Rezension über:

Fabian Klose: "In the Cause of Humanity". Eine Geschichte der humanitären Intervention im langen 19. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Universalgeschichte; Bd. 256), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019, 516 S., ISBN 978-3-525-37084-1, EUR 70,00
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Rezension von:
Manfred Hanisch
Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Hanisch: Rezension von: Fabian Klose: "In the Cause of Humanity". Eine Geschichte der humanitären Intervention im langen 19. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 1 [15.01.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/01/32727.html


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Fabian Klose: "In the Cause of Humanity"

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Jede Abhandlung über Geschichte ist immer auch eine Abhandlung über die eigene Zeit. Dies gilt in besonderem Maße für Fabian Kloses Habilitationsschrift (Universität München, 2016) über die Geschichte der humanitären Intervention im langen 19. Jahrhundert. "Humanitäre Interventionen": Man denkt an die UN-Blauhelmeinsätze, an den Nato-Einsatz im Kosovo, an die Notwendigkeit einer solchen in Syrien - aber schon im 19. Jahrhundert? Auch die meisten professionellen Historiker dürften da Lücken haben. Denn außer Veröffentlichungen zu Teilaspekten gibt es bislang keine Gesamtdarstellung.

Kloses Habilitationsschrift ist eine solche und sie erschöpft sich nicht darin, bisher Ediertes zusammenzufassen. Zentral für die Arbeit ist die Fülle unedierter Quellen aus elf Archiven in England, Frankreich, Schweiz, Spanien, Österreich und den USA. Allein schon deswegen ist dem Buch eine Übersetzung in andere Sprachen zu wünschen. Hinzu kommt noch die Sichtung bestehender Quelleneditionen und der sehr disparaten Sekundärliteratur (60 eng bedruckte Seiten Quellen- und Literaturverzeichnis). Indes: Im Anhang findet sich keine einzige Veröffentlichung auf Spanisch oder Portugiesisch. Und so ist die gewaltige Forschungsleistung primär vom englischsprachigen, dann vom französischen und dem naheliegenden deutschsprachigen Diskurs bestimmt. Das gilt freilich für viele Veröffentlichungen. Weiterführende Anschlussuntersuchungen liegen jetzt nahe.

Ein zentrales Thema des Buches ist der Kampf gegen den transatlantischen Sklavenhandel von den Anfängen im 18. Jahrhundert über das ganze lange 19. Jahrhundert hinweg. Nota bene: Es geht um die Abschaffung des Handels mit Sklaven, nicht um die Abschaffung bestehender Sklaverei. Die ideelle Grundlage wurzelte in zwei konträren Denkrichtungen, nämlich in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und auch in religiösen Vorstellungen protestantischer Religionsgemeinschaften (Quäker, Evangelikale). Die ideen- und religionsgeschichtliche Abolitions-Diskussion stellt Klose in all ihren Facetten dar und verbindet diese mit den politischen Entwicklungen. Und so haben wir eine Verkoppelung von Ideen- mit Politikgeschichte, die Klose parallel untersucht. "Parallel" will hier sagen, nebeneinander und aufeinander bezogen, aber nicht in dem Sinn, dass Ideen alleinig politikleitend sind.

Der im 18. Jahrhundert sich intensivierende Diskurs über den Sklavenhandel führte in England 1806 erstmalig zum Verbot der Beteiligung britischer Bürger am Sklavenhandel. Klose zeichnet dann den langen und windungsreichen Weg bis zu einer immer lückenhaft bleibenden internationalen Implementierung des Verbots im Völkerrecht nach. Gleichzeitig analysiert er die konkrete und häufig aus verschiedenen Gründen so defizitäre Umsetzung durch Interventionen vor Ort in Afrika und vor seinen Küsten. Diese führte immer wieder zu Komplikationen mit anderen europäischen Mächten (Spanien, Portugal) und mit den USA. Klose arbeitet vor allem heraus, wie eng humanitäre Interventionen mit kolonialer Expansion und Rücksichtnahmen auf die Interessen anderer Mächte verbunden waren: "Humanitäre Überlegungen (...) sind dabei nur ein Motiv aus einer ganzen Palette von verschiedenen Beweggründen, die wirtschaftliche, koloniale, imperiale, geostrategische und sicherheitspolitische Interessen miteinschließen" (23), so Klose. Dieser Satz ist zentral für die gesamte Arbeit und Klose zeichnet alle Interessen bis in die Einzelheiten nach.

Allein diese so detaillierte Aufarbeitung des Kampfes um ein Verbot des Sklavenhandels ist für sich genommen schon beachtlich. Doch Klose lässt es dabei nicht bewenden. Die Arbeit widmet sich "Interventionsfällen auf vier verschiedenen Kontinenten - Afrika, Asien, Amerika und Europa - und unterschiedlichen thematischen Kontexten" (28). Diese Ausweitung auf vier Kontinente und die vergleichende Untersuchung der Interventionsbegründungen und der Interventionspraxis sind ein Alleinstellungsmerkmal der Arbeit.

So thematisiert Klose nach der Behandlung des Verbots des Sklavenhandels die sehr interessengeleiteten Interventionen europäischer Mächte im Osmanischen Reich, um die jeder Neuzeithistoriker weiß. Aber dass diese Interventionen "In the Cause of Humanity" geschahen: Das herausgearbeitet zu haben ist neu. Und ebenso wie beim Verbot des Sklavenhandels werden die Interessengeflechte und Inkonsequenzen wieder bis in die Einzelheiten nachgezeichnet: Von den Anfängen an (Unterstützung des griechischen Freiheitskampfes) bis hin zu den unterlassenen Interventionen angesichts der Armenierverfolgung schon vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Klose stellt dabei erhellend dar, wie einseitig der Freiheitskampf der Griechen in Europa rezipiert wurde. Zwar sind die Massaker an den Griechen bekannt, vor allem auf Chios - aber nicht, dass auch die griechische Seite ähnliche Massaker beging.

Während die vielfältigen Interventionen in die Belange des Osmanischen Reiches geläufig sind, sind es die Vorgänge anlässlich des Krieges der USA mit Spanien 1898 weniger. Spanien verlor seine verbliebenen amerikanischen Kolonien und die Philippinen. Die Vereinigten Staaten schoben humanitäre Interventionsgründe vor, versuchten doch die Spanier, die Freiheitsbewegung in Kuba mit genozidalen Mitteln zu unterdrücken: Mit brutaler Vertreibung und anschließender Konzentration der Zivilbevölkerung in Lager. Damit lieferten die Spanier der USA eine wohlfeile Interventionsbegründung. Die USA annektierten dann Puerto Rico und brachten Kuba bei formeller Unabhängigkeit so gut wie vollständig unter ihre Kontrolle. Aber wie das so häufig ist mit humanitären Gründen: Sie sind vorgeschoben und wie vorgeschoben sie waren, zeigte sich postwendend bei der 1898 ebenfalls erfolgten Annexion der Philippinen. Die USA wandten gegenüber der philippinischen Bevölkerung, die sich der amerikanischen Kolonialherrschaft widersetzte, die gleichen Mittel der Vertreibung und der Konzentration der Zivilbevölkerung in Lager an wie die spanische Kolonialverwaltung auf Kuba.

Eine kurzgefasste Geschichte der humanitären Interventionen und ihrer Begründungen im 20. und 21. Jahrhundert mit all ihren ambivalenten Inhärenzen schließt die Arbeit ab. Sie ist eine historische Untersuchung eines der drängendsten Probleme der Gegenwart: Eine Geschichte der Interventionen und der Interventionsbegründungen "In the Cause of Humanity". Sie untersucht vergleichend auf der Basis umfangreicher Archivforschungen vier Kontinente über den langen Zeitraum des 19. Jahrhunderts (in Teilen sogar darüber hinaus) und stellt neu und überzeugend bislang nicht gesehene Diskurs- und Politikzusammenhänge her: Zwischen dem Verbot des Sklavenhandels, der mannigfaltigen Interventionspraxis in die Belange des Nahen Ostens und kolonialer Expansionspolitik im 19. Jahrhundert unter Einschluss der USA. In zwei Worten zusammengefasst: Die Arbeit ist ein opus magnum, eine Habilitationsschrift eben, die sich obendrein noch gut liest.

Manfred Hanisch