Rezension über:

Vaios Liapis / Antonis K. Petrides (eds.): Greek Tragedy After the Fifth Century. A Survey from ca. 400 BC to ca. 400 AD, Cambridge: Cambridge University Press 2019, XIV + 415 S., 1 s/w-Abb., 3 Tbl., ISBN 978-1-107-03855-4, GBP 90,00
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Rezension von:
Bernhard Zimmermann
Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Bernhard Zimmermann: Rezension von: Vaios Liapis / Antonis K. Petrides (eds.): Greek Tragedy After the Fifth Century. A Survey from ca. 400 BC to ca. 400 AD, Cambridge: Cambridge University Press 2019, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 9 [15.09.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/09/32924.html


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Vaios Liapis / Antonis K. Petrides (eds.): Greek Tragedy After the Fifth Century

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In den letzten Jahren zieht - und dies völlig zu Recht - immer mehr das nachklassische Drama das Interesse der Forschung auf sich, und der Blick weitet sich auf die gesamte griechischsprachige Welt. Untersuchungen zum Theaterbetrieb des 4. und 3. Jahrhunderts v. Chr. sind nicht mehr Mangelware. [1] So liegt der von V. Liapis und A.K. Petridis herausgegebene Band 'Greek tragedy after the fifth century' ganz im Forschungstrend der letzten Jahre.

Im Gegensatz zur Komödie des 4. und 3. Jahrhunderts v. Chr. wurde die Tragödie dieser Zeit mit wenigen Ausnahmen recht stiefmütterlich behandelt. [2] Verantwortlich ist natürlich der Bestand: Während von den 256 namentlich bezeugten Komödiendichtern zahlreiche Fragmente und von Menander sogar ein Stück komplett (Dyskolos) und mehrere Komödien in großen Teilen durch Papyrusfunde erhalten sind, die in acht stattlichen Bänden der Poetae Comici Graeci von R. Kassel und C. Austin zwischen 1983 und 2001 ediert wurden, genügen für die 200 tragici minores dagegen, also für all die Tragiker außer Aischylos, Sophokles und Euripides, von denen vielfach nur der Name bekannt ist und häufig keinerlei oder sehr wenige Fragmente erhalten sind, 325 Seiten im ersten Band der von B. Snell und R. Kannicht herausgegebenen Tragicorum Graecorum Fragmenta (Göttingen 1986). Dies änderte sich allerdings in den letzten Jahren wohl auch deshalb, weil die Erforschung der fragmentarischen dramatischen Literatur zur Zeit großen Auftrieb erhält. Petridis und Liapis wollen mit diesem Sammelband den derzeitigen Forschungsstande wiedergeben und dies gelingt ihnen in überzeugender Weise.

Im 1. Teil (23-146) werden die Autoren und Texte behandelt, auf denen unser Wissen über die nachklassische Tragödie beruht. Liapis und Stephanopoulos besprechen die Tragiker des 4. Jahrhunderts, S. Hornblower die der hellenistischen Zeit (mit einer interessanten Hypothese zur Alexandra des Lykophron, die er dem Tragiker Lykophron von Chalkis abspricht und einem anonymen Autor des beginnenden 2. Jahrhunderts v. Chr. zuweist) und entwerfen, sofern dies das Material zulässt wie bei Astydamas, auch ein literarisches Profil des jeweiligen Autors, wie dies C. Scardino zur Tragödie und R. Lämmle zum Satyrspiel bereits getan haben (in diesem Band nicht berücksichtigt). [3] Besondere Beachtung finden natürlich der pseudoeuripideische Rhesos, dessen Stellung in der Gattungsgeschichte von A. Fries überzeugend dargestellt wird, und die Exagoge des Ezechiel, der Dramatisierung des alttestamentarischen Buches Exodus (I 1-15), des Auszugs der Juden aus Ägypten (P. Lanfranchi).

In dem mit 'Contexts and Developments' überschriebenen 2. Teil (147-291) stellt B. Le Guen in ihrem Beitrag 'Beyond Athens' sowohl die literarischen als auch epigraphischen und archäologischen Testimonien zusammen, die die Verbreitung der attischen Tragödie, des wichtigsten kulturellen Exportartikels nach 400, beleuchten. A. Duncon und V. Liapis untersuchen den Theaterbetrieb der nachklassischen Zeit - mit besonderer Berücksichtigung der Schauspieler jener Zeit [4] und die Entstehung des Kanons der tragischen Trias Aischylos, Sophokles und Euripides, die bereits 405 durch Aristophanes in den Fröschen festgeschrieben wurde. F. Dunn bespricht die Tragiker nach 400 unter dem Aspekt der Traditionsverhaftetheit und der dramatischen Innovation, D. M. Carter schließlich versucht, aus den Testimonien und Fragmenten die politischen und gesellschaftlichen Dimensionen nachklassische Tragödie herauszuarbeiten. Im abschließenden Abschnitt (295-349) widmen sich R. Webb der Rezeption der Tragödie in der Spätantike und J. Hanink der philologischen Beschäftigung mit tragischen Texten seit der Zeit des Hellenismus.

Der Band vertieft und präzisiert wie die zu Beginn der Besprechung angeführten Titel unser Wissen über die nachklassische Tragödie. Die Beiträge bieten einerseits einen Überblick über den Stand der Forschung, andererseits stoßen sie häufig neue Fragen an, die die Forschung in nächster Zeit beschäftigen könnte.


Anmerkungen:

[1] Vgl. K. Bosher (ed.): Theater outside Athens: Drama in Greek Sicily and South Italy, Cambridge 2012, E. Csapo / H. R. Götte / J. R. Green / O. Wilson (eds.): Greek theatre in the fourth century B. C., Berlin / Boston 2014, V. Vahtikaris: Tragedy performances outside Athens in the late fifth and fourth centuries BC, Helsinki 2014, A. A. Lamari (ed.): Reperformances of drama in the fifth and fourth centuries BC: authors and contexts, Trends in Classics 7 (2015), 181-402, A. A. Lamari: Reperforming Greek tragedy. Theater, politics, and cultural mobility in the fifth and fourth centuries BC, Berlin / Boston 2017, E. Stewart: Greek tragedy on the move. The birth of a panhellenic art form c. 500-300 BC, Oxford 2017.

[2] G.M. Sifakis: Studies in the history of hellenistic drama, London 1967, G. Xanthaki-Karamanou: Studies in fourth-century tragedy, Academy of Athens, Athens 1980.

[3] In B. Zimmermann / A, Rengakos (Hgg.): Handbuch der griechischen Literatur der Antike, Bd. 2, München 2014, 905-967.

[4] Vgl. auch E. Hall: The theatrical cast of Athens. Interactions between ancient Greek drama & society, Oxford 2006, E. Csapo: Actors and icons of the ancient theater, Malden / Oxford 2010.

Bernhard Zimmermann