Rezension über:

Klaus Gereon Beuckers: Das Prachtevangeliar aus Mariengraden. Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei, Luzern: Quaternio Verlag Luzern 2018, 183 S., zahlr. Farbabb., mit Original-Faksimiledoppelblatt in Leinenmappe, ISBN 978-3-905924-61-9, EUR 198,00
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Rezension von:
Monika E. Müller
Staats- und Universitätsbibliothek, Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Monika E. Müller: Rezension von: Klaus Gereon Beuckers: Das Prachtevangeliar aus Mariengraden. Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei, Luzern: Quaternio Verlag Luzern 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 9 [15.09.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/09/32015.html


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Klaus Gereon Beuckers: Das Prachtevangeliar aus Mariengraden

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Das Evangeliar Cod. 1001a der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln, das aus der von Erzbischof Hermann II. (1036-1056) gestifteten Kirche St. Maria ad Gradus ("Mariengraden") unmittelbar östlich des Domes stammt, gilt als Hauptwerk der Kölner Buchmalerei der Salierzeit. Harald Horsts Ausführungen im Grußwort zufolge handelt es sich auch um die älteste und wertvollste Cimelie der Kölner Diözesanbibliothek, die sich 1752 allerdings nachweislich noch im Kanonikerstift von St. Maria ad Gradus befand (7, 31).

Zu dem Prachtevangeliar gehören eine purpurfarbene Zierseite als Auftakt einer üppigen Bilderserie mit Majestas Domini, 12 Kanontafeln und Hieronymusbild. Zudem wird jedes Evangelium von einem dekorativen Prolog mit Zierseite, Evangelistenbild, Incipitseite und Evangelieninitial eingeleitet. In der älteren Forschung wurde der Codex als Anfang der sog. Reichen Gruppe der Kölner Buchmalerei des früheren 11. Jahrhunderts betrachtet und für seine qualitative Finesse in der Ausführung sowie für seine Amalgamierung von Elementen der Kölner und süddeutschen bzw. Reichenauer Buchmalerei gewürdigt.

Der vom Quaternio Verlag Luzern mit 29 Folia in Faksimile-Qualität und zahlreichen Farbabbildungen reich ausgestattete Band enthält den Hauptbeitrag von Klaus Gereon Beuckers zur stilistischen und ikonographischen Einordnung (29-128) sowie die Analyse der Kodikologie und Maltechnik von Doris Oltrogge (139-154) - beide renommierte Experten in ihrem Bereich. Die Strukturierung des Buches folgt dem Aufbau der Handschrift, gegliedert durch die eingeschobenen Bildteile.

Beuckers setzt mit einem fundierten Überblick über den historischen, architektonischen sowie den sakraltopographischen und buchmalerischen Kontext in Köln zur Zeit der Ottonen und Salier und speziell bei St. Maria ad Gradus ein. Die Einteilung der Kölner Handschriften in verschiedene Gruppen durch die ältere Forschung, wie unter anderem in dem Opus magnum von Peter Bloch und Hermann Schnitzler vorgestellt [1], werden im Wesentlichen akzeptiert. Der mutmaßliche Dekor des heutzutage holzsichtigen Einbands wird rekonstruiert und komparatistisch eingeordnet (39-46). Das dafür anzuvisierende Zeitfenster liefert die dendrochronologische Bestimmung der Deckel durch Peter Klein (Hamburg) von 2017 in die 1030er Jahre. Demnach sind das Jahr 1021 als frühestmögliches Fälldatum und 1033 als plausibles Jahr der Verwendung vorzustellen (46, 127). Die kodikologische Analyse verdeutlicht nicht nur das Streben nach repräsentativer Gestaltung mittels illuminierter Doppelseiten, sondern auch manche Inkongruenz bei der Blattabfolge. Die Titelgedichte zu den vier Evangelisten werden von Beuckers als Gruppenmerkmal und Indikator für die Herkunft dieser Handschriften aus einem Skriptorium vorgestellt (53).

Beuckers Analyse des reichen figürlichen und ornamentalen Dekors lässt das hohe künstlerische Potential des Malers deutlich werden. Das Mariengrader Evangeliar markiert demnach als erste Handschrift der "Reichen Gruppe" den fulminanten Neuanfang und die Weiterentwicklung der Kölner Buchmalerei in den 1030er Jahren auf der Grundlage zahlreicher karolingischer und ottonischer Vorlagen sowie eigenständiger Neuformulierungen. Nach Handschriften wie dem Gerresheimer Evangeliar, das als letztes Werk der "Malerischen Sondergruppe" jüngst in die 1020/30er Jahre datiert wurde [2], ist das Mariengrader Evangeliar das erste bekannte Meisterwerk und der Start der salischen Kölner Malerei (123 f.). Dank besagter dendrochronologischer Bestimmung ist es auch das einzige sicher datierte.

Die Handschrift war allerdings zwei Jahrzehnte vor der Gründung des Mariengrader Kanonikerstifts fertiggestellt, so dass Beuckers von ihrer Umnutzung ausgeht (127). Wer hinter dieser neuen Blüte der Kölner Buchmalerei und dem Auftrag zur Ausführung des prachtvollen Evangeliars steht oder als konkreter Adressat zu sehen ist, lasse sich aber nicht mehr klären. Die Zeit sei jedoch günstig für eine neue Produktionsphase in der Buchmalerei gewesen. Denn Köln habe - in einer Phase der politischen Neuausrichtung nach dem Tod Kaiser Heinrichs II. im Jahre 1024 - die ottonische Tradition und die damalige Herrschernähe angesichts der neuen salischen Herrscher herauszustellen gesucht (127).

Die kodikologische und maltechnische Analyse von Doris Oltrogge (139-154) beschließt auf äußerst präzise und umsichtige Art den Band. Ihre Ergebnisse bereichern Beuckers Beitrag, zumal Oltrogge den Herstellungsprozess sowie die Schwankungen und Varianten des Layouts rekonstruiert. Demnach haben sich Spuren der Planungsarbeit, Unterzeichnungen und Hilfslinien erhalten (140), die in der älteren Forschung nicht berücksichtigt, hier aber punktuell mittels UV-Licht sichtbar gemacht wurden. Erhalten haben sich auf höchst seltene Weise in der Handschrift auch Farbproben (Blautöne) und eine Blattmusterzeichnung (144). Die Analyse der Maltechnik lässt auf eine Vorliebe für Ton-in-Ton-Farbverwendung schließen, hebt das zeitgenössisch seltene, in Köln aber auch in anderen Handschriften nachweisbare Spiel mit verschiedenen "Goldfarben" hervor und betont darüber hinaus eine komplexe Farben- und Strichführung für den Aufbau des Inkarnats. Insgesamt kann Oltrogge auch im Bereich der Maltechnik die Verarbeitung süddeutscher Einflüsse nachweisen (147). Durch die materialtechnische Analyse der Einbandreste rekonstruiert Oltrogge das ursprüngliche Aussehen des Bucheinbands: Auf dem Vorderdeckel befand sich einst wohl ein Elfenbeinrelief, umgeben von Silberbeschlägen. Buchrücken und Rückdeckel waren textilbezogen, wobei sich auf dem Rückdeckel vielleicht eine Darstellung der Kreuzigung befand, als Ausschnittarbeit in der Goldschmiedetechnik des opus interrasile gearbeitet (152).

Die Kombination der beiden Beiträge führte zu stringenten Ergebnissen und ist methodisch bei jeder monographischen Untersuchung solcher Handschriften wünschenswert. Durch sie wird die Forschung über das Prachtevangeliar, die seit den Arbeiten von Anton von Euw anlässlich der Theophanu-Ausstellung im Jahre 1991 und von Ulrike Surmann zur Ausstellung der Dombibliothek 1998 stagnierte, erstmals wieder im großen Stil aufgenommen. Dass man an wenigen Stellen wie etwa bei den eher knapp gehaltenen Anmerkungen über die bildtheologischen Implikationen der Miniaturen (91; 123) oder bei der nicht immer perfekten Disposition des Textes in den Zierseiten gerne noch mehr erfahren hätte, tut dem Opus keinen Abbruch. Schmerzlich ist allerdings das Fehlen eines eigenen Beitrages zur Einordnung der Schrift in der Cimelie. Jedoch ist die Forschung über die Paläographie des 10. und 11. Jahrhunderts allgemein und besonders in Handschriften aus Kölner Skriptorien ein drängendes Desiderat. Der Band kann innerhalb des gewählten methodischen Ansatzes und des inhaltlichen Fokus seiner Beiträge als paradigmatisches Werk gelten, das zu einer Reihe neuer, fundierter interdisziplinärer Arbeiten über die Kölner Buchmalerei gehört.[3] Das hervorragende Bildmaterial macht die Lektüre der Fachbeiträge gut nachvollziehbar und zu einem ästhetischen Genuss - zu einem konsequenterweise allerdings recht hohen Preis.


Anmerkungen:

[1] Peter Bloch/ Hermann Schnitzler: Die Ottonische Kölner Malerschule, 2 Bde, Düsseldorf 1967 / 1970.

[2] Vgl. generell die Beiträge zur Handschrift in: Klaus Gereon Beuckers / Beate Johlen-Budnik (Hgg.): Das Gerresheimer Evangeliar. Eine spätottonische Prachthandschrift als Geschichtsquelle, Köln / Weimar / Wien 2016. Außerdem besonders zur Datierung: Klaus Gereon Beuckers: Geschichte, Forschungsstand und Forschungsproblematik, in: ebd., 13-64, spez. 54.

[3] Vgl. außerdem: Klaus Gereon Beuckers (Hg.): Äbtissin Hitda und der Hitda-Codex. Forschungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei, Darmstadt 2013; Klaus Gereon Beuckers (Hg.): Das Jüngere Evangeliar aus St. Georg in Köln. Untersuchungen zum Lyskirchen-Evangeliar, Köln (Verlagsankündigung September 2019).

Monika E. Müller