Günter Aumann: Antoninus Pius. Der vergessene Kaiser, Wiesbaden: Reichert Verlag 2019, 154 S., 5 Kt., zahlr. Abb., ISBN 978-3-95490-393-1, EUR 19,90
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Dem skandalfreien 'Langweiler' auf dem römischen Kaisertum, Antoninus Pius, wurde zuletzt von ganz unterschiedlicher Seite Aufmerksamkeit geschenkt, was angesichts des meist stiefmütterlichen Daseins in Überblicksdarstellungen grundsätzlich erfreulich ist.
Christoph Michels hat bekanntlich, unbemerkt vom gelernten Mathematiker Günter Aumann, einen Sammelband und vor allem seine Habilitationsschrift diesem Kaiser gewidmet. [1] Aumann, dessen Interesse an der antiken Numismatik und Antoninus Pius laut Autoreninfo auf der Webseite des Verlages bereits "1972 durch den Erwerb eines Denars des Antoninus Pius" [2] geweckt wurde, hat sein Manuskript aber grundsätzlich an Laien gerichtet und sich mehr an der Person des Kaisers orientiert. Daher zielen beide Autoren tatsächlich auf ein unterschiedliches Publikum; ob sich die Hoffnung Aumanns erfüllt, dass "sich die Blicke, die beide Publikationen auf den Kaiser Antoninus Pius werfen, zu einem größeren Panorama" (9) ergänzen, sei dahingestellt.
In einer Art Einführung ("Das Imperium Romanum im Jahr 138") führt Aumann listenartig die wichtigsten Quellen auf, um dann knapp auf Größe des Reiches und seine Verwaltung einzugehen. In diesem Abschnitt (und in der Folge dann nur noch vereinzelt) erscheinen sogenannte "Infoboxen", in denen Begriffe für den althistorischen Laien erklärt werden.
Aumann lässt das Leben des Antoninus Pius zunächst klassisch biographisch vor den Augen des Lesers ablaufen. Der Autor steht hier vor einem grundsätzlichen Problem der Alten Geschichte: Selbst bei so herausragenden Persönlichkeiten wie einem Kaiser sind die Informationen über Kindheit und Jugend meist spärlich. Um diese Lücken aufzufüllen, werden dann gerne allgemeine Informationen z.B. zum Geburtsort präsentiert. An solchen Stellen und auch im weiteren Verlauf kann Aumann nicht widerstehen, sein breit angelesenes Wissen zu präsentieren und den Laien mit wenig zielführenden (selbst der Verres-Prozess wird eingebaut, 74) oder ohne Vorwissen schwierig einzuordnenden Informationen zu überfrachten. Dies steht im Gegensatz zu den bereits erwähnten Infoboxen. Auch manche Inschriften im lateinischen Original ohne Übersetzung (teilweise paraphrasiert) und ohne Auflösung der Abkürzungen sind für Laien nur schwer nachvollziehbar (34, 63, 78, 101).
Die Nachfolgeregelungen von Antoninus' Vorgänger Hadrian sind schwer zu interpretieren. Aumann erklärt die in der Forschung sehr umstrittene Wahl des Ceionius Commodus als Nachfolgekandidat Hadrians im Jahr 136 ganz pragmatisch: Antoninus Pius sei aufgrund seiner Statthalterschaft schlicht "nicht greifbar" (37) gewesen. Allerdings hatte Trajan seinerzeit seine Adoption und damit seinen Nachfolgeanspruch in der Provinz Germania superior übermittelt bekommen. Im Jahr 138 sei Antoninus dann ausgewählt worden, um als Platzhalter für den späteren Kaiser Marc Aurel zu fungieren.
Im Kapitel "Der Kaiser und sein Umfeld" betrachtet Aumann zunächst den Charakter des Kaisers selbst. Quellen lässt Aumann häufig zu Wort kommen, allerdings finden sich im Buch doch einige Quellenauszüge, die einer Interpretation bedurft hätten, und manches ist zudem anekdotenhaft (z.B. 67f.). Teilweise kommt Aumann, wie das schon antike Autoren und auch modernen Forschern angesichts der zahlreichen beteiligten Personen mit oft sehr ähnlichen Namen passiert ist, durcheinander: Eine zitierte Stelle von Aurelius Victor (56) bezieht sich nicht auf Antoninus und seine Gemahlin Faustina maior, sondern auf Marc Aurel und Faustina minor. Neben den Frauen werden die Adoptivsöhne Marcus und Lucius und deren Erzieher Fronto vorgestellt.
Unter der Überschrift "Pater patriae" referiert Aumann über Antoninus' Verhältnis zum Senat und zur Verwaltungselite, das nach der belasteten Zeit unter Hadrian auf eine neue Basis gehoben wurde. Hierzu gehörte auch die Betonung der Bedeutung des Stammlandes Italia. Während Aumann für die Rolle des Antoninus als Bauherr teils tief graben muss, stehen die finanzielle Förderung für Mädchen im Namen seiner verstorbenen Ehefrau in einer Stiftungstradition, die seit der Jahrhundertwende entstanden war.
Ein zu Recht umfangreiches Kapitel widmet Aumann den außenpolitisch-militärischen Maßnahmen und Aktionen, denn der 'offiziell' friedliebende und - im Gegensatz zu Hadrian - Italien während seiner Herrschaftszeit nicht verlassende Kaiser ließ über Vertraute anstehende Aufgaben erledigen. Es spiegelt die veränderte Meinung der Forschung wider, dass das folgende Kapitel ("Der Kümmelspalter?") zu den rechtlichen und gesetzgeberischen Tätigkeiten des Kaisers kürzer als das zum Außenpolitisch-Militärischen ist. Das Ende und Nachleben des Kaisers wird in dem kurzen Kapitel "Gleichmut" beleuchtet.
Die hier teilweise vorgetragene Kritik soll den Verdienst Aumanns nicht grundsätzlich schmälern. Das Buch ist insgesamt eine gelungene und ansprechende Darstellung für den historisch Interessierten. Und sollten einige Schlussfolgerungen Aumanns, die zwar nicht neu sind, die er aber, wenn seine (thematisch keineswegs üppige, teilweise sehr allgemeine) Literaturliste nicht gekürzt ist, nicht aus der Forschungsliteratur gewonnen haben kann, tatsächlich selbst erarbeitet sein, [3] verdient das Respekt. Allerdings führt das Buch vor Augen, dass nicht jeder historisch Interessierte das Arbeiten als HistorikerIn umfassend beherrscht. Daher wird das Buch in der wissenschaftlichen Gemeinde wenig Resonanz finden. Und der bzw. die geneigte Laie bzw. Laiin wird sich vielleicht von vornherein eher einem vermeintlich spektakuläreren Kaiser des 2. Jahrhunderts zuwenden.
Anmerkungen:
[1] Aumann hat nach eigenen Angaben die Habilitationsschrift noch zur Kontrolle herangezogen. Darüber hätte er aber auch auf den Sammelband von Volker Grieb (Marc Aurel: Wege zu seiner Herrschaft. Gutenberg 2017) stoßen können, in dem Beiträge zu vielen von ihm behandelten Aspekten versammelt sind.
[2] https://reichert-verlag.de/schlagworte/mark_aurel_schlagwort/9783954903931_antoninus_pius-detail (Aufrufdatum: 06.10.2020).
[3] Die Anmerkungen beschränken sich überwiegend auf die Belege in den Quellen, auf die Forschung wird nur vereinzelt hingewiesen.
Stefan Priwitzer-Greiner