Rezension über:

Axel G. Weber: Der Childebert-Ring und andere frühmittelalterliche Siegelringe (= Studien zu Spätantike und Frühmittelalter; 7), Vollständig überarbeitete und erweiterte Neuauflage, Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2014, X + 267 S., ISBN 978-3-8300-7702-2, EUR 39,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Roland Prien
Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Ute Verstegen
Empfohlene Zitierweise:
Roland Prien: Rezension von: Axel G. Weber: Der Childebert-Ring und andere frühmittelalterliche Siegelringe, Vollständig überarbeitete und erweiterte Neuauflage, Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2014, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 9 [15.09.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/09/34817.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Axel G. Weber: Der Childebert-Ring und andere frühmittelalterliche Siegelringe

Textgröße: A A A

Untersuchungen von frühmittelalterlichen Siegelringen gehören weitestgehend zu den Desideraten der Frühgesichtsforschung, was nicht zuletzt der geringen Zahl der überlieferten Stücke geschuldet ist. Eine "Neuentdeckung" eines solches Ringes kann somit durchaus als sensationell bezeichnet werden, insbesondere, wenn sich dieser einer bestimmten, historisch überlieferten Persönlichkeit zuweisen lässt. Das prominenteste Beispiel hierfür stellt der Siegelring des fränkischen Königs Childerich I. dar, dessen Auffindung 1653 maßgeblich zur Identifizierung seiner Grablege in Tournai beitrug. Leider ist dieser Ring jedoch nur in Kopie erhalten, denn das Original wurde im 19. Jahrhundert zerstört. In der vorliegenden Untersuchung unternimmt der Autor Axel Weber den Versuch, die Authentizität eines weiteren königlichen Siegelringes aus dem Merowingerzeit zu belegen.

Bei dem untersuchten Stück handelt es sich um einen massivgoldenen Siegelring mit einem Gewicht, das etwa dem von neun Solidi entspricht. Das Bildnis zeigt einen langhaarigen Mann in Rüstung, ausgestattet mit Schild und Lanze. Die umlaufende Inschrift +HILDEB/ERTIREGIS bezieht der Autor auf einen der vier bekannten merowingischen Könige mit dem Namen Childebert. Die Provenienz des Rings ist ungeklärt. Als möglichen Anhaltspunkt zitiert der Autor den jetzigen Eigentümer, dem zufolge ein Vorbesitzer, der das Stück zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwarb, angab, es stamme aus der Umgebung von Metz.

Die Untersuchung gliedert sich grob in fünf Bereiche: Zunächst setzt sich der Autor mit der technischen Beschaffenheit des Rings und der Siegelumschrift auseinander, gefolgt von einer ausführlicheren Betrachtung der dargestellten Einzelheiten des Siegelbildes, zu deren Einordnung unterschiedliche ikonografische Vergleiche herangezogen werden. Der Hauptteil des Werkes umfasst den Vergleich des vorliegenden Stückes mit anderen frühgeschichtlichen Siegelringen, wobei der zeitliche Rahmen - nicht zuletzt aufgrund der wenigen bekannten Vergleichsstücke - weit gespannt ist: Es werden sowohl mögliche spätantike Vorbilder wie auch jüngere Ringe des 6. und 7. Jahrhunderts herangezogen. Es folgt ein kurzer Beitrag zur Namensform auf dem Siegelring aus der Feder von Wolfgang Haubrichs. Im abschließenden Teil diskutiert der Autor die konkrete Zuweisung des Ringes an einen der bekannten merowingischen Könige, wobei er sich dabei auf Childebert II. (575-596) festlegt. Im Anhang finden sich drei Analyseberichte zu vorgenommenen Echtheitsnachweisen (einmal zur chemischen Zusammensetzung des Rings und zweimal zu der Uran/Thorium-Helium-Datierungsmethode), deren Ergebnisse der Autor dahingehend interpretiert, dass das Stück ein authentisches Objekt der Merowingerzeit sei.

Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um eine geringfügig überarbeitete Version des 2007 im Selbstverlag erschienenen Buches mit gleichem Titel. Bereits im Vorwort lässt der Autor erkennen, dass er von der Authentizität des Siegelringes überzeugt ist. Seine folgende Untersuchung stellt dann auch mehr den Versuch dar, diese Annahme zu belegen. Argumente pro und contra Echtheit werden einander nicht gegenübergestellt. Der Autor widmet sich mit großer Sorgfalt seiner Untersuchung, was jedoch dazu führt, dass er sich häufig in Details verliert, die weg von der eigentlichen Argumentation führen. Besonders zum Tragen kommt dies im Bereich der ikonografischen Betrachtung, in dem nicht nur Elemente wie Rüstung und Speer nur dem Erscheinungsbild nach verglichen, sondern auch deren mögliche symbolische Bedeutungen diskutiert werden. Dieser Exkurs hat mit der eigentlichen Untersuchung des Siegelringes und der Frage nach seiner Datierung nur wenig zu tun; andererseits bleibt die Auseinandersetzung mit diesem durchaus lohnenswerten Diskurs aufgrund seiner Kürze leider oberflächlich.

Ganz anders stellt sich das eigentliche Herzstück der Untersuchung - der Vergleich mit anderen spätantiken und frühmittelalterlichen Siegelringen - dar: Bereits die Besprechung des Siegelbildnisses Theodosius' II. und seine Vorbildfunktion für die spätere Gestaltung solcher Darstellungen überzeugt. Auch das folgende Kompendium der bekannten merowingischen und langobardischen Siegel- und Namensringe muss als echter Mehrwert der Untersuchung gewürdigt werden. Leider muss der Autor aber zu dem Schluss kommen, dass diese Ringe nur wenige Bezüge zu dem hier untersuchten Stück haben. Es bleibt die Schlussfolgerung, dass ikonografisch - auch bei allen Unterschieden der Darstellungen - der Childerich-Siegelring aus Tournai dem untersuchten Stück am nächsten kommt.

Bei der hier vom Autor sorgfältig herausgearbeiteten Einzigartigkeit des möglichen Childebert-Ringes überrascht die Vehemenz, mit der er sich für eine Zuweisung des Stückes an Childebert II. ausspricht. Wie seine vorangegangenen Argumentationen zeigen, wäre Childebert I. als ursprünglicher Auftraggeber und Besitzer durchaus ebenfalls plausibel. Besonders der Umstand, dass der jung verstorbene Childebert II. aufgrund seiner Minderjährigkeit bei Herrschaftsantritt viele Jahre nur nominell regierte, lässt Zweifel aufkommen, ob dieser einen solchen Siegelring in Auftrag gab oder zumindest besaß. An dieser Stelle wird jedoch deutlich, wie wenig über die eigentliche Herrschaftspraxis der Merowingerkönige bekannt ist. Für die Zuweisung des Autors ist letztlich der vage Hinweis, der Ring stamme aus Metz, ausschlaggebend, denn dort herrschte nur Childerich II., während sein früherer Namensvetter in Paris residierte. Axel Weber stellt zu Recht fest, dass der Childebert-Ring nicht aus einer königlichen Bestattung stammen kann, wie sein diesbezüglicher, leider sehr kurz gehaltene Exkurs zeigt. Notgedrungen vermutet er, dass das Stück als Teil eines (Kirchen-)Schatzes die Zeiten überdauerte, auch wenn dieser nirgends in den nachfolgenden Jahrhunderten aktenkundig wurde.

Die nicht belegbare Provenienz des Siegelringes führt zurück zu Ausgangsfrage der Untersuchung nach der Echtheit des Stückes. Diese ist im Gegensatz zur Meinung des Autors mit den naturwissenschaftlichen Untersuchungen, die zum dem Schluss kommen, dass das Gold des Ringes vor über tausend Jahren geschmolzen wurde, keineswegs zweifelsfrei erwiesen. So kann etwa das Siegelbildnis selbst durchaus ein Produkt späterer Nachbearbeitungen sein. An dieser Stelle fällt nochmals ins Auge, dass das Vergleichsstück mit der größten Ähnlichkeit der Childerich-Ring ist, der seit über vierhundert Jahren bekannt ist. Er könnte ebenso einem Goldschmied des 6. Jahrhunderts wie auch einem späteren Fälscher als Vorbild gedient haben.

Abschließend betrachtet hinterlässt die vorliegende Untersuchung einen zwiespältigen Eindruck. Sie stellt einen wichtigen Beitrag zur Erforschung frühmittelalterlicher Siegel- und Namensringe dar. Das selbstgesetzte Ziel, das untersuchte Stück als authentischen Siegelring des merowingischen Königs Childerich II. plausibel zu machen, verfehlt der Autor jedoch.

Roland Prien