Rezension über:

Mark Häberlein / Thomas Müller-Bahlke / Hermann Wellenreuther (Hgg.): Hallesche Pastoren in Pennsylvania, 1743-1825. Eine kritische Quellenedition zu ihrer Amtstätigkeit in Nordamerika. Band 1: Diarien und Lebensläufe (= Hallesche Quellenpublikationen und Repertorien; Bd. 15/1), Wiesbaden: Harrassowitz 2019, XLVII + 581 S., 2 Kt., ISBN 978-3-447-11083-9, EUR 128,00
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Mark Häberlein / Thomas Müller-Bahlke / Hermann Wellenreuther (Hgg.): Hallesche Pastoren in Pennsylvania, 1743-1825. Eine kritische Quellenedition zu ihrer Amtstätigkeit in Nordamerika. Band 2: Diarien und Lebensläufe (= Hallesche Quellenpublikationen und Repertorien; Bd. 15/2), Wiesbaden: Harrassowitz 2019, XXXV + 536 S., 2 Kt., ISBN 978-3-447-11084-6, EUR 124,00
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Rezension von:
Thomas Dorfner
Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen
Redaktionelle Betreuung:
Susanne Lachenicht
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Dorfner: Hallesche Pastoren in Pennsylvania (Rezension), in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 9 [15.09.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/09/33875.html


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Hallesche Pastoren in Pennsylvania

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Der Aufbau des deutsch-lutherischen Kirchenwesens in Nordamerika galt lange Zeit primär als das Verdienst eines tatkräftigen Mannes: Heinrich Melchior Mühlenberg (1711-1787). Der seit 1742 in Philadelphia tätige Mühlenberg war der erste hallesche Pastor in Pennsylvania; sein Wirken wird sowohl von der deutschen als auch der amerikanischen Geschichtswissenschaft seit Jahrzehnten intensiv untersucht. [1] Sehr viel weniger Beachtung haben hingegen diejenigen 13 halleschen Pastoren erfahren, die zwischen 1745 und 1786 nach Pennsylvania entsandt wurden. [2] Mit der auf acht Bände angelegten Quellenedition schaffen Mark Häberlein, Thomas Müller-Bahlke und Hermann Wellenreuther nun jedoch eine hervorragende Grundlage für eine intensive Erforschung der Pastoren, die bis dato in Mühlenbergs langem Schatten standen. [3]

Die kritische Edition ist das Ergebnis eines von 2013 bis 2018 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekts. Sie wird insgesamt 694 Dokumente umfassen und ist nach Quellengattungen gegliedert: Die Bände 1 und 2, die in dieser Rezension im Fokus stehen, enthalten selbstverfasste Lebensläufe und Diarien von 12 der 13 Pastoren. In den Bänden 3 bis 6 werden vor allem Briefe der 13 nach Pennsylvania entsandten Pastoren ediert, wohingegen Band 7 Briefe enthalten wird, die Vorgesetzte bzw. Mitarbeiter in Halle und London an die Pastoren gesandt haben. Abgeschlossen wird die Edition mit Band 8, der einerseits fünf Gesamtregister, andererseits Biogramme derjenigen Personen umfassen wird, mit denen die halleschen Pastoren einen intensiven dienstlichen Austausch pflegten.

In Band 1 legt Wolfgang Splitter, der Leiter des Editionsprojekts, konzise die Editionsgrundsätze dar. Angesichts der dichten Überlieferung mussten er und die Herausgeber zunächst Kriterien für die Auswahl der zu edierenden Quellen schaffen: Schriftgut der 13 Pastoren, das "rein oder überwiegend privaten Inhalts" ist, wurde nicht ediert (XXIII). Auch auf die Edition der zahlreich überlieferten Spendenlisten, Rechnungen und Kostenaufstellungen wurde weitgehend verzichtet. Beide Entscheidungen sind gänzlich plausibel, gleichwohl ist es etwas bedauerlich, dass nur einige wenige Spendenlisten und Kostenaufstellungen veröffentlicht werden, zählen doch finanz- und wirtschaftshistorische Fragen zu den bis dato rudimentär erforschten Aspekten der Geschichte religiöser Bewegungen bzw. der Konfessionen.

Splitter und sein Team haben alle Quellen vollständig transkribiert und mit einem textkritischen Kommentar versehen. Die Wiedergabe der Schriftquellen erfolgt weitgehend, jedoch keineswegs vollständig diplomatisch getreu: Die Interpunktion wurde vorsichtig an moderne Lesegewohnheiten angepasst, die Zeilen- und Seitenumbrüche der Originale sind nicht vermerkt, etc. Potentieller Kritik an dieser Editionspraxis baut Splitter geschickt vor, indem er auf die sprachlichen Usancen der Pastoren verweist und damit Einblicke in die diffizile Editionstätigkeit gewährt: Die Diarien von Peter Brunnholtz (1716-1757) beispielsweise wären bei diplomatisch getreuer Wiedergabe kaum lesbar, da "Hauptsätze oft ohne Punkt oder Komma und ohne Großschreibung des Satzanfangs ineinander übergehen" (XXVII). Pastor Justus H. C. Helmuth (1745-1825) hingegen habe seitenweise keinerlei Absätze, dafür jedoch "Einschübe, Marginalien und Überschreibungen" eingefügt (XXVIII).

Die in den Bänden 1 und 2 edierten Selbstzeugnisse sind von außerordentlichem Wert für die historische Forschung. Dank der Edition ist es nun möglich, Selbstwahrnehmung und -darstellung der Pastoren fundiert zu analysieren. Mindestens ebenso gewinnbringend dürfte es sein zu beleuchten, wie die Pastoren ihre Umwelt rezipierten und deuteten: Wie nahmen sie beispielsweise andere religiöse Gruppierungen wahr, die in Pennsylvania sehr aktiv waren? Pastor Johann Friedrich Handschuch (1714-1764) hielt in seinem Diarium zahlreiche Begegnungen mit Mitgliedern der Herrnhuter Brüdergemeine fest, deren Wirken er teilweise als Gefahr für die lutherische Kirche erachtete ("Es scheinet, die Herrnhuter wollen uns irre machen und zerstreuen.", Bd. 1, 237). Last but not least kann auch die naheliegende Frage, wie sich die Pastoren während der Amerikanischen Revolution positionierten bzw. engagierten, genauer beantwortet werden. Das alte Narrativ der unpolitischen lutherischen Pastoren, an dem es seit geraumer Zeit Zweifel gibt, kann grundlegend hinterfragt und gegebenenfalls dekonstruiert werden. [4]

Nach der Lektüre von zwei der acht Bände kann bereits konstatiert werden, dass der große Aufwand an Zeit und Geld für das Editionsprojekt in jeder Hinsicht gerechtfertigt ist. Die Edition wird für Jahrzehnte eine unverzichtbare Grundlage für eine Vielzahl von historischen Studien darstellen. Es bleibt zu hoffen, dass alle Bände der Edition zeitnah erscheinen, da besonders das in Band 8 enthaltene Register mit Sachbetreffen für eine gute Benutzbarkeit unerlässlich ist.


Anmerkungen:

[1] Siehe beispielsweise die Publikationen der Herausgeber: Thomas J. Müller: Kirche zwischen zwei Welten. Die Obrigkeitsproblematik Heinrich Melchior Mühlenbergs und die Kirchengründungen der deutschen Lutheraner in Pennsylvania, Wiesbaden 1994; sowie Hermann Wellenreuther / Thomas Müller-Bahlke / A. Gregg Roeber (Hgg.): The Transatlantic World of Heinrich Melchior Mühlenberg in the Eighteenth Century, Halle (Saale) 2013.

[2] Wolfgang Flügel unternahm mit seiner 2019 publizierten Monografie einen wichtigen Schritt, um dieses Desiderat zu beheben. Wolfgang Flügel: Pastoren aus Halle und ihre Gemeinden in Pennsylvania 1742-1820. Deutsche Lutheraner zwischen Persistenz und Assimilation, Berlin 2019.

[3] Wie die gelungene Dissertation von Markus Berger zeigt, der als Mitarbeiter an der Quellenerschließung beteiligt war, hat das Editionsvorhaben bereits zu Qualifikationsarbeiten inspiriert: Markus Berger: "Das Band der Einigkeit zu erhalten". Johann Christoph Kunze und die zweite Generation hallischer Pastoren in Nordamerika, 1770-1807, Halle (Saale) 2019.

[4] "The German Lutheran clergy in Pennsylvania meddled with politics more often than has previously been acknowledged." Wolfgang Splitter: Pastors, People, Politics. German Lutherans in Pennsylvania, 1740-1790, Trier 1998, 320.

Thomas Dorfner