Rezension über:

Bernard Ingham: The Slow Downfall of Margaret Thatcher. The Diaries of Bernard Ingham, London: Biteback Publishing 2019, XVI + 360 S., 8 Farb-, 6 s/w-Abb., ISBN 978-1-78590-478-3, GBP 20,00
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Rezension von:
Gerhard Altmann
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Gerhard Altmann: Rezension von: Bernard Ingham: The Slow Downfall of Margaret Thatcher. The Diaries of Bernard Ingham, London: Biteback Publishing 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 3 [15.03.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/03/33576.html


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Bernard Ingham: The Slow Downfall of Margaret Thatcher

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Im Verfassungsgefüge Großbritanniens verläuft eine feine Trennlinie zwischen den Kompetenzen des Civil Service und dessen Verpflichtung zur politischen Neutralität. Dieses sorgsam austarierte, auf einen internen Wirkungskreis fixierte Ethos - "no combat, and no applause, and no reward" [1] - gerät nicht zuletzt dann unter Druck, wenn die strikte Bindung an das überparteiliche Gemeinwohl mit dem Interesse der Regierung an einer den Umfragewerten dienlichen Außendarstellung konfligiert. In der Ära Margaret Thatcher (1979-1990) verschärften sich etwaige Loyalitätskonflikte der Beamtenschaft, da sich die robusten Ansichten der streitbaren Premierministerin mit deren Tendenz zur Verachtung traditionsgeheiligter Instanzen wie eben des Civil Service paarten. Liest man Bernard Inghams Tagebuch über die letzten 24 Monate von Thatchers Amtszeit, drängt sich unweigerlich der Eindruck auf, die Premierministerin habe in dem vierschrötigen Yorkshireman einen Bruder im Geiste gefunden.

Aus einer der Labour-Partei verbundenen Familie stammend, gelang Ingham ohne Studium der Aufstieg im Journalismus, ehe er als Press Secretary Thatchers und, zusätzlich ab 1989, als Chef des Government Information Service die veröffentlichte Meinung nachhaltig zu beeinflussen suchte. Das vorliegende Buch kann als eine Art Versuchsballon begriffen werden, da Ingham im Vorwort ankündigt, womöglich auch die restlichen Notizen, die er seit 1983 angefertigt hatte, zu publizieren. Um es vorwegzunehmen: Sollte das Folgewerk in dieselbe Kerbe schlagen wie Inghams Abrechnung mit den Widersachern Thatchers, dann wäre er gut beraten, von diesem Ansinnen Abstand zu nehmen.

Ingham zeichnet wochenweise seine Arbeit mit den verschiedenen Pressekorps sowie die zusehends prekären Bemühungen der Regierung nach, sich trotz interner Verwerfungen gegen miserable Umfragewerte zu stemmen. Eine schier endlose Abfolge von Lunch- und Dinnerterminen, die Ingham ein ums andere Mal über seine Gesundheit räsonieren lässt, zeigt den Autor als gewieften Netzwerker im Mikrokosmos der Meinungsmacher Londons. Ironisch merkt er eingangs an, wie er Thatcher zunächst vom Wert seiner Arbeit überzeugen musste, da die Eiserne Lady Zeitungslektüre wohl als "waste of good reforming time" (XIV) geringzuschätzen schien. Ingham versuchte, sie obendrein davon abzuhalten, der linksliberalen Presse ohne Not provokative Äußerungen als gefundenes Fressen für negative Kommentare zu liefern. Thatchers "awkward relationship" (2) mit dem Außenamt überschattete insbesondere die beiden letzten Jahre. Die Rolle der Bundesrepublik und namentlich Hans-Dietrich Genschers im Konflikt der NATO über die Modernisierung der nuklearen Kurzstreckenraketen sieht Ingham als "indictment of proportional representation" (49), wobei ihm ohnehin, wie seiner Vorgesetzten, Deutschland stets fremd geblieben ist. Eng damit zusammen hängt das schwierige Verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft (EG). Ingham drängte Thatcher, sich einer positiveren Diktion zu befleißigen, zumal gewichtige Kabinettsmitglieder wie der von Ingham regelrecht verachtete Schatzkanzler Nigel Lawson den Beitritt zum Europäischen Wechselkursmechanismus verfochten. Der Spaltpilz Europa habe seinerzeit im Übrigen alle Parteien bedroht. Die Kabinettsumbildung im Juli 1989 zeigte jedoch vor allem die wenig komfortable Lage der Tories. Mit gespielter Unschuld verteidigt sich der für seine Indiskretionen berüchtigte Ingham gegen Vorwürfe, er habe den zum Vizepremier degradierten Geoffrey Howe schlechtgeredet, wo er doch keine Gelegenheit auslässt, Howe als "real villain of the piece" (90) zu brandmarken. Keinerlei Erquickung bringt im Oktober das Commonwealth-Treffen, bei dem Großbritannien wegen Thatchers laxer Haltung zu den Sanktionen gegen das Apartheidsregime in Südafrika am Pranger steht. Ingham sieht in der Konferenz "the false camaraderie at TUC conferences" (125) am Werk, was sich mit der Meinung der Premierministerin gedeckt haben dürfte, die der Konkursmasse des Empire insgesamt wenig Sympathien entgegenbrachte.

Mit dem Fall der Berliner Mauer wurde die britische Außenpolitik auf die Probe gestellt. Ingham betrachtete den britischen Ansatz, beruhigend zu wirken und die Demokratie in Osteuropa zu stärken, als einzig zielführend, zumal Thatcher schon länger den sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow beim Wort nehmen wollte. Helmut Kohl hingegen wirkte anmaßend auf Ingham, der den deutsch-französischen Beziehungen angesichts der geopolitischen Umbrüche keinerlei Zukunft prophezeite und föderalistischen Plänen für Europa eine Absage erteilte. Wie sehr das nahende Ende des Kalten Kriegs das britische Selbstverständnis berührte, zeigt auch die schnippische Bemerkung, "the wayward Americans" (156) müssten endlich begreifen, auf wen sie sich wirklich verlassen können - jedenfalls nicht auf die Deutschen. Neben diesen Entwicklungen beschäftigten Whitehall im politischen Tagesgeschäft freilich weiterhin auch die exorbitante Inflationsrate, Nachwahlen zum Unterhaus, die weithin verhasste Poll Tax und Fragen des Migrationsrechts für Menschen aus Hongkong nach der Übergabe an die Volksrepublik China.

Der Niedergang des Kommunismus fügte sich ins Weltbild Thatchers, die im Frühjahr 1990 "at the heart of forward movement" (192) in Europa gewesen sei, während sie im Vereinigten Königreich desaströse Zustimmungswerte erhielt. Dass die Premierministerin im Juli 1990 beim WM-Finale Argentinien die Daumen drückte, spricht Bände über ihr Deutschlandbild, weshalb es ihr auch schwergefallen ist, ihren Handelsminister Nicholas Ridley zu schassen, nachdem dieser die europäische Integration als Vehikel zur deutschen Dominanz geschmäht hatte. Unumwunden bekennt sich Ingham zu Ridleys Einschätzung, zumal er die Mitglieder der EG schlankweg als "biggest band of brigands masquerading as idealists" (304) charakterisiert.

Demgegenüber adelt er ohne jeden Anflug von Ironie den Thatcherismus zu einer Weltanschauung für Jahrhunderte. Vielleicht erklärt diese unumschränkte Bewunderung auch die vergleichsweise einsilbigen Versuche zur Erklärung des Sturzes Thatchers im Herbst 1990. His Mistress's Voice identifiziert Howe als den "real assassin" (321), analysiert dabei jedoch nicht die Faktoren, die Thatchers Haltung - neben der in Umfragen davoneilenden Labour-Opposition - zu diesem Zeitpunkt als Belastung für die britische Innen- wie Außenpolitik erscheinen ließen.

Weit von sich weist Ingham am Ende den Vorwurf seitens zahlreicher Pressevertreter, er sei der Ahnvater jener spin doctors gewesen, die unter Premierminister Tony Blair die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung in Verruf gebracht haben. Sein Blick auf die Ära Thatcher ist dabei geprägt von der durchaus plausiblen Deutung der 1970er Jahre als Dekade des Decline. Diese Meistererzählung fügt sich nahtlos in Inghams euroskeptische Haltung ein, welche die Integration Großbritanniens in die EG als Ausdruck einer Flucht vor der Verantwortung für die Rekonvaleszenz der heimischen Wirtschaft, mithin als bedauerlichen Irrweg kennzeichnet, der zu allem Überfluss in eine politische Union zu münden schien.

Ohne jegliche (selbst-)kritische Distanz zu den dramatischen Ereignissen am Ende der Zeit Thatchers in 10 Downing Street wartet Ingham mit keinerlei neuen, historiographisch ertragreichen Einsichten auf, sondern schildert ressentimentgeladen seine sehr persönliche Version eines zentralen Kapitels der britischen Nachkriegsgeschichte, das für ihn vorwiegend der Hautgout einer Verschwörung mittlerer Begabungen gegen die Premierministerin umweht. Allerdings verrät seine Position zu Deutschland und Europa eine Obsession, die sich bis in die Kampagne vor dem Brexit-Referendum bisweilen schrill bemerkbar machte. Die Mischung von hoher Politik und banaler Homestory (etwa in Bezug auf Inghams Bemühen um einen mäßigeren Alkoholkonsum) sind der Darstellung weiter abträglich. Allein die - freilich auch nicht innovative - Schilderung der kurzen Wege im politisch-medialen Biotop London veranschaulicht eindrücklich die überragende Bedeutung der britischen Hauptstadt für die politische Kultur des gesamten Landes.


Anmerkung:

[1] So eine bekannte Formulierung des Staatssekretärs im Kolonialamt Sir James Stephen aus dem Jahr 1854, zitiert in Dennis C. Grube: Megaphone Bureaucracy. Speaking Truth to Power in the Age of the New Normal, Princeton 2019, 59.

Gerhard Altmann