Hsieh Bao Hua: Concubinage and Servitude in Late Imperial China, Lanham, MD: Lexington Books 2014, XXXI + 363 S., ISBN 978-0-7391-4514-2, USD 132,00
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Jeff Fynn-Paul / Damian Alan Pargas (eds.): Slaving Zones. Cultural Identities, Ideologies, and Institutions in the Evolution of Global Slavery, Leiden / Boston: Brill 2018
Felix Brahm / Eve Rosenhaft (eds.): Slavery Hinterland. Transatlantic Slavery and Continental Europe, 1680-1850, Woodbridge: Boydell Press 2016
Mario Klarer (Hg.): Verschleppt, Verkauft, Versklavt. Deutschsprachige Sklavenberichte aus Nordafrika (1550-1800). Edition und Kommentar, Wien: Böhlau 2019
Monique Dondin-Payre / Nicolas Tran: Esclaves et maîtres dans le monde romain. Expressions épigraphiues de leurs relations, Rom: École française de Rome 2017
Noel E. Lenski / Catherine M. Cameron (eds.): What Is a Slave Society? The Practice of Slavery in Global Perspective, Cambridge: Cambridge University Press 2018
Das sogenannte "Problem der Sklaverei in China" [1] ergibt sich letztlich daraus, dass die sinologische Forschung mehrheitlich seit bald einem Jahrhundert eine Vielzahl von verschiedenen Formen der Abhängigkeit unter dem Oberbegriff der Sklaverei fasst, ohne zu berücksichtigen, dass es im vormodernen China weder diesen Begriff in seinem engeren rechtlichen Sinne, wie ihn bereits die römischen Juristen geprägt haben, noch die diesem zugrundeliegenden bzw. mit ihm verknüpften Begriffe des Eigentums, der Freiheit bzw. der Unfreiheit gegeben hat. [2] Wenn man also Sklaverei wie jüngst noch Noel E. Lenski als "the enduring, violent domination of natally alienated and inherently dishonored individuals (slaves) that are controlled by owners (masters) who are permitted in their social contexts to use and enjoy, sell and exchange, and abuse and destroy them as property" definiert [3], dann muss man zugleich ausschließen, dass es eine solche Form der starken asymmetrischen Abhängigkeit in China gegeben haben kann. Im Hinblick auf den inter- und transkulturellen Vergleich wäre es daher ratsam, vom Modell einer Skala mit einer ganzen Reihe von verschiedenen Graden der Abhängigkeit auszugehen - von Sklaverei im oben beschriebenen Sinne am einen Ende der Skala bis zur Freiheit (z.B. im Sinne von Florentinus' libertas, siehe D. 1.5.4 [Florentinus 9 inst.]) am anderen Ende - und diese verschiedenen Grade von Abhängigkeit nicht mehr in toto mit dem Etikett der Sklaverei zu versehen, sondern zu differenzieren und zum Beispiel im mittleren Spektrum von verschiedenen Formen von forced labour zu sprechen.
Im Hinblick auf diese Problemstellung ist die 2014 erschienene, aber bislang wenig beachtete Studie von Hsieh Bao Hua prinzipiell zu begrüßen [4], denn die Autorin verzichtet in dieser umfangreichen Untersuchung von Formen von Konkubinat und Knechtschaft in den Dynastien der Ming (1368-1644) und Qing (1644-1911) auf den Begriff der Sklaverei. Stattdessen spricht sie vor allem von verschiedenen Formen von "servile labor" bzw. "servile bondage" und bezeichnet den Handel mit in diesem Sinne abhängigen Arbeitern als "human trafficking", aus welch letzterer Bezeichnung - Lucille Chia hat in ihrer oben erwähnten Rezension dieses Buches von 2016 schon darauf hingewiesen - sich freilich neue terminologische Probleme im Hinblick auf Denotation und Konnotation eines ideologisch aufgeladenen Schlagwortes ergeben.
Mit diesem also eigentlich lobenswerten Ansatz von Hua sind allerdings noch weitere, wesentlich gravierendere Schwierigkeiten verbunden, die auch mit der Vorgehensweise der Autorin zusammenhängen. Denn im Ergebnis gewinnt sie nicht, was man sich eigentlich von der Lektüre versprochen hätte, nämlich einen differenzierten Überblick über die verschiedenen Grade der Abhängigkeit, insbesondere von Frauen, in der Gesellschaft der späten chinesischen Kaiserzeit. Stattdessen konfrontiert - und überfordert - Hua insbesondere sinologisch nicht vorgebildete Leser mit einer Vielzahl von Termini für abhängige Frauen, Männer und Eunuchen, die sie allzu häufig nicht erklärt, geschweige denn definiert, und in manchen Fällen nicht einmal übersetzt. Einige dieser Ausdrücke - insbesondere die Termini für Konkubinen -, werden in vier Anhängen (317-326) aufgelistet und dort immerhin übersetzt, aber auch hier fragt man sich, zu welchem Zweck, denn niemandem ist mit dürren, unkommentierten Lehnübersetzungen wie "Complaisant Consort" (für shun fei) oder "Pearl Lady" (für zhen pin) geholfen.
Die Wurzel dieses Übels liegt meines Erachtens darin, dass es der Autorin nicht gelungen ist, ihren Untersuchungsgegenstand hinreichend einzugrenzen. Sie hätte sich zum Beispiel auf einen Vergleich des Konkubinats der Ming-Dynastie mit demjenigen der Qing-Dynastie beschränken und sich auf amtliche Dokumente und Rechtsquellen konzentrieren können. Stattdessen versucht sie, ein viel zu weites Feld zu erschließen: "In the long course of late imperial China, servants and concubines formed a vast social stratum in the hinterland along the Grand Canal, particularly in urban areas. This book is a survey of the institutions and practice of concubinage and servitude in both the general populace and the imperial palace with an attempt to examine Ming-Qing political and socioeconomic history through the lives of this particular group of distinct yet associated individuals. The time span of this study extends from the sixteenth to the nineteenth centuries in the era when society and government remained mostly undisturbed by Western influence. Despite the impending political storm of the dynastic transition, the overall cultural and socioeconomic continuity of this period provides a convenient framework for discussion." (xviii)
Zunächst einmal haben Knechte und Konkubinen keineswegs eine homogene soziale Schicht gebildet. Im Gegenteil fragt man sich, was die Autorin auf die Idee gebracht haben könnte, sie in einer Kategorie zusammenzufassen, die sie einerseits im Hinterland, andererseits aber gerade auch in städtischen Agglomerationen verortet. Zudem geht es ihr nicht nur um die Abhängigkeitsverhältnisse am Kaiserhof, sondern in der Gesamtbevölkerung des späten chinesischen Kaiserreiches. Schließlich möchte sie diese Verhältnisse über zwei Dynastien - anders gesprochen: den Zeitraum von gut einem halben Jahrtausend! - hinweg untersuchen, einen Zeitraum, von dem sie zudem behauptet, er sei kaum von westlichen Einflüssen, wohl aber von einem hohen Maß an kultureller und sozioökonomischer Kontinuität geprägt gewesen. Wie man weiß, war seit dem Beginn der Jesuitenmission Ende des 16. Jahrhunderts das genaue Gegenteil der Fall: China wurde zunächst einer mandschurischen Fremdherrschaft unterworfen, sodann zum Teil der sogenannten Weltgesellschaft [5] und durchlief eine krisenhafte, von zahlreichen Umbrüchen geprägte Entwicklung bis zum Untergang des Kaiserreich 1911 und darüber hinaus.
Wie kann es zu so gravierenden Fehleinschätzungen kommen? Vermutlich liegt es daran, dass dieser Studie neben der Dissertation der Autorin einige ihrer früheren Aufsätze zugrundeliegen, die das Rohmaterial für einzelne Kapitel der hier rezensierten Monographie abgegeben zu haben scheinen. [6] Dies erklärt neben den strukturellen Problemen des Buches - die einzelnen Kapitel bauen zum Teil nicht sehr stringent aufeinander auf -, auch die völlig unrealistische Erwartung, die Komplexe von Konkubinat und Knechtschaft über zwei Dynastien hinweg bei Hofe und in der Peripherie auf der Quellengrundlage von Verwaltungsdokumenten als auch von Erzählliteratur und Lyrik erschließen zu können. Bei diesem Parforceritt ist leider einiges auf der Strecke geblieben, so auch insbesondere die Forschungsergebnisse europäischer Fachkollegen, darunter zum Beispiel die Arbeiten von Claude Chevaleyre, von denen hier stellvertretend der Aufsatz "Acting as Master and Bondservant. Considerations on Status, Identites, and the Nature of 'Bondservitude' in Late Ming China" genannt sei. [7]
In Anbetracht dieser Monita ist dieses Buch nur für die sinologische Fachwelt zu empfehlen, die in der bunten Vielzahl der hier zusammengetragenen Quellen und Einsichten sicherlich das eine oder andere Interessante finden wird. Im Hinblick auf die eingangs aufgeworfene Problem- und Fragestellung - welche Grade der Abhängigkeit lassen sich im mittleren Spektrum von verschiedenen Formen von forced labour in der späten chinesischen Kaiserzeit identifizieren? - muss man konstatieren, dass einmal mehr eine Chance vergeben worden ist. Lobend bleibt immerhin festzuhalten, dass Hua die Vielfalt dieser Formen nicht auf Sklaverei reduziert hat.
Anmerkungen:
[1] Siehe Eduard Erkes (1891-1958): Das Problem der Sklaverei in China (Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse; Band 100, Heft 1), Berlin: Akademie-Verlag 1952. Ich beziehe mich auf dieses Werk nur wegen seines programmatischen Titels und seiner wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung - inhaltlich ist es in jeder Hinsicht überholt.
[2] Die meines Wissens erste Studie zur "Sklaverei in China" ist die Bonner Dissertation von Anton Pippon: Beitrag zum chinesischen Sklavensystem nebst einer Übersetzung des "Chung kuo nu pei chih tu" (das Sklavensystem Chinas) von Wang Shih Chieh (Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde vorgelegt der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn), Tokio: ohne Verlag 1936. Es folgten unter anderen - ich nenne nur die aus meiner Sicht wirkmächtigsten Arbeiten - Eduard Erkes: Ursprung und Bedeutung der Sklaverei in China, in: Artibus Asiae 6 (1937), 294-308; die bis heute einflussreiche Studie von Clarence Martin Wilbur: Slavery in China during the Former Han Dynasty (Publications of the Field Museum of Natural History: Anthropological Series; 34), Chicago: ohne Verlag 1943; die oben in Anmerkung 1 bereits angeführte Schrift von Eduard Erkes aus dem Jahre 1952; Edwin G. Pulleyblank: The Origins and Nature of Chattel Slavery in China, in: Journal of the Economic and Social History of the Orient 1.2 (1958), 185-220; Robin D.S. Yates: Slavery in Early China: A Socio-Cultural Approach, in: Journal of East Asian Archaeology 3.1 (2001), 283-331; Angela Schottenhammer: Slaves and Forms of Slavery in Late Imperial China (Seventeenth to Early Twentieth Centuries), in: Slavery & Abolition (2003) 24.2, 143-154; sowie Robin D.S. Yates: The Changing Status of Slaves in the Qin-Han Transition, in: Yuri Pines / Lothar von Falkenhausen / Gideon Shelach / Robin D.S. Yates (eds.): Birth of an Empire: The State of Qin Revisited, Berkeley: University of California Press 2014, 206-223. Zu weiteren Arbeiten siehe - freilich aus entgegengesetzter Perspektive - den rezenten Überblick von Michael Zeuske: Versklavte und Sklavereien in der Geschichte Chinas aus global-historischer Sicht. Perspektiven und Probleme, in: Dhau. Jahrbuch für außereuropäische Geschichte 2 (2017), 25-51.
[3] Siehe Noel E. Lenski: Framing the Question: What Is a Slave Society?, in: Noel E. Lenski / Catherine M. Cameron (eds.): What Is a Slave Society? The Practice of Slavery in Global Perspective, Cambridge: Cambridge University Press 2018, 15-60, hier 51.
[4] Soweit ich sehe, gibt es bislang nur eine, allerdings sehr kritische, Rezension von Lucille Chia: Hsieh Bao Hua: Concubinage and Servitude in Late Imperial China, in: Nan Nü 18 (2016), 171-176.
[5] Siehe Jürgen Osterhammel: China und die Weltgesellschaft: Vom 18. Jahrhundert bis in unsere Zeit, München: C.H. Beck Verlag 1989.
[6] Vergleiche unter anderen Shieh Bau Hwa [d.i. Hsieh Bao Hua]: Concubines in Chinese Society from the Fourteenth to the Seventeenth Centuries (Ph.D. diss. University of Illinois, Urbana-Champaign), 1992; Hsieh Bao Hua, From Charwoman to Empress Dowager: Serving-Women in the Ming Palace, in: Ming Studies 42 (1999), 26-80; dies.: Empress' Grove: Ritual and Life in the Ming Palace, in: Jindai Zhongguo funü shi yanjiu 11 (2003), 99-187; sowie dies.: The Market in Concubines in Jiangnan during Ming-Qing China, in: Journal of Family History 33.3 (2008), 262-290.
[7] In: Alessandro Stanziani (ed.): Labour, Coercion and Economic Growth in Eurasia, 17th-20th Centuries, Leiden: Brill 2013, 237-272.
Christian Schwermann