Renate Miller-Gruber: Nachrichten von der Antike. In deutschen Zeitschriften von 1755 bis 1835 (= Stendaler Winckelmann-Forschungen; Bd. 12), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2017, 446 S., 57 s/w-Abb., ISBN 978-3-7319-0625-4, EUR 79,00
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Die von Renate Miller-Gruber verfasste Monografie "Nachrichten von der Antike in deutschen Zeitschriften von 1755 bis 1835", Band 12 der Schriftenreihe "Stendaler Winckelmann-Forschungen" im Michael Imhof Verlag, ist in sechs Kapitel mit Unterkapiteln (65 Seiten) gegliedert und beinhaltet einen umfangreichen Katalog (250 Seiten), Literaturanhang (63 Seiten) sowie ein ausführliches Register (50 Seiten).
Miller-Gruber hat in ihrer an der Universität Augsburg vorgelegten Dissertation ein bislang von archäologischer Seite wenig beachtetes Material umfassend erschlossen. Sie leistet einen "Beitrag zur Mediengeschichte der Archäologie", indem sie sich dem "Phänomen der 'Ideenzirkulation'" mittels des "aufblühenden Zeitschriftenwesens des 18. und 19. Jahrhunderts" in Deutschland widmet. Ihr Fokus liegt auf "Nachrichten [...], die über Antike im Allgemeinen und im Besonderen in den gängigen Zeitschriften verbreitet wurden" (9). Miller-Gruber erläutert in sechs kurzen Kapiteln, welche Nachrichten für ein breites Publikum interessant waren, und wie sich die Etablierung der Archäologie als wissenschaftliche Disziplin in den populären Medien darstellte. Das Rückgrat der Arbeit bildet die für künftige Forscher und Forscherinnen besonders wertvolle, 250 Seiten umfassende Materialsammlung bestehend aus über 2.000 Textbelegen. Sie ist untergliedert in die 'Auswertung der Zeitschriften auf archäologische Inhalte' (79-299) und in 'Weitere Periodika in Kurzdarstellungen' (300-329).
Im einleitenden Kapitel 'Zeitschriften und Archäologie' (11-15) steckt Miller-Gruber den behandelten Zeitrahmen von 1755 bis 1835 und das Themenfeld ab. Unter dem Stichwort 'Antike' hat sie Nachrichten zur griechischen und römischen Antike, zum Orient und Ägypten sowie zum Nachleben und zu Kopien untersucht. Das Anfangsjahr 1755 geht einher mit der Entdeckung der Vesuvstädte, dem Auftreten Winckelmanns und dem Aufkommen des ersten, für die Fragestellung relevanten Publikationsorgan, den in Augsburg herausgegebenen 'Kunstzeitungen'. Das Jahr 1835 markiert den Beginn der gelehrten Spezialzeitschriften (13).
In einem Überblick über den Forschungsstand (16-19) macht Miller-Gruber deutlich, dass die Rolle von Zeitschriften bislang vorrangig in der Germanistik, der Publizistik und der Medienwissenschaft untersucht wurde. [1] Das Zeitschriftenwesen um 1800 ist inzwischen gut aufgearbeitet [2], oft über einen biografischen Zugriff. [3] Die Arbeit von Renate Miller-Gruber reiht sich in aktuelle medienhistorische Publikationen mit Fokus auf die Antike ein; ein Forschungsfeld, das besonders an der Universität Augsburg unter Valentin Kockel gepflegt und vorangetrieben wurde. [4]
Im Kapitel 'Sieben Zeitschriften im Fokus' (20-26) werden die drei von Miller-Gruber untersuchten literarischen und unterhaltenden Journale sowie die vier Kunstzeitschriften vorgestellt. Es handelt sich bei ersteren um die ab 1757 in Leipzig erscheinende 'Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste', den ab 1773 in Weimar herausgegebenen 'Teutschen Merkur' und das ab 1786 ebenfalls in Weimar erscheinende 'Journal des Luxus und der Moden'. Kriterien für die Auswahl waren lange Erscheinungsdauer, hohe Auflage, überregionale Verbreitung und inhaltlicher Fokus auf künstlerische Themen wie z.B. Rezensionen von Winckelmanns, Heynes und anderen antiquarischen Schriften. Nach 1800 vermehrten sich die Nachrichten von Ausgrabungen, so durch Karl August Böttiger. Bei den vier untersuchten Kunstzeitschriften handelt es sich um die ab 1755 publizierten Augsburger 'Kunstzeitungen', das ab Mitte der 1770er-Jahre erscheinende Nürnberger 'Journal zur Kunstgeschichte und zur allgemeinen Literatur', die von 1779-1808 publizieren Erfurter 'Miscellaneen artistischen Inhalts' und das ab 1816 erscheinende Tübinger 'Kunst-Blatt'. Langfristig am erfolgreichsten war das von Ludwig Schorn redaktionell betreute 'Kunst-Blatt' aus dem Verlag Johann Friedrich Cottas. Der Schwerpunkt lag auf Berichten über die griechische Kunst sowie Nachrichten aus Rom und Neapel, die vor allem Eduard Gerhard lieferte. Laut Miller-Gruber ist das Kunst-Blatt "als wichtige Gelenkstelle zu werten", denn es bot archäologische Nachrichten für Laien genauso wie es ein "offenes Diskussionsforum und Publikationsmedium für Archäologen war" (26).
Es folgt das Kapitel über 'Die Zeitschriften und ihre Leser' (27-32). Die Zahl der tatsächlichen Leser der vorgestellten gelehrten Zeitschriften kann grob auf bis zu 85.000 Personen geschätzt werden unter der Prämisse, dass um 1800 nur 15-25 % der Bevölkerung lesen konnten und nur etwa 0,4 % akademisch gebildet waren. Die Zeitschriften zirkulierten in Lesegesellschaften und konnten in öffentlichen Bibliotheken ausgeliehen werden. Angesprochen werden sollten Künstler, Kunstliebhaber und Lehrende. Wichtig für den Erfolg waren die Mischung der Themen, unterschiedliche Arten der journalistischen Darbietung und (kostspielige) Illustrationen. Die meisten Zeitschriften erreichten nicht die Auflagenhöhe von 2.500 Exemplaren, die der 'Teutsche Merkur' Anfang der 1770er-Jahre hatte.
Fakten- und kenntnisreich ist das Kapitel über 'Ausgewählte Archäologische Themen und ihre Darstellung' (33-59), das jederzeit thematisch aber auch analytisch ausbaufähig gewesen wäre. Miller-Gruber erörtert darin, was und wie in den Zeitschriften berichtet wurde bspw. über Winckelmanns Schriften, über prachtvolle Stichwerke, Lehrbücher, Nachbildungen, Ausgrabungen in Italien, den Aufbau neuer Sammlungen und den Umgang mit bekannten Antiken. Während Miller-Gruber den Fokus auf inhaltliche Themenfelder legt, stellt bspw. Susanne Holmes in ihrem Aufsatz über 'Formen und Funktionen von Antikenrezeption im "Journal des Luxus und der Moden"' die Frage nach dem Warum und der Wirkung. Holmes betont, dass die in der Zeitschrift aufgenommenen Beiträge über die Antike immer im Zusammenhang mit der Moderne standen und weniger eine kritische Auseinandersetzung mit dem Altertum darstellten als eine unterhaltende ebenso wie erzieherische Rolle einnahmen. Anekdoten und Namedropping waren konstituierende Elemente der Beiträge. [5]
Die auswertenden Ausführungen schließt das Kapitel über 'Publizistische und archäologische Netzwerke' (61-68). Verleger, Herausgeber und Autoren waren auf vielfältigen Ebenen miteinander verflochten und agierten oft für mehrere Organe. Einzelkämpfer wie der Augsburger Verleger Johann Daniel Herz oder Christian Friedrich Prange in Halle scheiterten eher als Friedrich Justin Bertuch in Weimar oder Johann Friedrich Cotta in Tübingen, die in ein großes berufliches Netzwerk eingebunden waren. Eine wichtige Rolle bei der Popularisierung und Visualisierung von Wissen kam den Autoren Karl August Böttiger in Weimar und Ludwig Schorn in München zu. Am Beispiel Eduard Gerhards und der Gründung des 'Instituto di corrispondenza archaeologica' stellt Miller-Gruber dar, wie in den 1820/30er-Jahren der Schritt von der populären Zeitschrift hin zur archäologischen Fachzeitschrift vollzogen wurde.
Insgesamt handelt es sich bei der vorgelegten Publikation um ein Desiderat, befördert durch den guten digitalen Erschließungszustand der Zeitschriften. Renate Miller-Gruber hat eine Mediengattung erschlossen, die lange Zeit aus archäologischer Perspektive als marginal und wenig ergiebig bzw. unwichtig erachtet wurde, weil zu populär ausgerichtet. Der wertvolle Katalog ist über das ausdifferenzierte Personen-, Orts-, Sach- und Zeitschriftenregister im Anhang gut erschlossen. Der mit 65 Seiten relativ kurze gehaltene Textteil der Arbeit dient der beispielhaften Orientierung und liefert das zum Verständnis der Argumentation nötige Hintergrundwissen. Er zeigt auf, wie Wissen über die Antike in dem untersuchten Zeitraum generiert und verbreitet wurde, welche Netzwerke bestanden und welch wichtige Rolle populäre Zeitschriften auf dem Weg hin zur Akademisierung der Archäologie spielten.
Anmerkungen:
[1] Siehe bspw. Thomas Habel: Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts, Bremen 2007; Astrid Urban: Kunst der Kritik. Die Gattungsgeschichte der Rezension von der Spätaufklärung bis zur Romantik, Heidelberg 2004.
[2] Vgl. zu den Zeitschriften: Angela Borchert / Ralf Dressel (Hgg.): Das Journal des Luxus und der Moden: Kultur um 1800, Heidelberg 2004; Andrea Heinz (Hg.): "Der Teutsche Merkur" - die erste deutsche Kulturzeitschrift? Heidelberg 2003; Inge Dahm: Das Schornsche "Kunstblatt" 1816-1849, 2 Bde., Diss. (masch.), München 1953.
[3] Zu den hier relevanten Akteuren: Julia A. Schmidt-Funke: Karl August Böttiger (1760-1835). Weltmann und Gelehrter, Heidelberg 2006; Katharina Middell: "Die Bertuchs müssen doch in dieser Welt überall Glück haben". Der Verleger Friedrich Justin Bertuch und sein Landes-Industrie-Comtoir um 1800, Leipzig 2002; Bernhard Fischer: Der Verleger Johann Friedrich Cotta. Chronologische Verlagsbibliografie 1787-1832. Aus den Quellen bearbeitet, 3 Bde., München 2003; Stephan Füssel (Hg.): Georg Joachim Göschen, ein Verleger der Spätaufklärung und der deutschen Klassik, 2 Bde., Berlin 1998/1999.
[4] Bspw. Ulrike Steiner: Die Anfänge der Archäologie in Folio und Oktav. Fremdsprachige Antikenpublikationen und Reiseberichte in deutschen Ausgaben, Ruhpolding 2005.
[5] Susanne Holmes: "Aphroditens holden Kindern". Formen und Funktionen von Antikenrezeption im "Journal des Luxus und der Moden", in: Das Journal des Luxus und der Moden: Kultur um 1800, hgg. von Angela Borchert / Ralf Dressel, Heidelberg 2004, 158 f.; 162; 174-176.
Astrid Fendt