Rezension über:

Norman H. Reid: Alexander III 1249-1286. First Among Equals, Edinburgh: Birlinn 2019, XVIII + 395 S., 2 Kt., 19 s/w-Abb., ISBN 978-1-910900-22-2, GBP 60,00
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Rezension von:
Ralf Lützelschwab
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Lützelschwab: Rezension von: Norman H. Reid: Alexander III 1249-1286. First Among Equals, Edinburgh: Birlinn 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 1 [15.01.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/01/34373.html


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Norman H. Reid: Alexander III 1249-1286

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Der Verweis auf vermeintlich "Goldene Zeitalter" mag die Sehnsucht vieler Menschen nach Frieden, Harmonie und Gerechtigkeit befriedigen - derart überhöhte Zeitalter halten aber selten, was sie versprechen und schrumpfen für gewöhnlich bei näherer historischer Betrachtung auf ein gesundes Normalmaß zurück. Nicht anders im Falle Alexanders III. von Schottland, dessen 37 Jahre dauernde Regierungszeit in der Geschichtsschreibung des 15. und 16. Jahrhunderts in allerhellstem Licht erstrahlte. Kein Historiograph war in dieser Hinsicht einflussreicher als Walter Bower, dessen Scotichronicon eine Art "Alexander-Mythos" begründete und das Bild des schottischen Königs bis weit ins 20. Jahrhundert hinein prägen sollte. [1] In der vorliegenden Monographie geht es um nichts weniger als ein "removal of the Bower-filter" (345).

Die Arbeit umfasst neben einleitenden Bemerkungen und einer Zusammenfassung insgesamt zehn Kapitel. In drei Anhängen werden 1. die Zeugenlisten auf königlichen Urkunden und die Mitglieder des königlichen Rats im Zeitraum von 1249-1262; 2. der anlässlich der Vermählung von Prinzessin Margarete und Erik von Norwegen entstandene Hochzeitshymnus und 3. Bemerkungen zur Quellenlage präsentiert. Damit wird eine Forschungslücke geschlossen. [2] Eine Biographie wollte Reid nicht schreiben, sein Werk bezeichnet er bescheiden als "a blend of synthesis and original research" (2). Tatsächlich ist die Quellenlage erstaunlich dünn: nur 175 Urkunden sind aus der Kanzlei Alexanders III. erhalten, auch der Großteil der Rechnungslegung hat die Zeitläufte nicht überdauert - Vorsicht bei der Rekonstruktion des Regierungshandelns ist also geboten. Die wirtschaftlich-politische Großwetterlage war günstig: "For much of the reign, all that was stormy was the weather." (346) Größere Kriege, Naturkatastrophen, Misswirtschaft oder Rebellionen sucht man vergeblich. Auch dieser positive Befund hat Auswirkungen auf die Quellenlage: Ereignisarmut wird eher selten verschriftlicht. Die Mär vom "goldenen Zeitalter" lässt sich daraus aber auch nicht herleiten.

Reid korrigiert die Forschungen zu Alexander III. an entscheidender Stelle. Zunächst betrifft dies die Regierung während seiner Minderjährigkeit. Als Achtjähriger wurde er 1249 zum König erhoben. Salbung und Krönung unterblieben - ein Privileg, das den schottischen Königen erst 1329 verliehen wurde. Das Regierungshandeln lag in den Händen des Kronrats. Parteiungen existierten, doch entwickelten Rivalitäten niemals ein Eigenleben dergestalt, dass dadurch konsensuale Entscheidungsfindung verunmöglicht worden wäre. Die Autorität des Königs wurde durch solcherart konsensuales Handeln zwar eingehegt, aber niemals bestritten. Erfolge erzielte man mit der Kanonisation Margaretes von Schottland, einer Vorfahrin Alexanders III. Ein Ehebündnis zwischen Alexander und Margarete, der Tochter Heinrichs III. von England, konnte angebahnt und 1251 vollzogen werden. Dies alles zeugt von großer Kontinuität (und damit Stabilität). Mit Erreichen der Altersgrenze von 14 Jahren agierte Alexander III. zunehmend selbstbewusst, was in gelegentlichen personellen revirements seinen Ausdruck fand. Wurden Berater ersetzt, traten sie ins zweite Glied zurück ohne Verfolgung oder Konfiskationen fürchten zu müssen. Sollte es tatsächlich fundamentale Parteiungen in Schottland gegeben haben, dann verliefen die Gegensätze nicht zwischen den Gegnern und Befürwortern einer engen Anlehnung an England, sondern zwischen Unterstützern und Feinden der einflussreichen Familie der Comyn: "...if there were factional divisions, they were built not upon bedrock, but upon shifting sand." (148)

Territoriale Zuwächse gab es ebenfalls zu vermelden. Nach kriegerischen Scharmützeln mit der Flotte des Königs von Norwegen konnte diese zurückgedrängt und die Insel Man samt einiger Hebrideneilande der schottischen Einflusssphäre zugeschlagen werden. Im Vertrag von Perth wurde dies 1266 besiegelt. Der Vertrag führte in der Folge zu noch engeren Handelskontakten zwischen Schottland und Norwegen.

Tatsächlich nehmen sich die letzten 20 Regierungsjahre vergleichsweise ruhig aus. Einiges an Energien band Alexanders Suche nach angemessenen Heiratspartnern für seine beiden Kinder. Die Tochter Margarete ehelichte König Erik II. von Norwegen, der Sohn Alexander die Tochter des Grafen von Flandern, Marguerite. Letztere Ehe war von kurzer Dauer: Alexander starb kinderlos. Margarete hingegen brachte eine Tochter zur Welt, starb aber im Kindbett. Von einer "dynastischen Krise" konnte zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede sein, war der schottische König doch erst knapp über 40 Jahre alt, gesund und hatte eine Enkeltochter und prospektive Erbin, die "Maid of Norway". Nach dem Tod seiner eigenen Frau heiratete Alexander III. 1285 erneut: die Wahl fiel auf die 21-jährige Yolande, die Tochter des Grafen von Dreux. Diese Ehe blieb kinderlos, denn Alexander III. starb nur wenige Monate später. Nach dem Tod der "Maid of Norway" 1290 bei der Überfahrt von Norwegen nach Schottland setzte dann aber eine Phase der Instabilität und des Krieges ein.

Auch der ansonsten klug urteilende Autor erliegt mitunter der Faszination dieser Epoche, so wenn er etwa ein (zu) strahlendes Bild vom Bildungsniveau in den neu entstandenen Klöstern zeichnet. Ob das winzige Kloster St Serf (gegründet 1150) mit seinem Bestand von 17 Codices, "mainstream work of European theological and philosophical thought" (51), tatsächlich der ideale Ort für intellektuelle Betätigung war, darf getrost bezweifelt werden. Die Bände (zu denen auch die für das monastische Alltagsgeschäft so wichtigen Liturgica gehörten) mögen dem Kloster als Schenkung zugeflossen sein, über eine konsequente Erwerbspolitik verlautet jedenfalls nichts.

Mitunter befremdet ein Umgang mit Zahlen, der den Leser ratlos zurücklässt. Wenn Spione mit "the not inconsiderable sum of £ 1 4s 8d" (176) entlohnt wurden, ist diese Nennung ohne ein Äquivalent nichtssagend. [3]

Heute würde man Alexander III. wohl als Teamplayer bezeichnen, als Herrscher, dem an der intellektuellen und moralischen Integrität seiner Berater gelegen war. Schlüsselpositionen nahmen regelmäßig Graduierte mit großer Verwaltungserfahrung ein. Aufgrund fehlender Quellen zur konkreten Entscheidungsfindung auf Sitzungen des Kronrats verbieten sich hier jedoch weitergehende Schlüsse. Alexander III., verantwortungs- und pflichtbewusst, gelang es ganz offensichtlich, Sicherheit und Wohlstand zu garantieren - er entsprach damit in zentralen Punkten dem Idealbild, das politische Traktate von einem "guten Herrscher" zeichneten. Ein "economic miracle worker" war er, darauf weist Reid zu Recht hin, deshalb noch nicht. Alexander III. nutzte glückliche Umstände, für die er selbst nicht verantwortlich zeichnete. Er war weniger Architekt wirtschaftlicher Prosperität und politischer Sicherheit, als deren Nutznießer. Man wird ihn ohne Zweifel als "effective king" (347) bezeichnen dürfen. Sein Charakter bleibt im Dunkeln.


Anmerkungen:

[1] Walter Bower: Scotichronicon, ed. by Donald E.R. Watt, 9 Bde., Aberdeen / Edinburgh 1987-1998.

[2] Eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Untersuchung Alexanders III. und seiner Regierungszeit lag bisher nicht vor. Norman H. Reid, emeritierter Leiter der Special Collections an der Universität von St Andrews, konnte bei seinen Forschungen auf einiges Material zurückgreifen, vgl. etwa Donald E.R. Watts: The Minority of Alexander III of Scotland, in: Transactions of the Royal Historical Society 21 (1971), 1-23; Scotland in the Reign of Alexander III, 1249-1286, ed. by Norman H. Reid, Edinburgh 1990.

[3] Noch immer neigt die Forschung dazu, hohen Zahlenangaben durch Hinzufügung schmückender Adjektive ("not inconsiderable") größeren Nachdruck zu verleihen. Auf S. 192 wird erneut von einer "not inconsiderable sum" (£ 66 13s 4d) gesprochen. Auf S. 246 ist es die Mitgift der Königstochter Margarete in Höhe von £ 9.250, die als "not inconsiderable sum" charakterisiert wird.

Ralf Lützelschwab