), d.h. Formen der Interaktion im Herrschaftsverband, welche die Phasen der stabilitas skandieren, die stets nur von begrenzter Dauer sind. Unter der Frage nach der jeweiligen Sicht auf das Problem der stabilitas regni gewinnt Manganaro vertiefende Einsichten in die ansonsten gut untersuchten Werke Thietmars von Merseburg, Thangmars von Hildesheim, Hrotsviths, Liutprands, Adsos von Montier-en-Der, Leos von Vercelli und anderen Autoren des 10./11. Jahrhunderts.

Kapitel III (197-320) gilt der Thematik, den die Monographie im zweiten Teil ihres Untertitels ankündigt: Wie dauerhaft sind die Maßnahmen, die von den Herrschern zu einem bestimmten Zeitpunkt getroffen werden? Ausgangspunkt sind zunächst wieder Diplome, die den königlichen Entscheidungen firmitas et aeterna stabilitas garantieren sollen, wie in den Korroborationsformeln betont wird. Dabei haben die Diplome pro rei firmitate auch symbolischen Wert: Sie demonstrieren den unbegrenzten Fortbestand der einmal getroffenen Verfügungen und ihrer religiös begründeten Zielsetzung.

Ein umfangreicher Schlussteil des Kapitels (231-320) erkundet die zeitliche Wirksamkeit des politischen Handelns der Ottonen anhand ihrer Verhältnisse zu einzelnen Abteien, zunächst zu eher königsfernen Klöstern in Italien und dann vor allem zu den Reichsklöstern und -stiften nördlich der Alpen, insbesondere im ottonischen Sachsen (251-287) und in Hessen (287-314). Fokussiert werden dabei - neben den materiellen Vergünstigungen - die Verleihungen von Königsschutz und Immunität: Wie dauerhaft ist die Verbindung zum Herrscherhaus und wie soll die Förderung der Kirchen und des beständigen Gebets zu Gott auf die Stabilität der Königsherrschaft zurückwirken? Auch wenn die Fakten sinnvoll in die Gesamtperspektive der Untersuchungen eingebunden werden, resümieren die Ausführungen weitgehend einschlägige Forschungen, ohne ihnen viel Neues hinzuzufügen. Wichtig ist, dass die Verbindung des Königtums zu herausgehobenen geistlichen Gemeinschaften trotz ephemerer Krisen (Gründung des Erzbistums Magdeburg, Aufhebung des Bistums Merseburg, Gandersheimer Streit, Gründung des Bistums Bamberg u.a.) Grundlage der Reichskonzeption und des Verhältnisses des Königtums zu diesen Kirchen bleibt. Schriftliche Bestätigungen und neue Gunsterweise, die mit symbolischen Akten verbunden sind, bezeugen den Fortbestand.

Auch wenn die Introduzione (IX-LXXXV) zum Schluss das Frageraster für die drei nachfolgenden Kapitel erläutert, ist sie insgesamt eine eigene Darstellung zum Herrschaftssystem der Ottonen. Sie fasst die Forschungen von Jahrzehnten klug zusammen und vertieft deren Hinsichten durch die eigenen Ergebnisse.

Für die zeitgenössischen Beobachter ist die stabilitas regni das zentrale Problem der Königsherrschaft. Manganaro sieht in dem Konzept eine "Leitidee", die vom 7. bis 11. Jahrhundert dazu beiträgt, dem Königreich eine Form als "Institution" zu geben. Um ihren Stellenwert genauer zu erfassen, unterstreicht er die Neuerungen im Vergleich zur Karolingerzeit. Der sakrale Charakter des Königtums wird verstärkt durch die gesteigerte liturgische und christozentrische Heraushebung des Königtums. Sie setzt ein mit Otto I. und ist unter Otto III. und Heinrich II. voll entfaltet. Auf Herrscherbildern für liturgische Codices wird die Nähe des regierenden Königs zu Christus visualisiert. Seit Otto I. fixieren die Krönungsordines die grundlegenden Überzeugungen von den Aufgaben des Herrschers und seiner Stellung in der gottgewollten Ordnung der Welt. Die Individualsukzession, die Krönungsliturgie, die Krönung am festen Ort, das Krönungsmahl mit den Hofdiensten der Herzöge tragen als wiederkehrende Ereignisse zur Entwicklung transpersonaler Vorstellungen vom Regnum bei. Wipo artikuliert sie um 1040, zu einer Zeit, in der auch eine Herrschergrablege begründet wird und die Weitergabe der Reichskrone und anderer Insignien die Legitimität der Nachfolge unterstreicht.

Zu ottonischer Zeit wird der reisende Königshof - mit Hofkapelle, Kanzlei, Pfalzgrafen - zum mobilen Zentrum der Herrschaftsausübung. Die temporäre Präsenz kann genutzt werden, um heterogene Kräfte zu integrieren, Konflikte beizulegen, in strittigen Fragen einen Konsens herbeizuführen, durch clementia und misericordia den rigor iustitiae zu mildern, in der Teilnahme an Kirch- oder Bischofsweihen den sakralen Charakter des Königtums sichtbar zu machen. Hulderweise, stets auch als symbolische Akte inszeniert, das Ritual der deditio, das nach einer Auflehnung gegen den König der Reintegration von Rebellen dienen soll, festigen die Königsherrschaft. Doch für die Dauer der stabilitas gibt es keine Garantie; die Zeitgenossen wissen, dass sie nur temporär bestehen wird. Hier setzt Manganaros Frage an, wie sie mit diesem Wissen im Hinblick auf das Zeitgeschehen und den Lauf der Geschichte umgehen. Die Erörterung der Quellen (LI-LXXXI) resümiert weitgehend die in Kapitel II gewonnen Ergebnisse unter den im ersten Teil der Einleitung ausgebreiteten Aspekten der ottonischen Königsherrschaft und ihrer Erforschung.

Manganaros Monographie beruht auf einer umfassenden Rezeption und Diskussion der älteren und jüngeren, ja jüngsten Forschung, wie sie trotz der Flut an Publikationen über die Zeit der Ottonen bisher nicht vorliegt. Durch das Thema bedingt, steht die deutschsprachige Literatur weit im Vordergrund. Man bedauert, dass die eindringlichen Untersuchungen bisher nur italienischen bzw. mit der italienischen Sprache vertrauten Mediävisten voll zugänglich sind.

Hagen Keller