Elizabeth Mankin Kornhauser / Tim Barringer (eds.): Thomas Cole's Journey. Atlantic Crossings, New Haven / London: Yale University Press 2018, 288 S., 254 Abb., ISBN 978-1-58839-640-2, USD 65,00
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Thomas Cole (1801-1848) gilt als Gründervater der US-amerikanischen Landschaftsmalerei, die zwischen 1825 und 1870 florierte und heute als Hudson River School bekannt ist. Während er als Eckpfeiler der nationalen Kunstgeschichte und dazu noch als erster genuin amerikanischer Maler kanonisiert ist, sind in Europa vornehmlich Kenner mit seinem Werk vertraut.
Anlässlich des 200. Jahrestages seiner Emigration von England in die USA kuratierten Elizabeth Mankin Kornhauser und Tim Barringer die hervorragende Ausstellung "Thomas Cole's Journey. Atlantic Crossings" im New Yorker Metropolitan Museum of Art. Im Katalog versprechen sie eine Neubewertung aus globaler Perspektive: "The emergence of transregional and global models of art-historical study allow us to see Cole not as the 'father' of the Hudson River School, embodying national identity, but as a troubled cosmopolitan figure, an economic migrant whose early years were marked by itinerancy and whose artistic peregrinations exposed him to traditions of British, French, and Italian art, literature, and politics" (9). Deshalb ist es nur konsequent, dass die Ausstellung unter dem Titel "Eden to Empire" auch in der National Gallery in London zu sehen war, wo Cole gemeinsam mit britischen Kollegen zuletzt 1832 (vgl. 8) präsentiert wurde.
Argumentativer Ausgangspunkt des Projekts sind folglich "Thomas Cole's Atlantic Crossings", so der Titel von Barringers Einführungstext. Er fokussiert die künstlerische Prägung des Malers im Umfeld der ersten drei seiner fünf Atlantiküberquerungen, also der Emigration 1818 und der ersten Europareise von 1829 bis 1832. Der zweite Europaaufenthalt von 1841 bis 1842 wird als weniger relevant erachtet und deshalb generell nur gestreift. Intensiver als üblich diskutiert Barringer die englischen Wurzeln Coles und die künstlerischen Impulse aus Europa für sein Schaffen, um nachzuweisen, dass dessen reife Werke nach 1832 nicht unabhängig davon zu denken sind. Überzeugend argumentiert er, dass Coles frühe Erfahrungen mit den destruktiven Auswirkungen der englischen Industrialisierung seine Fortschrittsskepsis gefördert haben, die um 1836 schließlich im programmatischen fünfteiligen Zyklus "The Course of Empire" kulminierte. Auf dieser Basis kann der Autor für dieses und andere Hauptwerke eine internationale Perspektive reklamieren, die Cole 1835/36 freilich selbst mit seinem Schlüsseltext "On American Scenery" unterband, indem er gezielt die profitorientierte Landschaftszerstörung in den USA anklagte. [1] Barringers wichtiges Fazit lautet: "Cole was, ultimately, questioning the entire narrative of colonization and capitalism [...]" (61).
Darauf aufbauend, rekonstruiert Elizabeth Mankin Kornhauser im zweiten Beitrag akribisch die Entstehungs- und Deutungsgeschichte des Gemäldes "The Oxbow", das Cole 1836 parallel zu "The Course of Empire" als weiteres programmatisches Werk schuf. Im Einklang mit "On American Scenery" lenkt der Maler seine Fortschrittskritik am Beispiel eines prominenten Aussichtspunktes in Massachusetts auf spezifisch US-amerikanische Zustände. Die Zerstörung der Wildnis durch die Siedler führt er darin metonymisch auch als ästhetischen Konflikt zwischen Erhabenem und Pittoreskem vor Augen, also zwei Konzepten europäischer Herkunft. Kornhauser folgt insgesamt zwar dem Fahrwasser etablierter Deutungsansätze, die sie immerhin präziser auszudifferenzieren weiß. Im engen Zusammenspiel mit Barringer kann sie jedoch präziser herausarbeiten, inwiefern das Gemälde mit dem Zyklus verknüpft ist: Die Werke verdanken sich Impulsen beider Kontinente und ergänzen einander durch ihre gemeinsame pessimistische geschichtsphilosophische Interpretation der Welt- bzw. der US-Geschichte. Ein "Postscript" (95) bezeugt Coles erneute Aktualität am Beispiel prominenter Gegenwartskünstler wie Ed Ruscha (1992 und 2005) oder Michel Auder (zur documenta 14, 2017), die seinen ökokritischen Ansatz avant la lettre für ambitionierte neue Werke mit dem Titel "Course of Empire" aufgreifen, um Kapitalismus und Kolonialismus zu dekonstruieren. [2] Insbesondere hierzu hätte man gerne mehr gelesen und gesehen, weil dieser Aspekt von Coles Hudson-River-Kollegen ignoriert wurde, die im Gegensatz zu ihm danach strebten, die inkompatiblen Ideale der Naturverehrung und Fortschrittsgläubigkeit miteinander zu versöhnen.
In einem informativen kürzeren Beitrag spürt Christopher Riopelle der unüberschätzbaren Rolle von Freilicht-Ölskizzen für die Entwicklung der Landschaftsmalerei in den USA nach. Ohne die Übernahme dieser in Europa bereits seit dem 18. Jahrhundert populären Praxis wäre beispielsweise "The Oxbow", auf dem Cole sich selbst beim Anfertigen einer derartigen Skizze darstellt, in dieser Form nicht möglich gewesen. Er begann mit dieser Praxis 1831 in Florenz und importierte sie in die USA, wo sie eine Neudefinition der Landschaftsmalerei herbeiführte (vgl. v.a. 104-105). Zur Veranschaulichung war passenderweise Coles eigener Skizzenkasten unter den Exponaten (vgl. 190). Riopelle formuliert nebenbei auch hellsichtig die dialektische Voraussetzung, welche das ausführliche Studium Coles als US-amerikanischen und internationalen Künstler rechtfertigt: "Cole had come to Europe to teach himself to be a better American painter" (97).
Die Konservatorin Dorothy Mahon rundet den Aufsatzteil mit erhellenden technischen Erörterungen zu Coles beiden Hauptwerken ab, denn die Leinwand von "The Oxbow" nutzte er für erste Entwürfe zu "The Consummation of Empire", die anspruchsvollste Komposition des Gemäldezyklus.
Der umfangreiche Katalogteil zeichnet sich durch hervorragende Reproduktionen und sehr informative Texte aus. Er ist chronologisch in sechs Kapitel gegliedert, welche einerseits die Inhalte der Aufsätze aufgreifen und illustrieren. Andererseits ergänzen viele Exponate von Cole sowie von anderen britischen und US-amerikanischen Künstlern die Aufsätze und tragen zu einer vertiefenden Kontextualisierung bei.
Insgesamt hinterlässt der Katalog, ebenso wie die Ausstellung(en), einen sehr positiven Eindruck. Die Neuausrichtung der Cole-Forschung hin zu einer globalen Perspektive ist jedoch mitnichten eine radikale Kehrtwende. Das Projekt integriert im umsichtigen Dialog mit bisherigen Positionen viel Bekanntes und initiiert dabei ein nuancierteres Verständnis, das über Nabelschau-Tendenzen der traditionelleren US-Kunsthistoriografie hinausführt. Nicht ohne patriotischen Eigennutz verfolgen die Kuratoren freilich das Ziel, Cole in der Riege der bedeutendsten Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts zu verankern (10). Dennoch wird Cole auch diesseits des Atlantiks als attraktiver Forschungsgegenstand erkennbar.
"Thomas Cole's Journey. Atlantic Crossing" ist ein unumgänglicher Forschungsbeitrag, indem er den bislang dominanten Fokus auf den US-Kontext signifikant erweitert, der zum Beispiel noch die letzte große Cole-Retrospektive von 1994/1995 prägte. [3] Damit setzen die Autoren jene Öffnung der frühen US-Kunstgeschichte hin zur Atlantic History und zur Global Art History fort, die bereits 2013 am Beispiel von Benjamin West und John Singleton Copley in eine wegweisende Ausstellung mündete, um auf vernachlässigte internationale Vernetzungen aufmerksam zu machen. [4]
Dass diese Horizonterweiterung in der Luft liegt, ist auch daran erkennbar, dass die Thomas Cole National Site in Catskill (New York) komplementär zu "Atlantic Crossings" die Ausstellung "Picturesque and Sublime. Thomas Cole's Trans-Atlantic Inheritance" veranstaltete, übrigens ebenfalls unter Beteiligung von Tim Barringer. Sie war leider nur in den USA zu sehen und legte den Schwerpunkt auf Coles Grafik und seine Rezeption von Druckgrafik. [5] Solche aktuellen Initiativen bergen die Chance, in den USA gepflegte monokausale Narrative der künstlerischen Unabhängigkeit seit Cole jenseits nationaler oder gar nationalistischer Denkschubladen revidierend auszudifferenzieren. Umgekehrt verschaffen sie der nordamerikanischen Kunst vor Jackson Pollock nicht nur als eklektisches regionales, sondern als relevantes internationales Phänomen neue Sichtbarkeit.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Thomas Cole: Essay on American Scenery [Originalausgabe 1836], in: ders.: The Collected Essays and Prose Sketches, ed. b. Marshall Tymn, St. Paul, MN 1980, 3-19.
[2] Ed Ruschas Zyklus "Course of Empire" (1992 und 2005) war immerhin in der National Gallery parallel zur Cole-Ausstellung zu sehen und wurde mit einem eigenen Katalog gewürdigt: vgl. Christopher Riopelle (ed.): Ed Ruscha: Course of Empire, London 2018.
[3] Vgl. William H. Truettner / Alan Wallach (eds.): Thomas Cole. Landscape into History, New Haven / London 1994.
[4] Vgl. Emily Ballew Neff / Kaylin H. Weber (eds.): American Adversaries. West and Copley in a Transatlantic World, New Haven / London 2013; ferner: Léa Kuhn: Rezension von: Emily Ballew Neff / Kaylin H. Weber (eds.): American Adversaries. West and Copley in a Transatlantic World, New Haven / London: Yale University Press 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 10 [15.10.2014], URL: http://www.sehepunkte.de/2014/10/24775.html; Léa Kuhn: Kolonialamerikanische Kunst(geschichte) als transatlantisches Schiffsgut, in: Kunstchronik 66 (2013), Nr. 7, 361-367.
[5] Vgl. Tim Barringer (et al.): Picturesque and Sublime. Thomas Cole's Trans-Atlantic Inheritance, New Haven / London 2018.
Ralf Michael Fischer