Rezension über:

Thérèse Burollet: Albert Bartholomé 1848-1928. La rédecouverte d'un grand sculpteur, Paris: arthena 2017, 357 S., 600 Abb., ISBN 978-2-903239-57-2, EUR 110,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Marthje Sagewitz
Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris
Redaktionelle Betreuung:
Philippe Cordez
Empfohlene Zitierweise:
Marthje Sagewitz: Rezension von: Thérèse Burollet: Albert Bartholomé 1848-1928. La rédecouverte d'un grand sculpteur, Paris: arthena 2017, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 11 [15.11.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/11/32848.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Thérèse Burollet: Albert Bartholomé 1848-1928

Textgröße: A A A

Am 1. November 1899 wurde Albert Bartholomés "Monument aux morts" auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise enthüllt. Das bereits am ersten Tag von 98.000 Besuchern aufgesuchte und in der Presse mit herausragenden Kritiken besprochene Monument gehört bis heute zu den wichtigsten Werken des Bildhauers. Bis zu seinem Tod im Jahre 1928 sollte sein künstlerisches Schaffen vor allem von Aufträgen für private und öffentliche Grabmäler, sowie von den im Anschluss an den Ersten Weltkrieg zahlreich entstehenden Gefallenendenkmälern bestimmt sein. Heute, 120 Jahre später, ist Albert Bartholomé fast gänzlich in Vergessenheit geraten. Weder den zahlreichen Touristen, die jährlich den Père Lachaise besuchen, noch im allgemeinen kunsthistorischen Fachdiskurs ist sein Name ein Begriff.

Mit ihrer monumentalen und reich illustrierten Monografie, die gleichzeitig auch Werkkatalog ist, gelingt es Thérèse Burollet, Künstler und Werk wiederzuentdecken sowie eine umfassende "biographie reconstituée" (13) zu erarbeiten. Auf der Grundlage beeindruckender, jahrelanger Recherchen in sowohl nationalen als auch regionalen und lokalen Archiven sowie gestützt auf Interviews unter anderem mit den Witwen von Antoine Bourdelle und Henri Bouchard, zeichnet die Autorin die zentralen Lebens- und Karriereabschnitte Bartholomés nach. Sie unterteilt ihre einer klassisch linearen Chronologie folgende Narration geschickt in thematische und nach Werktypus geordnete Kapitel.

Vereinzelte Werke des Künstlers, wie das "Monument aux morts" auf dem Père Lachaise und das Grabmal für seine erste Ehefrau auf dem Friedhof von Bouillant in Crépy-en-Valois, werden - ihrer Bedeutung für das Gesamtœuvre entsprechend - in eigenen Kapiteln analysiert. Markiert das Grabmonument von Bouillant (1887-1888) doch einen entscheidenden Wendepunkt in der Karriere des Künstlers, der seine Laufbahn noch als Maler in der Tradition Jules Bastien-Lepages begonnen hatte. In dem Wunsch, seiner verstorbenen Frau selbst ein Grabmal zu errichten, schult sich Bartholomé autodidaktisch in der Bildhauerkunst. Mit dem zweiteiligen Grabmonument, bestehend aus einem lebensgroßen, schmerzerfüllten Kruzifix und einem medaillonförmigen Doppelportrait des Paares, schafft er sein erstes plastisches Werk.

Während die enge Verzahnung von Biografie und Werk im Kontext dieses Todesfalles sinnfällig ist, erscheint sie an anderer Stelle verwunderlich, methodisch zumindest fragwürdig, denn die weiteren Werkphasen folgen Gesetzmäßigkeiten auch fernab einer biografischen Motivation. Ein ähnlicher Mangel an hermeneutischer Distanz lässt sich auch in den zum Teil sehr emotional formulierten Kapitelüberschriften und dem passagenweise übermäßigen Gebrauch von direkten Zitaten erkennen.

Kapitelübergreifend setzt Burollet das Werk und die Person Bartholomés in Beziehung zu den Künstler- und Literatennetzwerken um die Jahrhundertwende, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Einen wesentlichen Fokus legt sie hierbei auf die Freundschaft zwischen Bartholomé und Edgar Degas, die sie einer Neu- beziehungsweise Aufwertung unterzieht: Sich auf die bisher unveröffentlichten Korrespondenzen der beiden Künstler mit dem befreundeten Ehepaar Jeanniot beziehend, korrigiert die Autorin das allgemein in der Forschung vorherrschende Bild eines opportunistischen Degas, der die Treue seines Bildhauerfreundes ausnutzt (69-85). Des Weiteren untersucht Burollet Bartholomés tragende Rolle innerhalb der 1891 gegründeten Société nationale des beaux-arts: Der Bildhauer war zunächst ab 1913 Vize- und schließlich von 1919 bis 1925 Präsident der Gesellschaft. Die Autorin arbeitet in diesem Zuge die zentrale Bedeutung heraus, die Institutionen solcherart als Schnittstelle von Künstlern, Kunstkritik und Sammlern auch noch Anfang des 20. Jahrhunderts für Künstlerkarrieren hatten (109-113).

Vom "Monument aux morts" auf dem Père Lachaise und dessen Strahlkraft ausgehend, verortet Burollet schließlich Bartholomé auch im Kontext der internationalen Kunstwelt. Denn nicht nur in Frankreich, sondern auch im europäischen und internationalen Ausland traf das monumentale Werk auf einen so großen Erfolg, dass sowohl die bereits zur Weltausstellung 1900 edierten Bronzereduktionen als auch Gipsabgüsse des gesamten Monuments in Originalgröße von Sammlern und Museen erworben werden. Als einer der ersten erwirbt Georg Treu, Leiter der Skulpturensammlung des Albertinums in Dresden, 1900 eine Gipsversion des Werks, um diese gemeinsam mit den Arbeiten renommierter Zeitgenossen wie Auguste Rodin und Constantin Meunier in der Gipssammlung des Museums auszustellen. Im Anschluss an die erste Präsentation des Abgusses während der Internationalen Kunstausstellung in Dresden 1901 nimmt Bartholomé an zahlreichen Ausstellungen in Deutschland (u.a. Düsseldorf, Berlin und Krefeld), Europa und schließlich in den USA und Südamerika teil (97-107).

Neben ausführlicher Künstlerbiografie ist Burollets Publikation in einem zweiten Teil gleichzeitig auch ein aufwendig erstelltes Werkverzeichnis des Künstlers. Die Autorin führt hier sowohl die erhaltenen als auch die verschollenen und zerstörten Werke - ob Gips, Bronze oder Marmor - jeweils detailliert mit Bibliografie sowie Objektgeschichte versehen auf und lokalisiert sie im musealen und öffentlichen Raum. Anders als im Falle von beispielsweise Rodin, Bourdelle und Bouchard, deren künstlerisches Erbe von Familienmitgliedern oder vom Staat gesichert wurde, erfuhr der Nachlass von Bartholomé keine systematische Betreuung, sodass die Leistung der Autorin umso bemerkenswerter ist.

Was der Leser in der Regel am Anfang einer kunsthistorischen Studie erwartet, setzt die Autorin fast ganz ans Ende ihrer Arbeit: Der linearen Chronologie ihrer Publikation stringent folgend ordnet Burollet die eigene wissenschaftliche Leistung erst in einem abschließenden Kapitel in den aktuellen Forschungstand ein. Die Autorin beschreibt zunächst, wie Bartholomé bereits wenige Jahre nach seinem Tod in Vergessenheit geriet, und setzt anschließend ihre eigene Wiederentdeckung des Künstlers in Beziehung zur Neubewertung der französischen Skulptur des 19. Jahrhunderts in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren (155-157).

Während im Todesjahr des Bildhauers 1928 noch zahlreiche Artikel erschienen, die insbesondere die Gelegenheit nutzten, das "Monument aux morts" ein weiteres Mal zu feiern, hatten Künstler und Werk schon in den 1930er-Jahren nur noch einen anekdotischen Wert in Publikationen zu Edgar Degas. Ein wiederaufkeimendes Interesse der kunsthistorischen Forschung für die französische Skulptur des 19. Jahrhunderts - auch jenseits von Rodin - entwickelte sich erst ab den späten 70er-Jahren. Zunächst in den Vereinigten Staaten, dann auch in Frankreich, widmeten sich Ausstellungen der französischen Skulptur des 19. Jahrhunderts. [1] Weder hier noch in rezenteren Publikationen zur Skulptur seiner Zeit wird Bartholomé gebührend thematisiert. [2]

Mit Burollets Monografie liegt demnach das erste Grundlagenwerk zum Künstler vor, das auch zentrales Referenzwerk für weitere wissenschaftliche Studien sein wird. Forschungsfragen, wie beispielsweise nach einem Vergangenheitsbezug im Werk Bartholomés oder nach seinem Anteil an der Entwicklung einer Formensprache der Moderne, die im Rahmen der Publikation nur angerissen werden konnten, können nun, nicht zuletzt auf der Grundlage der Archivarbeiten, Dank der verdienstvollen Publikation Burollets formuliert und eingehend untersucht werden. [3] Ferner ermutigt die Autorin dazu, weitere Künstler, die bisher außerhalb des Forschungsinteresses und im Schatten des alles überstrahlenden Rodin standen, in den wissenschaftlichen Fokus zu rücken.


Anmerkungen:

[1] Peter Fusco / H.W. Janson (eds.): The Romantics to Rodin. French Nineteenth-Century Sculpture from North American collections, Ausst.-Kat. Los Angeles, Los Angeles County Museum of Art, Los Angeles 1980; Anne Pingeot (éd.): De Carpeaux à Matisse. La sculpture française dans les musées et les collections publiques du Nord de la France, Ausst.-Kat. Calais, Musée des Beaux-Arts et de la Dentelle, Lille 1982; Anne Pingeot (éd.): La sculpture française du XIXe siècle, Ausst.-Kat. Paris, Galeries Nationales du Grand Palais, Paris 1986.

[2] Sigmar Holsten (Hg.): Elegant//Expressiv. Von Houdon bis Rodin. Französische Plastik des 19. Jahrhunderts, Ausst.-Kat. Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe 2007; Catherine Chevillot (éd.): Oublier Rodin? La sculpture à Paris 1904-1915, Ausst.-Kat. Paris, Musée d'Orsay, Paris 2009.

[3] Die Rezensentin untersucht in ihrem Dissertationsprojekt "Die Mittelalterrezeption in der französischen Skulptur der Dritten Republik. Auguste Rodin und die Bildhauergeneration um 1900" unter anderem das Œuvre von Bartholomé, Rodin und Bourdelle und setzt ihren Mittelalterbezug in Beziehung zu einer in die Moderne weisenden Formensprache.

Marthje Sagewitz