Volker Bauer / Elizabeth Harding / Gerhild Scholz Williams u.a. (Hgg.): Frauen - Bücher - Höfe / Women - Books - Courts. Wissen und Sammeln vor 1800 / Knowledge and Collecting before 1800 (= Wolfenbütteler Forschungen; Bd. 151), Wiesbaden: Harrassowitz 2018, 451 S., 4 Farb-, 37 s/w-Abb., ISBN 978-3-447-10936-9, EUR 78,00
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Elizabeth Harding: Landtag und Adligkeit. Ständische Repräsentationspraxis der Ritterschaften von Osnabrück, Münster und Ravensburg, Münster: Aschendorff 2011
Elizabeth Harding: Der Gelehrte im Haus. Ehe, Familie und Haushalt in der Standeskultur der frühneuzeitlichen Universität Helmstadt, Wiesbaden: Harrassowitz 2014
Elizabeth Harding / Michael Hecht (Hgg.): Die Ahnenprobe in der Vormoderne. Selektion - Initiation - Repräsentation, Münster: Rhema Verlag 2011
Im Zuge der kulturgeschichtlichen Erweiterung des Herrschaftsbegriffs und unter Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht ist in den letzten beiden Jahrzehnten die Rolle frühneuzeitlicher Herrschaftsträgerinnen in der sozialen Praxis verstärkt in den Blick der Frühneuzeitforschung gerückt. Dabei sind der Germanistin Jill Bepler bedeutende Impulse insbesondere auf dem Feld der Hof-, Geschlechter- und Sammlungsgeschichte zu verdanken. Die deutsch- und englischsprachige Festschrift würdigt diese Forschungsleistungen Jill Beplers und möchte daran anknüpfend, so die zweisprachige Einleitung, Forschungen in dem Bereich weiter vorantreiben. Die insgesamt 29 Beiträge kommen aus der Bibliotheksgeschichte, Germanistik, Geschichtswissenschaft, Musikgeschichte und Theologie. Die insgesamt sechs Themenbereichen zugeordneten Fallstudien gehen dabei den Zusammenhängen von Hof-, Geschlechter- und Sammlungsgeschichte und darüber hinaus nach. Abgeschlossen wird das Buch durch Farbtafeln, ein Schriftenverzeichnis Jill Beplers sowie ein Autorenverzeichnis.
Frühneuzeitlichen Sammel-, Ordnungs- und Erschließungspraktiken widmet sich der erste Themenschwerpunkt des Bandes. Werner Arnold eröffnet diesen, indem er am Beispiel der Bibliothek Herzog Augusts des Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel (1579-1666) die Rolle der Fürstenbibliotheken als Wissenszentren der Frühen Neuzeit beleuchtet. Will er deren Genese als kooperativen Prozess neu bewerten, gehört dazu der Blick auf politische wie intellektuelle Kontexte und Netzwerke. Wie gewinnbringend die Einbindung der Bibliothekshistoriographie in die Wissenschaftsgeschichte (Arnold) ist, exemplifiziert Ulrich Johannes Schneider am Beispiel der von Leibniz veranlassten Konversion des alten Wolfenbütteler Bibliothekskatalogs in einen alphabetischen Verfasserkatalog, die zu einer Veränderung im Verhältnis von Bibliothek und Wissenschaft führte, d.h. vom Textarchiv in ein "netzwerkrelevantes Arbeitsinstrument" (73). Der Beitrag von Ulrike Gleixner zum kulturellen Transfer in fürstlichen Privatbibliotheken am Beispiel der Herzogin Antoinette Amalie von Braunschweig-Lüneburg (1696-1762) widmet sich der Frage grenzüberschreitender Sammlungsaktivitäten. Gleixners Plädoyer für die weitere Integration des weiblichen Hochadels in die Forschungen zur frühneuzeitlichen Wissensgeschichte lässt sich nur unterstreichen. Befruchtend ist auch Elizabeth Hardings Analyse frühneuzeitlicher Praktiken bei der Zusammenstellung von Leichenpredigten, in der sie am Beispiel der Sammlung von Sophia Eleonora Gräfin Stolberg (1669-1745) Impulse aus der materiellen Kulturforschung aufgreift, mit Ansätzen aus der Geschichte der Wissensordnungen verbindet und als Quelle für die Behauptung und Ausgestaltung sozialer Klassifikationen herausarbeitet. Der Neubewertung des Konzepts der Forschungsbibliothek im Zuge des digital turns widmet sich der Aufsatz von Thomas Stäcker. Die Profilierung der Forschungsbibliothek als Ort digitaler Philologie sieht Stäcker insbesondere in der digitalen Edition gegeben, über die sich Bibliothek und Wissenschaft gleichsam neu verbinden. Für zukünftige Forschungen wäre es fruchtbar, das Potential digitaler Technologien noch stärker mit den Forschungsfeldern des Bandes zu verknüpfen.
Ein zweiter Themenkomplex richtet sich auf Konzeptionen gesellschaftlicher Ordnung. Jörg Jochen Berns Analyse zu den Frauenbildern in der Utopieliteratur des 16.-17. Jahrhunderts zeigt über die soziale Praxis hinausgehende Vorstellungen zur Berücksichtigung weiblichen Engagements in einer Gesellschaft jenseits einer dynastisch geprägten Ständeordnung. Ein gewisser Bogen ergibt sich zu Luise Schorn-Schüttes Vergleich von Herrschafts- und Ordnungsvorstellungen in protestantischen politischen Predigten des 16./17. Jahrhunderts, mag der entwickelte Thesaurus der politischen Sprache doch auch einer Auswertung von Frauenbildern zuarbeiten. Wie wertvoll eine objektspezifische Analyse von Buchpraktiken für weiterführende kultur-und wissensgeschichtliche Fragestellungen ist, zeigt Petra Feuerstein-Herz anhand der Annotatiunculae ad Tacitum von Herzog Rudolf August zu Braunschweig und Lüneburg (1627-1704) aus dem Jahr 1644, für die eine weitere Erforschung insbesondere im Kontext zeitgenössischer politischer Diskurse lohnend erscheint.
Der dritte Themenbereich verbindet Beiträge zum Komplex "Frauen und Herrschaft", den Merry E. Wiesner-Hanks mit einem globalen Überblick über den Forschungsstand zu weiblicher Herrschaft in der Frühen Neuzeit einleitet. Volker Bauer nimmt sich hier die Gattung der Hof- und Staatskalender des Alten Reiches vor, um anhand der Präsenz von Frauen in dem Medium ihren Stellenwert und Rang innerhalb der Fürstenherrschaft und -gesellschaft des 18. Jahrhunderts auszuloten. Ausgehend von der Prämisse, dass sich in den Hof- und Staatskalendern tatsächlich Herrschaftsverhältnisse abbildeten, verspricht eine systematische Bestandsaufnahme eine wichtige Grundlage für weitere Forschungen zum Themenbereich zu sein.
Frauen in Aufzeichnungs- und Erinnerungsmedien ist ein vierter Themenbereich, in dem Robert Kolb Leichenpredigten für bürgerliche und adlige Frauen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf typische Muster untersucht. Geschlechtsspezifische Unterschiede macht er dabei unter anderem hinsichtlich einer stärkeren Akzentuierung von Familienverbindungen und größeren Kontexten in Leichenpredigten für Frauen. Bisherige Ergebnisse auf dem Weg zu einer Online-Bibliographie frühneuzeitlicher Quellen zu Person und Leben Christinas von Schweden (1626-1689) legt Elisabeth Wåghäll Nivre vor, die so perspektivisch eine Lücke für die historische Forschung schließen wird.
Überzeugend geht Mara R. Wade im fünften Kapitel "Lektüre- und Schreibpraktiken von Frauen" der geschlechtsspezifischen Dimension von Buch- und Sammelpraktiken von Herrschaftsträgerinnen anhand der von Dorothea von Anhalt-Zerbst (1607-1634) als Stammbücher genutzten Emblembücher nach. Bei der Stiftung religiöser, dynastischer Identität und Memoria spielten diese auch im Zuge der Weitervererbung der Objekte eine zentrale Rolle. Anders als die im Zusammenhang männlicher Studienreisen entstandenen Stammbücher fungierten diese als Kommunikations- und Austauschmedien zwischen den Höfen. Das Zusammenspiel von höfischer Repräsentation und Memoria zeigt auch die Übernahme der mütterlichen Verlassenschaft durch Fürstin Christiane zu Waldeck-Pyrmonts (1725-1816) (Helga Meise).
Das letzte Kapitel "Weibliche Normen und Rollen" fasst Beiträge mit ganz unterschiedlichen Stoßrichtungen zusammen. Im Sinne der Fragestellung des Bandes aufschlussreich ist etwa Gabriele Balls Beitrag zu sozietären Handlungsspielräumen von adligen Frauen am Beispiel des Gesellschaftsbuchs der Fürstin Sophie von Anhalt-Köthen (1599-1654). Roswitha Jacobsen verdeutlicht überdies das Potential von Theater als Medium höfischer Kommunikation, indem sie die Aufführung des Singspiels "Die geraubte Proserpina" am Gothaer Hof 1683 historisch kontextualisiert.
Lassen sich zahlreiche Beiträge der Festschrift dezidiert an die leitende Perspektive des Bandes rückbinden, wären für die Kohärenz des Bandes wechselseitige Bezüge zwischen den einzelnen Beiträgen wünschenswert gewesen. Eine Konzeptualisierung hinsichtlich der Kategorien "Wissen" und "Sammeln" bleibt offen, wobei diese Entscheidung der Herausgeberinnen und des Herausgebers den Vorteil hat, die thematische Bandbreite der Beiträge besser fassen zu können.
Insgesamt gelingt es dem Band, das Forschungsfeld in Anknüpfung an Jill Beplers Arbeiten multiperspektivisch weiter zu konturieren und nicht zuletzt das große Potential für die Verbindung materieller Kulturforschung insbesondere mit wissensgeschichtlichen Fragestellungen weiter zu erschließen. Dass sich an diesen Fragen auch aus frauen- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive unbedingt weiter zu arbeiten lohnt, zeigt dieser Band einmal mehr.
Hendrikje Carius