Nitin Varma: Coolies of Capitalism. Assam Tea and the Making of Coolie Labour (= Work in Global and Historical Perspective; Vol. 2), Berlin: De Gruyter 2017, VIII + 242 S., ISBN 978-3-11-046115-2, EUR 69,95
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Neben Kaffee, Zucker, Baumwolle, Kakao und Tabak war auch Tee ein zentrales Produkt, das von Sklaven oder Menschen in starken asymmetrischen Abhängigkeitsverhältnissen im Rahmen des europäischen Kolonialhandels hergestellt wurde. Nitin Varma hat nun eine sehr interessante Studie zu den Verhältnissen der als "Kulis (coolies)" bezeichneten Arbeiter*innen auf den britischen Plantagen in Assam vorgelegt. Dabei handelt es sich um eine überarbeitete Fassung seiner Dissertation, auf deren Grundlage er 2011 an der Humboldt Universität promoviert worden ist. Es geht ihm darum, neben der Anwerbung, der Ansiedlung und den Arbeitsbedingungen auch die Wahrnehmung und den Widerstand von Kulis in der Zeit von 1830 und 1920 zu untersuchen. Die steigende Nachfrage nach Tee sowie ein ungünstiger Teehandel mit China zwangen Großbritannien zu Beginn des 19. Jahrhunderts dazu, sich nach Alternativen umzusehen. Die Entdeckung von Teepflanzen in der indischen Provinz Assam in den 1830er Jahren bot die perfekte Gelegenheit, sich nach Südasien zu orientieren. (Kapitel 1 "Tea in the Colony", 15-42). Zunächst ließ man chinesische Teemeister aus China holen, sowohl um die ersten Plantagen zu errichten als auch um indische Arbeitskräfte und das Verwaltungspersonal zu schulen. Allerdings erwiesen sich die Einheimischen als sehr unzuverlässig. Die Lösung dieser Herausforderung bestand darin, Menschen aus denjenigen indischen Regionen zu importieren, in denen es einen Überschuss an Arbeiter*innen gab. Beauftragte der Plantagenverwalter zogen daraufhin durch Dörfer und Siedlungen, um landlose Bauern nach Assam zu locken. Die angeworbenen oder durch Zwang rekrutierten Arbeitskräfte wurden dann zu Fuß, mit der Eisenbahn oder mit Dampfschiffen über Kalkutta auf die Plantagen verfrachtet, wo man sie unter Vertrag nahm. Die Reise war in der Regel sehr qualvoll. Aufgrund von Unterernährung und mangelnder Hygiene lag die Sterblichkeitsrate während des Transportes bisweilen bei 35 Prozent.
In den 1863 und 1865 erlassenen Gesetzten formalisierte man die Arbeitsverträge. (Kapitel 2 "Contracts, Contractors and Coolies", 43-104) Da vor allem die Flucht der Arbeiter*innen ein großes Problem darstellte, wurde bereits in dem ersten Gesetz die "Fahnenflucht" zu einem kriminellen Akt deklariert. Das zweite Gesetz erteilte den Pflanzern darüber hinaus die Sondervollmacht, desertierte Kulis privat zu verhaften. Dieses Polizeirecht vermittelte den Plantagenbetreibern, so Varma, das Gefühl, die Werktätigen zu besitzen. Dieses Eigentumsempfinden entstand allerdings schon bei dem Erwerb der Kulis. Es spiegelte sich zudem in den Geschäftsbüchern der Pflanzer wider, wo der Tod und die Desertion eines Arbeiters/einer Arbeiterin als "Verlust" vermerkt wurde. Varma zeigt, dass die neuen Befugnisse der Plantagenverwaltung mit der "außergewöhnlichen Situation" der Assam-Teeplantagen gerechtfertigt wurden: mit der entlegenen Lage der Felder, dem Fehlen eines lokalen Arbeitsmarktes, den enormen Transportkosten für Arbeitskräfte und der mangelnden Präsenz der Kolonialbehörde in der Region. Gleichzeitig nutzten die Pflanzer das "Master and Servants Act of 1859" (Gesetz XIII), um lokal beschaffte Arbeitskräfte zu regulieren und abgelaufene Arbeitsverträge zu kündigen. Anders als das Gesetz von 1863 enthielt das Gesetz von 1859 keine spezifischen Schutzklauseln für die Plantagen, wie z.B. die Registrierung von Arbeiter*innen und Anwerber*innen, Gesundheitsregularien, feste Arbeitstage und Arbeitszeiten und eine maximale Mortalitätsrate von sieben Prozent.
Das dritte Kapitel ("Unpopular Assam", 105-126) beschäftigt sich mit der Rezeption Assams als einem von negativen Kräften besetzten Raum. Die Plantagen verband man mit dem "Zustand des Ungücklichseins", man sah in ihnen unheilvolle Orte, in denen es ausschließlich Probleme gab. Assam wurde als "point of no return", als eine "verlorene Welt" betrachtet. Denjenigen, die dorthin gingen, kamen nicht zurück. Es wurden keine Vorkehrungen für den Rückweg getroffen, die Kommunikation mit den Familien in der Heimat war unterbrochen. Insbesondere auf dem Land entstanden, wie Varma zeigen kann, zahlreiche Mythen und Gerüchte über Assam. So war zum Beispiel die Vorstellung, dass man aus den Köpfen von frisch eingetroffenen Arbeiter*innen Öl gewann, weit verbreitet. Varma zitiert auch Lieder, die von den bei der Rekrutierung eingesetzten Tricks und Täuschungsmanövern handeln. Die Dorfbewohner in den Einzugsgebieten hatten Angst vor dem Verlust der Kastenzugehörigkeit. Viele Migranten führten offensichtlich Riten durch, um ihren verlorenen Status wiederzuerlangen.
Im Anschluss an diese spannende Rezeptionsgeschichte wendet sich Varma einem weiteren interessanten Thema zu, nämlich der Verwendung von Alkohol auf den Teeplantagen. (Kapitel 5 "Dustoor of Plantations", 149-204) Er zeigt, dass vor allem Rum sowohl als eine Quelle der Arbeitssteigerung wie auch als Ursache einer zunehmenden Ineffizienz angesehen wurde. Viele Pflanzer verteilten das Getränk als Belohnung an ihre Arbeiter*innen anlässlich von Vertragsverlängerungen, arbeitsintensiven Tagen, Festivitäten und Eheschließungen. Im Diskurs der Pflanzer war Rum ein Stimulans, das nicht nur die Arbeitsproduktivität erhöhte, sondern auch ein Gegenmittel gegen die ungesunden Bedingungen auf den Plantagen war. Allerdings kam es immer wieder zu exzessivem Alkoholkonsum, was eine Verschiebung der Trinkgewohnheiten und des Getränks selbst zur Folge hatte. Die Entwicklung ging vom Konsum selbstgebrauten Reisbieres, das zu festlichen Anlässen getrunken wurde, hin zum Trinken destillierten, gekauften Schnaps an den Wochenenden, der in Läden vor den Toren der Plantagen angeboten wurde. Varma verortet dieses erhöhte Trinkverhalten in den wachsenden Verbrauchsteuereinnahmen der Provinz in den 1880er und 1890er Jahren.
Gegenstand von Kapitel 6 ("Gandhi baba ka Hookum", 205-224) sind die Auswirkungen der Gandhi-Bewegung auf die Kulis von Assam. Gandhis politische Aktivitäten gegen die Kolonialregierung und die weit verbreiteten Gerüchte über seine übernatürlichen Kräfte machten ihn bald zu einem Mahatma (Heiligen) und zu einem Guru unter Dorfbewohner*innen, Arbeiter*innen und Bauern und Bäuerinnen. Die Informationen über Gandhi verbreitete sich rasch unter den Kulis von Assam, die seinen Namen während der Nichtkooperationsbewegung dazu benutzten, um ihre Beschwerden zu legitimieren. Als die Arbeiter*innen damit begannen, Massenstreiks zu organisieren, um gegen das Verhalten der Manager zu protestieren, definierten sie sie als "von Ghandi angeordnet" (Gandhi Ka Hookum).
Insgesamt hat Nitin Varma eine sehr informative Abhandlung über die Situation der Kulis auf den Teeplantagen von Assam vorgelegt, die unsere Kenntnisse von diesen Institutionen beträchtlich erweitert. In weiteren Arbeiten erhofft man mehr etwa über die globalen Zusammenhänge, die Verbindung zwischen Kapitalismus und der in Nordindien erprobten Produktionsweise, über die Lebensläufe der Plantageneigner und Zwischenhändler oder über das Schicksal zurückgekehrter Kulis zu erfahren. Leider scheinen die Arbeiter*innen vor Ort am Ende ebenso stimmenlos zu sein wie die Sklav*innen.
Stephan Conermann