Rezension über:

Randall Fowler: More than a Doctrine. The Eisenhower Era in the Middle East, Washington: Potomac Books 2018, XXXVI + 233 S., eine Kt., 2 Tbl., ISBN 978-1-61234-997-8, USD 34,95
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Rezension von:
Sophia Hoffmann
Leibniz-Zentrum Moderner Orient, Berlin
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Empfohlene Zitierweise:
Sophia Hoffmann: Rezension von: Randall Fowler: More than a Doctrine. The Eisenhower Era in the Middle East, Washington: Potomac Books 2018, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 3 [15.03.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/03/33322.html


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Randall Fowler: More than a Doctrine

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Der amerikanische Kommunikationswissenschaftler Randall Fowler liefert in seinem Buch More than a Doctrine eine Analyse der amerikanischen Nah-Ost-Politik der 1950er Jahre. Fowler tut dies anhand einer detaillierten Studie von Präsident Dwight Eisenhowers (1953-1961) öffentlicher Rhetorik, die auf dessen Darstellung der Nah-Ost-Region und ihrer Bedeutung für die USA fokussiert ist. Die rhetorische Darstellung des Nahen Ostens, so argumentiert Fowler, erfuhr unter Eisenhower eine entscheidende Wendung, die bis heute nachwirkt. Im Kern geht es in der Studie also um die Beziehung von Amerikas tatsächlichen, politischen Handlungen im Nahen Osten der 1950er Jahre und der Darstellung, Verschleierung und Rechtfertigung dieser Handlungen in den öffentlichen Reden und Auftritten des Präsidenten - welcher vom Autor häufig mit der geläufigen Abkürzung von Eisenhowers Vornamens als "Ike" bezeichnet wird.

Fowler entwickelt zwei Kernargumente, die in diesem gut strukturierten Buch immer wieder klar und deutlich vorgebracht werden: erstens, dass "Ike" in den frühen Jahren seiner Amtszeit darum bemüht war, Amerikas zunehmend interventionistische Nachkriegspolitik im Nahen Osten rhetorisch zu verschleiern: vor der amerikanischen Öffentlichkeit und vor Großbritannien, damals noch Großmacht in der arabischen Welt. Dieses Bemühen um Verschleierung spiegelte sich in Eisenhowers irreführender und verfälschender Rhetorik (englisch "rhetoric of misdirection and surreption", 80 ff.) wider, in der er die Rolle der USA im Nahen Osten öffentlich als neutral und ambitionslos darstellte, im politischen Hinterzimmer jedoch verschiedene Interventionen vorantrieb. Hierzu passte Eisenhowers Vorliebe für verdeckte Operationen z. B. im Iran ("Operation Ajax", die 1953 zum Sturz der gewählten iranischen Regierung führte) und Syrien ("Operation Straggle", ein für 1956 geplanter, letztendlich gescheiterter Regierungsumsturz oder "Operation Wappen", ein 1957 geplanter, ebenfalls gescheiterter Umsturzversuch).

Zweitens argumentiert Fowler, dass Eisenhowers Verschleierungstaktiken mit der Suezkrise (1956) ein jähes Ende fanden, denn im Suezkrieg zeigte sich Amerikas Überlegenheit gegenüber den ehemaligen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien in aller Deutlichkeit; auch Amerikas geostrategische Interessen in der Region waren nicht mehr zu verleugnen. Nach der Suezkrise änderte sich Eisenhowers Nah-Ost-Rhetorik radikal: von nun an stellte er Amerikas Schutzmachtrolle in den Vordergrund, sowie die Verantwortung der USA, im Nahen Osten für Frieden zu sorgen. In seiner zweiten Amtszeit betonte Eisenhower so immer stärker Amerikas Recht und Pflicht zur Intervention im Nahen Osten, sowohl auf Anfrage durch befreundete Regierungen als auch im Alleingang, sollte die Stabilität der Region bedroht sein. Diese neuartige Post-Suez-Rhetorik Eisenhowers setzte Fowler zufolge einen Grundtenor für Amerikas Nah-Ost-Politik im gesamten 20. Jahrhundert, dessen Einfluss sich in der Rhetorik aller nachfolgenden US-Präsidenten bis mindestens Barack Obama nachverfolgen lässt.

Fowlers kommunikationswissenschaftlicher Zugriff auf das (durchweg bekannte) historische und politische Material führt zu einigen interessanten Erkenntnissen. So unterstreicht seine Studie den - etwa 10 Jahre andauernden - historischen Moment, in dem der formale, europäische Kolonialismus im Nahen Osten von der neuen, post-kolonialen Macht der USA abgelöst wurde. Beide Herrschaftsformen zeichnet eine "Ethik der Intervention" (128) aus, aber Eisenhower stellt Amerikas Interventionsanspruch als grundlegend verschieden von dem der alten Kolonialmächte dar: kein abzulehnender, imperialistischer Ehrgeiz treibt Amerika an, sondern die Zurückdrängung des Kommunismus und der Schutz der freiheitsliebenden Völker in der arabischen Welt. Die große Bedeutung des Kalten Krieges für die regionale, nationale und internationale Politik der arabischen Republiken wird während der Lektüre des Buches überdeutlich. Nicht nur die Großmächte befeuerten die manichäische Weltsicht der Zeit, um ihre Interessen in der Region voranzutreiben, sondern auch Regionalmächte wie Ägypten oder Irak nutzten die Feindschaft der USA und UdSSR, um diese gegeneinander auszuspielen. Hinsichtlich der Rolle der Ideologie stellt Fowler eine interessante Parallele her zur Rhetorik des amerikanischen War on Terror nach dem 11. September 2001: Wiederum geht es seit "9/11" darum, dass die USA den Nahen Osten vor einer gefährlichen Ideologie beschützen. Nur handelt es sich jetzt um die Ideologie des politischen Islams, der sich zwar vom Schreckgespenst des Kommunismus inhaltlich gänzlich unterscheidet, aber rhetorisch und symbolisch die gleiche Reaktion in den USA auslöst.

Fowlers Studie verdeutlicht weitere Elemente einer andauernden, symbolischen Ordnung, welche die öffentliche Darstellung des Nahen Osten in den 1950er Jahren in der Gegenwart verbindet. Da ist zum einen die extreme Reduzierung einer politisch sehr heterogenen Region auf einen einzigen, vagen Terminus, the "Middle East", dessen Umrisse betont unklar bleiben. The "Middle East" erscheint in den Ansprachen Eisenhowers als eine flexibel einsetzbare Worthülse, die je nach Bedarf mit unterschiedlichen Bedeutungen und Symbolen verknüpft werden und so instrumentalisiert werden kann. So wird der Nahe Osten bis heute ständig mit extremen Problemen und Verwerfungen in Verbindung gebracht, die ohne externe Intervention unlösbar bleiben müssen. Weiterhin besteht die rhetorische diametrale Abgrenzung des Nahen Ostens vom "Westen", durch die der Eindruck erweckt wird, dass sich die Regionen durch eine fundamental andersartige Politik und Kultur unterscheiden. Beide Positionen blenden wichtige Fakten aus: Nicht zuletzt sind viele Probleme im Nahen Osten gerade durch externe Intervention entstanden und historisch haben sich Europa und West-Asien (wie der Nahe Osten geographisch korrekt benannt werden sollte) seit Jahrhunderten im engen Austausch miteinander, und nicht gegeneinander, entwickelt.

More than a Doctrine ist ein gut lesbares Buch, dass Leserinnen und Leser anhand einer interessanten Perspektive einen Überblick über Amerikas Nah-Ost-Politik auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs verschafft. Fowler beschönigt nichts: Eisenhower war ein zynischer Realpolitiker, der, ohne mit der Wimper zu zucken, blumige Rhetorik einsetzte, um die amerikanische Öffentlichkeit und den Kongress zu täuschen, um seine Vorstellungen von nationaler Sicherheit durchzusetzen und den Einfluss der UdSSR mit allen, auch undemokratischen Mitteln, zurückzudrängen. In Zeiten des derzeitigen US-Präsidenten Trump, der einerseits auf Twitter-Rhetorik setzt und andererseits den Nahen Osten immer noch ständig politisch "bedient", liefert More than a Doctrine viel Gedankenfutter für eine kritische Auseinandersetzung mit amerikanischer Politik und ihrem Zusammenhang mit dem Weltgeschehen.

Sophia Hoffmann