Rezension über:

Jörg Bölling: Zwischen Regnum und Sacerdotium. Historiographie, Hagiographie und Liturgie der Petrus-Patrozinien im Sachsen der Salierzeit (1024-1125) (= Mittelalter-Forschungen; Bd. 52), Ostfildern: Thorbecke 2017, 456 S., ISBN 978-3-7995-4372-9, EUR 52,00
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Rezension von:
Francesco Massetti
Bergische Universität, Wuppertal
Redaktionelle Betreuung:
Étienne Doublier
Empfohlene Zitierweise:
Francesco Massetti: Rezension von: Jörg Bölling: Zwischen Regnum und Sacerdotium. Historiographie, Hagiographie und Liturgie der Petrus-Patrozinien im Sachsen der Salierzeit (1024-1125), Ostfildern: Thorbecke 2017, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 1 [15.01.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/01/34738.html


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Jörg Bölling: Zwischen Regnum und Sacerdotium

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Die Habilitationsschrift Jörg Böllings behandelt das Verhältnis zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt in der Salierzeit aus einer innovativen Perspektive, welche das "Phänomen der Sakralität" (15) in den Vordergrund stellt. Gegenstand der Studie bilden die Petrus-Patrozinien kirchlicher Institutionen in Sachsen, welche "hinsichtlich ihrer regional oder lokal relevanten Historiografie, Hagiographie und Liturgie" (17) untersucht werden. Die Auswahl Sachsens als Untersuchungsraum wird damit begründet, dass in dieser Region "weder Regnum noch Sacerdotium von vornherein als dominant erscheinen" (17). Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf den sächsischen Petrus-Kathedralen von Bremen, Minden, Osnabrück und Naumburg-Zeitz.

Der erste Abschnitt (S. 31-97) ist der allgemeineren Darlegung der Bedeutung des hl. Petrus für Personen und Institutionen gewidmet. Die erste Sektion (I 1-4) bietet eine prägnante und umfassende Zusammenfassung der Genese und Entwicklung der Petrus-Verehrung, wobei das enge Zusammenspiel zwischen Reliquien, Heiliger Schrift, Hagiographie und Liturgie herausgearbeitet wird. In diesem Zusammenhang lässt sich jedoch der lange Exkurs über den Canossa-Gang "Kaiser" - so im Text - Heinrichs IV. kaum erklären. Gegenstand der zweiten Sektion (I 5-7) sind Petrus-spezifische Schriften (Passionale, Predigten und Pilgerberichte), Sinnbilder (Schlüssel, Schwerter und Schädel) und Institutionen (Kurie, Kapelle und Kanzlei). In der dritten und letzten Sektion (I 8-11) werden schließlich konkrete außerrömische Petruspatrozinien von Gotteshäusern sowie von korporativen Gruppen in Betracht gezogen, mit besonderer Berücksichtigung der sächsischen Sakrallandschaft.

Ist der zweite Abschnitt (99-138) mit "Petrus-Patrozinien in Sachsen" betitelt, spielen dabei auch die Nebenpatrone der betrachten Bischofskirchen eine zentrale Rolle. Zur Eruierung der einzelnen Patrozinien werden neben erzählenden Quellen auch Urkunden, Siegel, Münzen, Inschriften und Wappen berücksichtigt. Einen besonders relevanten Beitrag hat Bölling bei der Erforschung der Mindener Patrozinien geleistet. Aus den überlieferten Weihenotizen erschließt der Verfasser, dass in Zusammenhang mit dem Um- bzw. Anbau der Domkirche ein zwischenzeitlicher Patrozinienwechsel stattfand. Neben den Domkirchen werden auch die Petrus-Patrozinien sächsischer Niederkirchen betrachtet, die jedoch eine geringe Relevanz für das erforschte Thema aufweisen, da sie zum größten Teil entweder Gründungen aus der Karolingerzeit sind oder "einfach den Patron der Diözesan- bzw. Metropolitankirche übernehmen" (136).

Im dritten Teil der Monographie (139-253) werden die historiographischen, hagiographischen und liturgischen Texte der sächsischen Petrus-Kathedralen gründlich untersucht. Die Bremer Quellen teilt der Verfasser in drei Bereiche: "missionarische Liturgie", "sukzessorische Hagiographie" und "rezipierende Historiographie". Diese drei Komponenten sind jedoch im Codex Vicelinus eng verbunden, welcher die Viten der "apostelgleichen" Ortsbischöfe Wiilehad, Ansgar und Rimbert zusammen mit liturgischen Gesängen und dem Chronicon breve Bremense überliefert.

Zur Rekonstruktion der Mindener Liturgie untersucht Bölling drei Quellengruppen: acht hochwertige liturgische Handbücher, einen Petrischein und eine Predigt zum Festtag des hl. Gorgonius. Gerade die gemeinsame Verehrung dieses Märtyrers führte im 10. Jahrhundert zu einer Vernetzung mit der lothringischen Abtei Gorze, welche Reliquien sowie hagiographische Texte betraf. Eine wichtige Ergänzung zu den liturgischen und hagiographischen Texten bieten schließlich spätmittelalterliche erzählende Quellen wie die Bischofschronik Heinrich Tribbes, welche dem hl. Gorgonius die Tötung des antigregorianischen Bischofs Folkmar zuschreibt.

Konnte die Osnabrücker Kirche keine herausragenden liturgischen Bücher oder altehrwürdige Reliquien vorweisen, hatte die Vita Bischof Bennos II. eine bedeutende Ersatzfunktion. Eine zentrale Rolle spielt in dieser Quelle das persönliche Patronat des hl. Clemens, in dem sich die Vermittlungsbemühungen Bennos zwischen Regnum und Sacerdotium widerspiegeln. Durch Bennos Urkundenfälschungen wurden zudem die hl. Crispin und Crispinian zu Grundgestalten der Osnabrücker Kirche, indem der Reliquienerwerb auf die Zeit des angeblichen Stifters Karls des Großen zurückgeführt wurde.

In der Kirche von Naumburg-Zeitz ist Bischof Walram (1091-1111) die Schlüsselfigur. Neben den von ihm aus Noblat entlehnten hagiographischen Texten über den hl. Leonhard zieht der Verfasser dessen geschichtsträchtige Korrespondenz mit Graf Ludwig dem Sprenger und Erzbischof Anselm von Canterbury in Betracht, in der die wechselnde Parteinahme Walrams im Investiturstreit unter Berufung auf den anderen Naumburger Hauptpatron, den hl. Paulus, begründet wird.

Die Nebenpatronen der sächsischen Petrus-Kathedrale werden im vierten Abschnitte (255-305) noch systematischer untersucht. Dabei liegt das Augenmerk auf der Beziehung zwischen Haupt- und Nebenpatronaten sowie zwischen ortansässigen und transferierten Heiligen, auf dem Verhältnis von Reliquien und Texten, auf den persönlichen Präferenzen einzelner Bischöfe und schließlich auf den geschlechtsspezifischen Unterschieden bei den Patrozinien.

Im fünften Abschnitt (307-335) werden schließlich die Ergebnisse bezüglich der Petrus-Patrozinien im Hinblick auf das Verhältnis von Regnum und Sacedotium zugespitzt. War der hl. Petrus in der Bremer Liturgie hauptsächlich "Fels" und "Fischer", wurde in Minden unter Bischof Egilbet (1055-1080) die principalis potestas des Apostelfürsten (statt gelasianisch des Kaisers) mit einer ortskirchlichen Stellvertreterschaft Petri verbunden. In Osnabrück erschien Petrus als echter Pontifex, d.h. "Brückenbauer" zwischen Rom und der Ortskirche sowie zwischen Regnum und Sacerdotium. In Naumburg weisen hingegen die "Diskurse um Konversion, Ketten und Kreuzzug" (317) eine deutliche Parteinahme zugunsten des Papsttums auf.

Resümierend sind die Ergebnisse der Habilitationsschrift Böllings in vielerlei Hinsicht sehr relevant. In erster Linie werden die Liturgie und die Hagiographie der vier betrachteten Bischofskirchen mit beachtlicher Systematik untersucht. Methodisch werden die Ergebnisse der - schon in sich sehr fruchtbaren - intertextuellen Analyse durch die Berücksichtigung materieller Gegenstände mit großem Gewinn ergänzt. Bölling hat zudem einen Beitrag zur Überwindung der Perspektive der klassischen Patrozinienforschung, indem er die Patrozinienwechsel eher im Zusammenhang mit "administrativ-rechtlichen und politisch-religiösen Vorstellungen" als mit der "sakramentale[n] Heilsökonomie" (25) betrachtet hat. Hervorzuheben ist zudem die punktuelle Unterscheidung zwischen den Patrozinien gesamter Kirchengebäude einerseits und einzelner Kirchenräume bzw. Altäre andererseits. Bleibt der Konflikt zwischen Regnum und Sacerdotium in längeren Passagen der Behandlung im Hintergrund, bietet jedoch die Arbeit auch in Bezug auf ihr Hauptthema relevante Ergebnisse und sollte Anstoß für die Erforschung weiterer Sakrallandschaften bieten, die durch die Auseinandersetzung zwischen den Universalgewalten geprägt wurden.

Francesco Massetti