Rezension über:

Julia Burkhardt: Von Bienen lernen. Das Bonum universale de apibus als Gemeinschaftsentwurf. Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (= Klöster als Innovationslabore; Bd. 7), Regensburg: Schnell & Steiner 2020, 1616 S., 38 Farbabb., ISBN 978-3-7954-3505-9, EUR 76,00
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Rezension von:
Stefanie Neidhardt
Historisches Seminar, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Stefanie Neidhardt: Rezension von: Julia Burkhardt: Von Bienen lernen. Das Bonum universale de apibus als Gemeinschaftsentwurf. Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar, Regensburg: Schnell & Steiner 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 2 [15.02.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/02/34489.html


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Julia Burkhardt: Von Bienen lernen

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Der Dominikaner Thomas von Cantimpré beschrieb im 13. Jahrhundert am Beispiel eines Bienenstaates die ideale Gemeinschaft von Menschen. Zu diesem das Mittelalter stark prägenden Werk stellte die Historikerin Julia Burkhard die Frage nach gesellschaftlichem Kontext, beeinflussenden Werken und Auswirkungen auf den Dominikanerorden sowie die geistliche Welt des 14. und 15. Jahrhunderts. Die Arbeit entstand im Kontext des Forschungsprogrammes "Klöster im Hochmittelalter. Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle". In zwei umfassenden Bänden mit drei Teilen werden nicht nur eine ausführliche Analyse zu Autor, Werk und Rezeptionsgeschichte vorgestellt, sondern das "Bienenbuch" wird zur weiteren Nutzung für Wissenschaftler vollständig ediert. Ein ausführlicher Anhang mit Verzeichnissen von Handschriften schließt die Arbeit ab. Hervorzuheben ist die Übersetzung der lateinischen Ausgabe des "Bienenbuches", die durch ihren ausführlichen Kommentar auch ihren Eingang in die Lehre finden kann.

Im ersten Teil präsentiert die Autorin Thomas von Cantimprés Biographie. Dabei geht sie ausführlich auf frühere Arbeiten anderer Historiker wie Jan Frans De Jonghe oder Alphonse Wauters ein. Thomas' Eigenbeschreibungen grenzt sie erfolgreich von anderen Quellen ab und nutzt eine grundlegende zeitliche Einordnung, um die Hauptaufgaben des Dominikanerordens im 13. Jahrhundert mit Thomas' Persönlichkeit zu verknüpfen. Dadurch wird ihre These stichhaltig, der Bettelorden habe mit seiner Form der Seelsorge und des Reisens neue Lebens- und Kommunikationsformen geschaffen, die als Bindeglied der Region dienten. Die Lebensweise des Dominikaners und späteren Subpriors im Kloster in Löwen zeichnet die Autorin nach, um daraus Rückschlüsse auf seine Arbeit zu ziehen: anstatt sein Werk an einem Stück abzufassen, schrieb Thomas wohl auf seinen Reisen einzelne kurze Texte und fügte diese dann später zu einem Ganzen zusammen.

Der zweite Teil, in dem sich Burkhardt ausführlich mit dem Werk Thomas von Cantimprés auseinandersetzt, bildet das Kernstück der Arbeit. Anhand von Beispielen aus dem "Bienenbuch" untermauert Burkhardt ihre Hauptthese, dass exemplarisches Erzählen zu einer moralischen bzw. normativen Aussage führt und dem Historiker die Rückbindung an die Zeitumstände und somit Einblicke in Alltags- und Vorstellungswelt des 13. Jahrhunderts ermöglicht. Nicht nur Spiritualitätserfahrungen der Dominikaner, sondern auch Konflikte zwischen weltlichen und geistlichen Akteuren, das Ringen um die Deutungshoheit über gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen werden hier behandelt. Folglich ist nachzuvollziehen, dass Thomas' Werk in einer Zeit des Umbruchs und Wechsels zwischen den Generationen zur Bewahrung von Traditionen und Idealen eine gezielte Programmatik für den Dominikanerorden zur Verfügung stellte. Die Quellen des "Bienenbuches" wie Senecas Werk werden klar herausgearbeitet, wobei eine Vertiefung in Bezug auf biblische Kontexte wünschenswert gewesen wäre. Auch ein näheres Eingehen auf die zeitgenössische Gesellschaft des 13. Jahrhunderts, deren sozialen Abstufungen sowie die Erfassung der Region mit Personen, Orten und Räumen hätte das umfassende Werk weiter bereichert. Überzeugend ist Burkhardts Analyse der kommunikativen Entstehungssituation des "Bienenbuches", das mit seiner oral überlieferten Erzählung die Mehrsprachigkeit des damaligen Lebensalltags veranschaulicht.

In einem dritten Teil wird Fragen nach der Rezeptionsgeschichte des "Bienenbuches" nachgegangen. Sorgfältig recherchiert zeichnet Burkhardt hier den Umgang mit Buch und Text nach. Mit großer Sorgfalt folgt sie den Entstehungskontexten verschiedener Handschriften von Thomas' Werk und stellt - wie nicht anders zu erwarten - eine geographische Verortung im heutigen Belgien, den Niederlanden, Nordfrankreich und Westdeutschland fest. Eine Bestandsaufnahme der Gliederung der Handschriften, Initialen und Illustrationen runden die Forschung am Text ab. Besonders erwähnenswert ist hierbei das gesonderte Eingehen auf Exzerptüberlieferungen und Re-Organisationen des "Bienenbuches". Burkhardt kann mit klaren Darstellungen und nachvollziehbaren Begründungen ihre Forschungsergebnisse zum Tragen bringen und die europaweite Nutzung des Textes verdeutlichen: So weist sie mit dem Kölner Kreuzherrenkonvent und dem schwedischen Doppelkloster in Vadstena zwei Zentren der Exzerptüberlieferung nach und findet in Jan Hus' Quodlibeta sowie dem Formicarius des Reformdominikaners des 15. Jahrhunderts, Johannes Nider, die Inhalte der Bienenallegorie in neuen Zusammenhängen wieder.

Der vierte Abschnitt des Buches stellt sowohl Editionskonzept als auch -richtlinien vor. Vorarbeiten wie die von Benedikt Maria Reichert und weitere Ausgaben des "Bienenbuches" werden genannt; auf Stärken und Schwächen früherer Drucke wird hingewiesen. In diesem Kapitel, aber auch im gesamten Buch fallen farbige Graphiken und Abbildungen zum besseren Verständnis der Vorgänge auf, die allerdings (189) einer vertieften Einarbeitung von Seiten des Lesers bedürfen.

Alles in allem handelt es sich hier um ein sorgfältig recherchiertes und umfassend erarbeitetes Werk, das mit seiner Analyse von Werk, Autor, und seinem Einfluss auf die (geistliche) Welt des Mittelalters eine Bereicherung für die Mediävistik darstellt.

Stefanie Neidhardt