Daisuke Igarashi / Takao Ito (eds.): Women and Family in Mamluk and Early-Ottoman Egypt, Syria, and Hijaz (= Orient. Journal of the Society for Near Eastern Studies in Japan; 54 (2019)), 144 S., ISSN 0473-3851
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In Japan gibt es zurzeit etwa ein Dutzend bestens qualifizierte Mamlukolog*innen. Zu verdanken ist diese erfreuliche Tatsache unter anderem dem unermüdlichen Wirken von Sato Tsugitaka (1942-2011). Seit 2006 leitete er für die Nationalen Forschungseinrichtungen für Geisteswissenschaften ein Programm zur Förderung der Nahostwissenschaften. Sato selbst war Islamwissenschaftler, wobei sein besonderes Interesse der mamlukenzeitlichen Gesellschaft galt. 2006 machte er zusammen mit fünf Kolleg*innen die japanische Mamlukenforschung in einem Sonderheft der Mamlūk Studies Review einer englischsprachigen Öffentlichkeit zugänglich. [1] In Deutschland stand Sato Tsugitaka in Kontakt zu Ulrich Haarmann (1942-1999), dem Spiritus Rector der deutschen Mamlukenforschung. Das 2010 gegründete Annemarie Schimmel-Kolleg hat diese Verbindungen gepflegt und sich in der zweiten Phase seiner Laufzeit (2015-2019) gezielt um die Zusammenarbeit mit den japanischen Expert*innen bemüht. Im November 2016 konnte zusammen mit Toru Miura ein erster Workshop an der Ochanomizu University in Tokio organisiert werden. [2] Eine zweite Konferenz, dieses Mal in Kooperation mit Tetsuya Ohtoshi, fand im Dezember an der ebenfalls in Tokio beheimateten Waseda University statt. Dort wurde im Juni 2019 auch die 6. Konferenz der School of Mamlūk Studies durchgeführt - ein deutliches Zeichen dafür, dass die japanische Forschung zum Mamlukensultanat endgültig in der globalen Community angekommen ist.
Die vorliegende Veröffentlichung ist aus einem Panel über "Women in Mamluk and Early Ottoman Documentary Sources" hervorgegangen, das Takao Ito, Daisuke Igarashi und Wakako Kumakura in Beirut im Mai 2017 auf der 4. Konferenz der School of Mamluk Studies organisiert hatten. Für die Publikation rückte man von der Engführung auf dokumentarisches Material ab und konnte so fünf weitere Mamlukolog*innen gewinnen: Julien Loiseau, Carl F. Petry, Munther H. Al-Sabbagh, Kaori Otsuya und Erina Ota-Tsukada. Veröffentlicht wurden die Beiträge unter dem neuen Titel "Women and Family in Mamluk and Early-Ottoman Egypt, Syria, and Hijaz" in einem Sonderband der von der japanischen Gesellschaft für Nahoststudien herausgegebenen Zeitschrift Orient: Journal of the Society for Near Eastern Studies in Japan.
Auf eine prägnante Einführung in die bisherige Forschung zum Thema durch die beiden Herausgeber (Daisuke Igarashi und Takao Ito: "Introduction: An Overview of Recent Studies on Women and Family in Mamluk Society", 1-6) folgen drei Themenblöcke. Ausführlich eingehen möchte ich an dieser Stelle nur auf den ersten Beitrag des ersten Themenblocks "The View of Women and Families from Documentary Sources" (Wakako Kumakura: "Patterns of Women's Landholding in the Late Mamluk Period: A Statistical Study Based on the Ottoman Land Register Daftar Jayshī", 7-22). Hier geht es nämlich um die Erschließung eines bisher von den Mamlukolog*innen völlig vernachlässigten Materials. Gemeint ist ein Grundbuch, das für die mit militärischen Angelegenheiten in Ägypten befasste osmanische Verwaltungseinheit in der Mitte des 16. Jahrhunderts angefertigt worden ist. Es beinhaltet alle von den Osmanen für legal befundenen Stiftungsgüter und privaten Ländereien. Nach der Eroberung des Mamlukenreiches 1517 hatten die neuen Machthaber damit begonnen, die bis dahin gängigen Militärpfründe abzuschaffen und Land, dessen Besitztum nicht einwandfrei geklärt werden konnte, zu konfiszieren. Zur Klärung der Besitzverhältnisse schaute man in erster Linie in die (nicht erhaltenen!) mamlukenzeitlichen Grundbücher aus dem 15. Jahrhundert, in denen recht ausführlich die Vorgeschichte des registrierten Landes beschrieben wird. In dem osmanischen Kataster werden diese Angaben wörtlich zitiert. Auf diese Weise erhalten wir einen sehr interessanten Einblick in die Eigentumsverhältnisse der Endzeit des Mamlukensultanates. Es bestätigt sich die in der Forschung vermehrt geäußerte Vermutung, dass es seit den 1450er Jahren zu einer allgemeinen Umwandlung von Pfründen in Stiftungen gekommen ist. Der durch die Pest beschleunigte Tod zahlreicher Pfründner machte Ländereien verfügbar. Angesichts der unübersichtlichen gesellschaftlichen und politischen Zustände wurden sehr viele Pfründe zu niedrigen Preisen an Emire und Sultane verkauft. Das Land wurde auf diese Weise zum Privateigentum der Käufer. Diese wandelten ihren Besitz anschließend häufig in wohltätige Stiftungen um. Das hatte große Vorteile, denn Stiftungen durften weder besteuert noch ohne weiteres konfisziert werden. Darüber hinaus war es möglich, die eigenen Nachkommen als Treuhändler einzusetzen und ihnen damit ein Einkommen zu sichern.
Grundsätzlich erkannten die Osmanen Besitztümer vor 1517 an, wohingegen alle anschließenden Veränderungen einer genauen Untersuchung unterzogen wurden. Dabei wurde 1550 auch geprüft, ob sich die mamlukenzeitlichen Einträge in dem 1527/28 erstellten osmanischen Kataster wiederfanden. Auch diese Angaben werden in dem Grundbuch aus der Mitte des 16. Jahrhundert vollständig wiedergegeben. Erhalten sind offenbar 14 Bände, die im ägyptischen Nationalarchiv aufbewahrt werden. Die Einträge sind in alphabetischer Reihenfolge zunächst nach Provinzen und dann nach Dörfern angeordnet. An eine kurze Beschreibung der Gesamtlage schließen sich die genannten Details zu jedem einzelnen Landbesitz an.
Letzten Endes haben wir es hier also mit einer unschätzbaren Quelle zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Ägyptens vor und nach der osmanischen Eroberung zu tun. Insgesamt beinhaltet das osmanische Grundbuch 1725 Einträge. Wakako Kumakura zeigt in ihrem Aufsatz sehr schön, dass viele Frauen (aus der Oberschicht) über große Besitztümer verfügten. In 230 Fällen fungieren Frauen als Stiftungsverwalterinnen. Allerdings gilt es, bei der Auswertung einige Einschränkungen zu berücksichtigen. Das Grundbuch enthält allein Angaben zu Stiftungsgütern und privaten Ländereien, die von den osmanischen Behörden für rechtsgültig erklärt worden waren. Der nicht autorisierte Landbesitz findet somit keine Berücksichtigung. Die auf uns gekommenen Aufzeichnungen decken nur 30% des gesamten Katasters ab und beziehen sich nicht auf die Situation in den Städten.
Wakako Kumakuras wichtigen Befunde werden von Julien Loiseau bestätigt, der sich in seinem Beitrag "'Boy and Girl on Equal Terms': Women, Waqf, and Wealth Transmission in Mamluk Egypt" (23-40) jedoch auf gänzlich anderes Material, nämlich auf Stiftungs- und Verkaufsurkunden stützt. Die wichtige Rolle, die Frauen im Rahmen von Stiftungen spielten, zeigen dann Daisuke Igarashi und Takao Ito anhand zweier Fallbeispiele ("Father's Will, Daughter's Waqf: A Testamentary Waqf and Its Female Founder/Administrator in Fourteenth-Century Egypt", 41-54 bzw. "The Last Mamluk Princess, Her Endowment, and Her Family History", 55-74).
Der zweite und der dritte Themenblock ("The Representation of Women in Literary Sources" bzw. "Family Marriage Strategies") bestehen jeweils aus zwei Aufsätzen. Carl F. Petry beschreibt, welche Attribute mamlukenzeitliche Geschichtsschreiber Sklavinnen zuschrieben, die in kriminelle Aktivitäten verwickelt waren oder gesellschaftlich nicht akzeptierten Handlungen begingen. ("Female Slaves and Transgression in Medieval Cairo and Damascus: Gendered Aspects of Bondage and Criminality in the Mamluk Period (648/1250-922/1517)", 75-84) Wie sehr die narrative Darstellung von Personen oder Gruppen in Chroniken von den Interessen und Intentionen ihrer Autoren abhängt, zeigt Munther H. al-Sabbagh am Beispiel von Sāra bt. Aḥmad Ibn al-Muzalliq (gest. 1517) in Ibn Ayyūbs (gest. nach 1593-94) biographischem Lexikon at-Taḏkira al-Ayyūbiyya. ("Gender, Marriage and Narrativity in Ibn Ayyūbs's Tadkhira: The Case of Sāra bt. Aḥmad Ibn al-Muzalliq (d. 923/1517)", 85-104) Heiratsstrategien sind ein sehr interessantes Forschungsfeld, das bisher noch nicht genügend bearbeitet worden ist. Umso erfreulicher also, dass Kaori Otsuya Heiratsallianzen in Mekkanischen Gelehrtenfamilien in der Zeit von 1252 bis 1446 analysiert ("Marriages of Meccan Scholarly Families in 650-850/1252-1446", 105-126) und sich Erina Ota-Tsukada der Bedeutung von ehelichen Verbindungen für eine der bedeutenden "Bürokratenfamilie" widmet. ("The Muzhir Family: Marriage as a Disaster Mitigation Strategy", 127-144).
Der Band ist sehr willkommen, denn er erweitert mit seinen informativen Beiträgen unsere Kenntnisse der familiären und geschlechterspezifischen Strukturen der Mamlukenzeit.
Anmerkungen:
[1] Vor allem auch durch seinen Überblick über die japanische Mamlukenforschung: Sato Tsugitaka: "Mamluk Studies in Japan: Retrospect and Prospect", in: Mamluk Studies 10/1 (2006), 1-27. Bis heute publizieren viele japanische Wissenschaftler*innen ihre Arbeiten in erster Linie auf Japanische und bleiben daher für die allermeisten Kolleg*innen "unsichtbar".
[2] Die Ergebnisse des Workshops liegen nun vor: Stephan Conermann / Toru Miura (eds.): Studies on the History and Culture of the Mamluk Sultanate (1250-1517). Proceedings of the First German-Japanese Workshop Held at Tokyo, November 5-6, 2016 [= Mamluk Studies, Vol. 25], Göttingen 2021.
Stephan Conermann