Rezension über:

Thomas Diester: Kooperatives und selbstorganisiertes Lernen im Geschichtsunterricht. Theoretische Aspekte und praktische Beispiele, Berlin: Logos Verlag 2018, 203 S., 21 Farbabb., ISBN 978-3-8325-4643-4, EUR 48,50
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Rezension von:
Peter Adamski
Kassel
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Peter Adamski: Rezension von: Thomas Diester: Kooperatives und selbstorganisiertes Lernen im Geschichtsunterricht. Theoretische Aspekte und praktische Beispiele, Berlin: Logos Verlag 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 11 [15.11.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/11/33025.html


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Thomas Diester: Kooperatives und selbstorganisiertes Lernen im Geschichtsunterricht

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Thomas Diester war einige Jahre lang Seminarausbilder für das Fach Geschichte im Saarland, stand folglich an einer wichtigen Gelenkstelle für die Vermittlung historischen Lernens in Theorie und Praxis. Es geht, so verdichtet der Klappentext die Intentionen des Buches, um Folgendes: "Moderner Geschichtsunterricht besteht nicht mehr aus dem Lernen von Daten und Fakten, sondern ist viel mehr oder besser: anders. Um als historisch-politischer Mensch verantwortungsbewusst an Entscheidungen der Gegenwart für die Zukunft teilhaben zu können, ist eine kompetente Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit erforderlich". Um dies zu erreichen, sollten Lernende Geschichte mehr selbst erarbeiten und reflektieren. Ein anderer Geschichtsunterricht bedürfe vor allem anderer Arbeitsweisen. Der Schlüssel dafür ist kooperatives und selbstorganisiertes Lernen. Inwiefern damit unter fachdidaktischen Gesichtspunkten besseres historisches Lernen ermöglicht wird, ist Kern der Rezension.

Das Buch ist in zwei Hauptteile gegliedert: Zunächst werden didaktische Grundlagen kooperativen und selbstorganisierten Lernens erörtert (5-35). Daran schließt ein praktischer Teil an, der Unterrichtsbeispiele für die Jahrgangsstufen 6 bis 12 vorstellt (36-192). Ein ausführliches Literaturverzeichnis, Nachweise der zitierten Schulbücher und Bildquellen schließen den Band ab (193-203). Angesichts der Gewichtung des Theorie- und Praxisteils wird man an die didaktischen Grundlegungen nicht überzogene Ansprüche stellen, wohl aber die Darlegung des allgemein- wie fachdidaktischen Standes der Diskussion erwarten dürfen, zumal die Einzelaspekte der Thematik breit ausdifferenziert werden. Er berücksichtigt: Elemente der Lernumgebung, Sozialformen des Lernens, Aufgaben, Präsentationen, Feedbacks, individuelle Verarbeitungstechniken, Leistungsmessung.

Diese Aspekte werden durch die Grundelemente selbstorganisierten Lernens verknüpft: WELL-Methoden und das Sandwichprinzip. "WELL bedeutet wechselseitiges Lehren und Lernen und ist nach dem Think-Pair-Share-Prinzip organisiert" (8), an das sich "anschließend eine individuelle Vernetzung und Neuorganisation des Wissens einschließlich der Schließung von Wissenslücken" (ebenda) vollziehen müsse. Als Organisationsprinzip habe "sich die Sandwichstruktur als hilfreich erwiesen, in der individuelle, kooperative und Plenumsphasen abwechseln" (9). Dadurch werde die aktive Lernzeit erhöht und die Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand vertieft. Dem Klassenunterricht, also der Arbeit im Plenum, kommt die Funktion zu, Schüleraktivitäten vorzubereiten oder auszuwerten (11).

Dass sich Thomas Diester sowohl im fachdidaktischen Diskurs über kooperatives und im allgemeindidaktischen Diskurs über selbstorganisiertes Lernen gut auskennt, steht außer Frage. Dies gilt nicht immer für einzelne Aspekte der didaktischen Grundlagen. Aufgaben (21-23) haben eine wesentliche Funktion für gelingendes historisches Lernen. Der Autor weist in Anlehnung an Peter Gautschi darauf hin, dass es immer um einen Lerngegenstand, eine Prozessstruktur des Lernens und die Nutzung, das heißt, eine Kompetenzerweiterung mittels Präsentationen von Wissen über Geschichte geht (23). Solche Lernaufgaben zeichnen sich aus didaktischer Perspektive wesentlich und vor allem dadurch aus, Lernende anzuregen, Probleme zu lösen, indem sie historische Fragen aufwerfen, die es zu beantworten gilt. Dieser Aspekt bleibt ausgeblendet - was Folgen für den praktischen Teil hat.

Präsentationen (24-26) und individuelle Verarbeitungstechniken (28-29) können darüber Aufschluss geben, wie Inhalte verarbeitet werden und eigene Geschichten über Vergangenes erzählt werden. Der Autor beschränkt sich in beiden Fällen eher auf methodische Anregungen: Galeriegang und 'Einer bleibt, die anderen gehen' für Präsentationen; Begriffskärtchen, Strukturlegetechniken und Concept Maps für die individuelle Verarbeitung.

Der zweite, unterrichtspraktische Teil des Buches gibt Beispiele für die Umsetzung kooperativen und selbstorganisierten Lernens nach dem Sandwichprinzip. Insgesamt werden zehn für den Geschichtsunterricht relevante Themen abgebildet, von der Jahrgangsstufe 6 bis 12: Die Frage nach gerechten Kriegen, Die Kaiserkrönung Karls des Großen, Aufbruch in eine neue Zeit (?), Das Zeitalter des Absolutismus, Die Zeit des Imperialismus, Die ersten Jahre der BR Deutschland, Die ersten Jahre der DDR, Französische Revolution, Industrialisierung und Soziale Frage, Gefährdungen der Weimarer Republik.

Die Beispiele sind immer ähnlich angelegt: Einem mal kürzeren, zuweilen auch längeren didaktisch-methodischen Kommentar folgen Arbeitshinweise, Materialien und strukturierte Arbeitsblätter zur Ergebniskontrolle und / oder Leistungsbewertung. Wenn es um eine längere Unterrichtseinheit geht - beispielsweise "Die Zeit des Imperialismus" (72-85), wird diese in tabellarischer Form als Planungsübersicht vorgestellt. Sie enthält neben den Unterrichtsschritten nebst Sozialformen häufig Hinweise auf Quellen in Geschichtsbüchern. Der Kern des methodischen Grundarrangements - das Sandwich - wird für alle Beispiele ausführlich dokumentiert. Für das Thema Imperialismus sind dies: der Advanced Organizer, die Materialien für ein Partnerbriefing, die Texte für ein Partnerpuzzle zur bismarkschen Außenpolitik im Vergleich zu der unter Wilhelm II., ein Arbeitsblatt zum Vergleich, eine Concept Map zum Imperialismus.

Mit Blick auf alle Beispiele wird die Vielfalt der Möglichkeiten, mit dem WELL-Prinzip zu arbeiten, gut abgebildet. Dennoch gibt es gravierende Einwände beziehungsweise Kritikpunkte: Die Schülerinnen und Schüler werden nicht mit Lernaufgaben konfrontiert, die sie motivieren oder auffordern, sich mit historischen Fragen im Sinne einer problemorientierten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu befassen. In den Themen "gerechte Kriege" und "Aufbruch in eine neue Zeit (?)" werden sie bestenfalls angedeutet. Auch die Advanced Organizer sind davon nicht ausgenommen. Sie benennen lediglich Zeiträume: "Das Zeitalter des Absolutismus" oder "Die Ära Adenauer".

Thomas Diester weist zu Beginn des Praxisteils (36) darauf hin, dass aus rechtlichen Gründen Quellen in diesem Teil nicht abgedruckt werden, wohl aber in den didaktisch-methodischen Kommentaren Hinweise zu diesen zu finden sind. Letzteres stimmt für einige Beispiele, ersteres nicht unbedingt. Fremdrechte an Quellen können natürlich erworben werden - was allerdings den schon jetzt exorbitanten Preis des Buches erheblich in die Höhe getrieben hätte. Das Buch enthält mehr als 100 Abbildungen. Keine einzige davon - die wenigsten erscheinen im Materialteil, die weitaus meisten in den Advanced Organizern - wird als Quelle genutzt. Sie können nicht einmal als sinnvolle Illustrationen dienen, weil ihnen die minimalsten Voraussetzungen dazu fehlen: Angaben über Titel, Genre, Entstehungszeitraum, Inhalt. Auf welcher Materialbasis soll folglich anderes historisches Lernen oder moderner Geschichtsunterricht gelingen? Es geht - abgesehen von den beiden ersten Themenbeispielen - um Darstellungen, nicht von Historikern oder fachlich ausgewiesenen Journalisten, sondern um Verfassertexte, die ausnahmslos vom Autor selbst angefertigt wurden. So viel zu quellenbasiertem oder -gestütztem Geschichtsunterricht.

An einem Beispiel sei erläutert, wie sich historisches Lernen in einem modernen Geschichtsunterricht für den Autor darstellt. Das Thema "Gefährdungen der Weimarer Republik" (Jahrgangsstufe 12) (176-192) wird im didaktischen Kommentar folgendermaßen profiliert: "Wesentlich sollte die Erkenntnis sein, dass Weimar durchaus eine Chance hatte und keinesfalls als Vorgeschichte des Dritten Reichs zu sehen ist" (175). Im Verfassertext zur Rolle des Rechtsextremismus - also der Materialgrundlage für die Lernenden - ist mit Bezug auf die Wahlergebnisse der NSDAP zwischen 1924 und 1928 das Folgende zu lesen: "Das zeigt, dass die Geschichte der Weimarer Republik nicht als Vorgeschichte des Nationalsozialismus betrachtet werden darf, sondern vielmehr, dass die Republik immer eine Chance hatte, weiter zu bestehen." (184) So viel zu historischem Lernen als Denkakt.

Im Übrigen sind die Verfassertexte häufig sehr komplex und voraussetzungsreich. Um in dem thematischen Beispiel zu bleiben, heißt es etwa zur Rolle des Offizierkorps der Reichswehr: "In dieser Personengruppe kann man drei Richtungen ausmachen. Es gab die Anhänger der Hohenzollern-Monarchie wie General Lüttwitz, dann die Pragmatischen wie General Groener eher links und General von Seeckt eher rechts. Die dritte Gruppe waren jüngere Offiziere, die sich eher an die Nationalsozialisten anlehnten. Bekannte Vertreter waren Blomberg, Keitel, Stülpnagel" (180, Zeilen 44-48). Was sollen Lernende - selbst in der Oberstufe - mit solchen Differenzierungen anfangen, wenn sie exemplarisch nicht nur an Personen, sondern vor allem an ihren Äußerungen und / oder Handlungen festgemacht werden?

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass das Buch interessante methodische und arbeitstechnische Hinweise zu kooperativem und selbstorganisiertem Lernen enthält. Darüber hinaus sind alle Arbeitsgrundlagen - Advanced Organizer, Vorlagen für Strukturtechniken und andere Formen der Sicherung von Ergebnissen - sehr sorgfältig und für die Lernenden anschaulich aufbereitet. Unter didaktischen Gesichtspunkten ist das Buch von Thomas Diester allerdings mehr als problematisch: Im Kernbereich des Unterrichtsarrangements - dem Sandwich - findet historisches Lernen im Sinne einer Auseinandersetzung mit Vergangenheitspartikeln überhaupt nicht statt. Das ist tatsächlich ein 'anderer' Geschichtsunterricht.

Peter Adamski